XCIII. Frau Schnips.

[342] Árn. II S. 39/40. Von Matthías Jochumsson.


Einst lebte ein altes Ehepaar von sehr ungleicher Gemütsart. Der Mann war unwirsch, faul und zu jeglicher Arbeit untüchtig, die Frau war immer tätig, machte sich an allen Ecken und Enden zu schaffen und wusste auch jedem gegenüber, mit dem sie gerade zu tun hatte, ihren Willen immer durchzusetzen. Wenn nun auch diese Frau mit ihrem Manne, der alles, was sie verdiente, wieder vergeudete, nicht gerade recht zufrieden war, so liebte sie ihn doch zärtlich. – Einst wird der Mann krank, und da sein Tod zu befürchten ist, fällt es der Frau schwer aufs Herz, dass vielleicht seine Seele wegen seiner Untüchtigkeit im Himmel keine Aufnahme finden könne. Mit gewohnter Energie beschliesst sie nun, selber dafür zu sorgen, dass ihr Gatte in den Himmel komme. Wie der Sterbende nun mit seinem letzten Atemzuge seine Seele aushaucht, fängt sie diese in einem Ledersacke auf, den sie dem Kranken vor den Mund gehalten hat. Darnach macht sie sich mit dem wohl verschlossenen Sacke auf den Weg zum Himmelreiche. Oben angelangt, kommt auf ihr Klopfen St. Peter an die Himmelstüre. »Guten Tag«, sagt die Frau freundlich zu ihm, »ich komme hier mit der Seele meines Jón, von dem Ihr doch sicher schon gehört haben werdet. Ich möchte Euch[342] nun bitten, ihn hier hineinzulassen.« »Ja, ja«, sagt St. Peter, »das Schlimme ist nur, dass ich das nicht darf. Ich habe in der Tat deinen Jón schon nennen hören, aber nie in Verbindung mit etwas Gutem.« Entrüstet meint darauf die Alte: »Das hätte ich doch von dir nicht geglaubt, St. Peter, dass du so hartherzig wärest! Du scheinst vergessen zu haben, wie es dir erging, als du einst deinen Herrn verleugnetest.« Wie St. Peter das hört, geht er schleunigst in den Himmel zurück und schliesst die Türe. Die Alte klopft nach einer Weile aufs neue. St. Paul kommt nun zur Pforte, bekommt aber auch von der Frau seine alten Sünden vorgehalten, wie er die Seele ihres Jón nicht in den Himmel aufnehmen will. Beim dritten Klopfen erscheint die Jungfrau Maria. Aber auch sie will die Seele des Mannes nicht in den Himmel lassen, denn er sei wirklich zu schlecht gewesen. »Das kann ich dir ja nicht übelnehmen«, sagt die Alte. »Ich dachte aber doch, du hättest besseres Verständnis für die Schwächen andrer. Oder denkst du nicht daran, dass du ein Kind hattest, zu dem du nicht einmal einen Vater auftreiben konntest?« Mehr will die Jungfrau Maria nun doch nicht hören, und so schliesst sie schleunigst die Himmelstüre. Endlich kommt der Herr Jesus zu der Frau, die unverdrossen wiederum an die Türe geklopft hat. Aber auch er will der Seele des Mannes, der im Leben nicht an ihn glaubte, den Eintritt verweigern. Wie er die Türe nun etwas langsam schliesst, wirft die Frau blitzschnell den Sack mit der Seele weit in den Himmel hinein. Dann trollt sie sich vergnügt wieder heim, da sie ja nun ihren Willen durchgesetzt hat. Ob aber die Seele des Jón nachher im Himmel verblieben ist, darüber ist nichts bekannt geworden.

In den zur Vergleichung herangezogenen Märchensammlungen kann ich keine Parallele zu diesem Schwanke nachweisen. Köhler bringt in dem Aufsatze »Sankt Petrus, der Himmelspförtner« (Aufs. S. 48 ff.) eine Anzahl von Erzählungen, die das gleiche Thema behandeln, so z.B. ein französisches, mittelalterliches Gedicht von einem Bauern, der St.. Peter, St. Thomas und St. Paul ihre Sünden vorwirft und schliesslich von Gott Vater hereingelassen wird, ferner ein deutsches Gedicht des spätem Mittelalters etc. An Bürgers »Frau Schnips« ist hier[343] gleichfalls zu erinnern, der ja bekanntlich seinen Schwank nach einer englischen Ballade dichtete. (Leider ist das Gedicht »The wanton wife of Bath« in der mir zur Verfügung stehenden Ausgabe von Percy's »Reliques of ancient english poetry« nicht abgedruckt, so dass ich es nicht zum Vergleich heranziehen kann.) Soweit ich es beurteilen kann, scheint mir das isländische Märchen das einzige zu sein, das selbst die Jungfrau Maria nicht verschont, die übrigen begnügen sich meist mit St. Peter und einigen andern Heiligen, oder aber nehmen wie Bürger eine Keine Figuren aus dem alten Testamente hinzu.

– – – Grimm erzählt im dritten Bande (III S. 249 ff.) den Inhalt eines lateinischen Lustspiels, das Martin Heineccius im 16. Jahrhundert nach einem bekannten Märchen gedichtet hatte. Der Held, Hans Pfriem oder Meister Kecks, ist schon im Himmel drinnen, soll aber wegen seiner Unverschämtheit wieder herausgeworfen werden. Den Heiligen, die zu dem Zweck gegen ihn anrücken, hält er jedoch unentwegt all ihre Sünden vor, so dass keiner von ihnen mehr gegen ihn etwas zu unternehmen sich getraut.

Quelle:
Rittershaus, Adeline: Die neuisländischen Volksmärchen. Halle: Max Niemeyer, 1902, S. 342-344.
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