XCI. Die Teufelsmühle.

[336] Árn. II S. 9–12. Nach der Erzählung von Frau Margrét Höskuldsdóttir in Reykjavík.


Ein armer Mann kommt oft zu seinem reichen Bruder, der das Gut der Eltern nach deren Tode an sich genommen hatte, und bettelt bei ihm um eine Unterstützung. Seine Bitte wird auch meist erfüllt, doch die Gaben sind nur kärglich und werden mit unfreundlichen Worten ihm dargereicht. Eines Tages schlachtet der Reiche einen prächtigen Ochsen. Auch jetzt kommt der arme Bruder zu ihm und bittet ihn um ein Stück Fleisch zur Suppe. Der Reiche will ihm nichts mitgeben, wie jedoch der Bruder nicht aufhört, ihn zu bitten, wirft er ihm schliesslich eine Ochsenkeule zu und sagt, er solle mit ihr zum Teufel gehen. Der arme Mann nimmt die Keule, kehrt zuerst zu seiner Frau zurück, um sich von ihr Schuhe und Proviant geben zu lassen, und macht sich dann auf den Weg zum Teufel. Nach langer Wanderung begegnet ihm ein Mann, der ihn fragt, wohin er denn eigentlich wolle. Wie er das Ziel erfährt und hört, dass dem Wanderer der Weg dorthin unbekannt ist, gibt er ihm ein Knäuel, das vor ihm herlaufen und ihm den Weg zu einem Hügel zeigen würde. Mit einem Zweige, den der fremde Mann ihm reicht, solle er nun an den Hügel schlagen. Darauf werde eine Öffnung entstehen, und in diese solle er die Keule werfen. Darnach würden zwei Handmühlen heraufkommen, eine weisse und eine schwarze. Die weisse Mühle solle er ergreifen und mit ihr immer dem Knäuel nach sich auf den Heimweg machen. Der Mann folgt nun diesen Weisungen. Wie er mit der Mühle zurückkehrt, wartet seiner der Unbekannte noch auf der gleichen Stelle wie vorher. Auf seine Frage, was er mit der Mühle denn anfangen[336] müsse, rät er ihm, er solle um sie ein schönes Gehäuse zimmern. Dann könne er ihr befehlen, was immer er haben wolle, sie würde ihm alles mahlen, wenn er dazu nur folgenden Sprach sage:


»Malaðu hvorki malt né salt,

Og malaðu í dróttins nafni.«


»Mahle du weder Malz noch Salz,

Und mahle du in des Herrn Namen.«


Durch diese Mühle gewinnt nun der arme Mann alles, was er zum Leben nur nötig hat, und lebt von nun an mit seiner Frau herrlich und in Freuden. Wie er sich einst eine grosse Menge Gold hat mahlen lassen, plagt ihn die Neugier zu wissen, wie viel das wohl sei. Er leiht sich daher von seinem reichen Bruder ein Scheffelmass, um in ihm das Gold zu messen. Seine Schwägerin bestreicht die Ritzen des Gefässes mit etwas Harz, und wie sie das Mass zurückerhält, ist am Harze Goldsand hängen geblieben. Nun eilt sie zu ihrem Manne und teilt ihm ihre Entdeckung mit. Auf Anstiften seiner Frau macht sich dieser gleich auf, um in Erfahrung zu bringen, woher der Reichtum des früher so armen Bruders stamme. Dieser erzählt ihm auch wahrheitsgetreu, wie sich alles zugetragen hat, und erklärt, diese Mühle für die Ochsenkeule bekommen zu haben, mit der er von ihm einst zum Teufel geschickt worden sei. – – – – Nun lässt es dem reichen Bauern und seiner Frau keine Ruhe, bis sie die Teufelsmühle erworben haben. Er bietet seinem Bruder den Herrenhof und all seine Besitztümer zum Tausche für die Mühle an. Endlich geht dieser auf den Handel ein. Drauf kauft sich der Reiche ein Schiff und segelt mit seiner Frau, den vier Kindern und der Mühle aufs Meer hinaus. Wie die Mühle ihm draussen auf hoher See einiges zum Lebensunterhalt mahlen soll, spricht er zu ihr den gewohnten Spruch. Doch sie rührt und regt sich nicht, so oft er ihn auch wiederholt. Endlich wird er böse und sagt wütend:


»Malaðu bæði malt og salt,

Og malaðu í djöfuls nafni.«


»Mahle du sowohl Malz wie Salz,

Und mahle du in des Teufels Namen.«


Da setzt sich die Mühle in Bewegung und mahlt so lange, bis das Schiff mit allen Insassen versinkt. Der Teufel war jedoch hierüber sehr froh, denn er gewann durch den Tausch der Mühle sechs Seelen statt einer. – – – Der erste Mühlenbesitzer[337] aber, der Zeit seines Lebens reich genug war, erzieht zwei hilflose Waisen zu tüchtigen Menschen und bedenkt samt seiner Frau zur richtigen Zeit schon das Heil seiner Seele. – – –

Eine Parallele zu diesem isländischen Märchen findet sich bei Asbj. (50 »Kværnen, sem staaer og maler paa Havsens Bund« S. 258 ff.). Der arme Mann wird vom reichen Bruder am Weihnachtsabend mit dem erbettelten Schinken zum Teufel geschickt. Vor der Hölle trifft er einen alten Mann, der ihm rat, den Schinken den Teufeln gegen eine Handmühle zu überlassen, die alles mahlt, was er nur will. Nachdem der reiche Mann seinem Bruder die Mühle abgekauft hat, kann er sie nicht zum Stillstand bringen, so dass er sie dem Bruder entsetzt zurückgibt und dazu noch dreihundert Taler bezahlt. Zum zweiten Male wird von dem rechten Eigentümer der Mühle diese an einen Schiffer verkauft, der mit Salz handelt. Auf hoher See gibt er der Mühle den Auftrag, Salz zu mahlen. Da er nicht weiss, wie er sie abstellen muss, mahlt sie unaufhörlich weiter, bis das Schiff versinkt. Nun mahlt sie auf dem Meeresgrunde, und seit der Zeit ist das Meer salzig.

Die Mühle, die alles mahlt, was ihr aufgetragen wird, ist schon in der altisländischen Literatur belegt. Im »Grottasöngr« (Sæm. Edda S. 324 ff.) wird von der Mühle Grotti erzählt, die der König Fróþi geschenkt bekommt. Dieser stellt zwei gefangene Riesinnen an die Mühle und gebietet ihnen, für ihn Gold, Glück und Frieden auf der Mühle zu mahlen. Nicht länger dürfen sie sich von der Arbeit ausruhen oder Schlaf geniessen, wie der Kuckuck schweigt oder der Vortrag eines Liedes dauert. In der Nacht mahlen die Riesinnen gegen den König ein gewaltiges Heer, das der Seekönig Mysingr befehligt. Fróþi wird im Kampfe getötet, und der Sieger bemächtigt sich neben andern Schätzen auch der Mühle. Die Riesinnen müssen auf ihr nun immer Salz mahlen, bis in der Nacht die überfüllten Schiffe versinken und im Meere an der Stelle ein Strudel entsteht. Von da an war das Meer salzig.

Auch in den ehstnischen Märchen ist von einer Zaubermühle die Rede (Kreutzw. 5 »Der Waise Handmühle« S. 77 ff.). Ein Waisenmädchen, das von seiner Pflegemutter durch Getreidemahlen überanstrengt wird, erhält durch den guten Rat eines[338] Bettlers (d.h. in Wirklichkeit eines finnischen Zauberers) eine Mühle, die von selbst alles Getreide mahlt. Wie die böse Pflegemutter der Mühle sich bemächtigen will und das Gehäuse neugierig öffnet, wird sie von einer herausschlagenden Flamme zu Asche verbrannt.

In dem isländ. Märchen »Die zwölf Räuber« (LIII) bestreicht die Schwägerin gleichfalls das geliehene Mals innen, um zu erfahren, was mit ihm gemessen werden soll, die gleiche List wendet der reiche Bruder auch in dem Märchen »Die zwei Brüder« (CXXV) an.

Ebenso wie in unserm Märchen hier der Mann schliesslich wütend wird und die Mühle auffordert, in des Teufels Namen zu mahlen, so sagt auch in der Erzählung »Skipamál« (Árn. II. S. 8/9) der Schiffskapitän im Ärger zu seinen Leuten, sie sollten das Schiff, das nicht von der Stelle zu bringen ist, in des Teufels Namen in die See schieben. Darauf gleitet das Schiff plötzlich mit Macht ins Wasser, aber es geht dafür bei dieser Fahrt auch mit Mann und Maus unter.

Quelle:
Rittershaus, Adeline: Die neuisländischen Volksmärchen. Halle: Max Niemeyer, 1902, S. 336-339.
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