1. Rigdín-Rigdón.

[323] Árn. II S. 20 ff. Von Frau Konsul R. Smith in Reykjavík.


Ein Königspaar hat einen einzigen Sohn, der sich in Rósamunda, die Tochter eines reichen Edlen verliebt. Das Mädchen ist im ganzen Lande berühmt wegen seiner Schönheit, aber ebenso auch wegen seiner Dummheit und Ungeschicklichkeit. Die königlichen Eltern wollen darum von einer Verbindung mit einem so törichten, unwissenden und untüchtigen[323] Mädchen durchaus nichts wissen und schlagen ihrem Sohne seine Bitte rundweg ab. Der junge Prinz wandert nun traurigen Sinnes einsam durch Flur und Wald, ohne sein Leid vergessen zu können. Hier begegnet ihm einst ein rotbärtiger Mann von kleiner Statur, der ihm Hilfe verspricht. Er gibt dem Prinzen einen Zweig für Rósamunda. Wenn sie ihn auf die Zunge legt, so kann sie, was immer sie will, im Augenblicke lernen und auch künftig im Gedächtnis behalten; wenn sie ihn zwischen die Finger nimmt, wird sie zu jeglicher Arbeit geschickt. Der Prinz ist erfreut über die Gabe, erkundigt sich aber, was er für sie zahlen soll. Der Mann will weiter nichts haben, als dass nach drei Jahren das Mädchen im stände sein muss, ihm seinen Namen, Rigdín-Rigdón, wieder zu sagen. Wenn sie das kann, so sollen die in dieser Zeit erworbenen Kenntnisse oder Fertigkeiten immer ihr zu eigen sein –, wenn sie das nicht kann, so gehört sie dem Besitzer des Zauberzweiges. Der Königssohn geht nun gern auf diesen Kauf ein. Er bringt durch Bitten seine Eltern schliesslich so weit, dass Rósamunda ins Schloss kommen darf, um dort das in ihrer Bildung bisher Versäumte nachzuholen. Mit Hilfe des Zauberzweiges lernt sie nun alles so erstaunlich leicht und zeigt sich so klug und geschickt, dass der Bräutigam immer mehr noch von ihr entzückt wird. In dieser glückseligen Stimmung vergisst er völlig den Namen des Fremden und kann sich desselben mit dem besten Willen nicht mehr entsinnen. So sind schon fast drei Jahre vergangen. Einst geht er in seiner Ratlosigkeit hinaus in den Wald und kommt an eine Lichtung. Hier hört er Gelächter und Gerede von vielen Menschen. Wie er genauer zuhorcht, reden Leute darüber, wie viele Seelen sie schon zu Grunde gerichtet hätten. Da kommt ihm der Gedanke, dass auch der Fremde mit dem Zweige vielleicht zu diesen Gesellen gehöre. Er lauscht nun mit grösster Aufmerksamkeit und hört folgende Verse:


»Menn, sem að mig kalla ref,

Marga orsök eg til þess hef,

Einga vægð öndum eg gef,

Út þegar skuld mína kref.

Um geing eg, alt eins og ljón,

Allmargra blindað hef sjón,

Mein geri eg mönnum og tjón,

Mitt nafu er Rigdín-Rigdón.«
[324]

»Dass Menschen mich einen Fuchs nennen,

Dazu gebe ich manche Veranlassung,

Keinen Pardon geh' ich den Geistern,

Meine Schuld fordere ich sogleich ein.

Ich gehe um wie ein Löwe,

Und habe vieler Augen geblendet,

Schaden und Verlust füge ich den Menschen zu,

Mein Name ist Rigdín-Rigdón.«


Wie der Königssohn den letzten Vers hört, erkennt er in ihm den so schmerzlich gesuchten Namen. Er schreibt ihn sogleich auf und kehrt dann freudig heim. Nun lässt er einen Glasschrank machen und aussen und innen so oft den Namen anbringen, dass man ihn überall zu sehen vermag. Wie dann der Tag herankommt, muss Rósamunda in den Glaskasten sich setzen und hier mit dem Zweige in der Hand den Fremden erwarten. Dieser kommt dann auch durch verschlossene Türen ins Zimmer und fordert sie auf, aus dem Glaskasten zu ihm herauszukommen. Statt aller Antwort hält ihm Rósamunda den Zweig hin und sagt: »Nimm du ihn, Rigdín-Rigdón.« Wie der Fremde seinen Namen hört, versinkt er sogleich durch den Fussboden und wird nicht mehr gesehen. Der Königssohn und Rósamunda feiern aber eine fröhliche Hochzeit.

Von dem Versuche des Teufels, sich eines Menschen dadurch zu bemächtigen, dass er ihn für seine Arbeit besonders begabt macht, erzählen die isländischen Volkssagen auch noch an anderer Stelle (Árn. I S. 499). Es ist da die Rede von einem geistig beschränkten Schüler des Sæmundur fróði. Diesem erschien im Traume ein unbekannter Mann und versprach, ihn mit besonderen Verstandeskräften zu begaben, wenn er dafür im folgenden Jahre zu ihm kommen wolle. Der Knabe ging auf die Bedingung ein, wurde aber dann später durch Sæmundur von dem Teufel wieder befreit.

Quelle:
Rittershaus, Adeline: Die neuisländischen Volksmärchen. Halle: Max Niemeyer, 1902, S. 323-325.
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