[131] Es war einmal eine geizige Alte, welche weder sich noch andern ein rechtes Stück Brot vergönnte. Sie hatte mehrere erwachsene Söhne; so oft dieselben auf dem Felde arbeiteten, brachte sie ihnen immer trockene harte Polenta und ein Käslaibchen, sagte aber dazu: »Wer das Käslaibchen anschneidet, der muss mir spinnen und drehen!« Das sollte nämlich bedeuten, dass sie denselben aufhängen würde und dass er am Stricke baumeln sollte. Die Söhne hüteten sich daher wol das Käslaibchen anzuschneiden und ärgerten sich nur darüber, dass sie es alle Tage sehen mussten und doch nicht essen durften.
Da heiratete der älteste Sohn und nahm sein junges Weib zu sich in's Haus. Die Alte gab auch ihr die Polenta und das Käslaibchen, damit sie es den Arbeitern auf das Feld hinausbringe, und fügte die Drohung bei: »Wenn du das Käslaibchen anschneidest, so musst du mir spinnen und drehen.« Das junge Weib fürchtete sich und brachte das Käslaibchen immer wieder unversehrt zurück.
Darauf heiratete der zweite Sohn und führte sein junges Weib in das Haus ein. Auch dieser gab die Alte die Polenta und das Käslaibchen auf das Feld zu tragen und fügte die gewöhnliche Drohung bei. Das junge Weib aber schnitt das Käslaibchen in so viel Stücke, als Arbeiter waren, »denn«, dachte sie sich, »wer arbeitet, soll auch essen.« Als die andern sahen, was sie gethan hatte, getrauten sie sich fast nicht den Käse zu essen und riefen: »Wie wird es dir ergehen?« Sie aber fürchtete sich nicht und ging wieder nach Hause. »Wo hast du das Käslaibchen?« fragte die Alte. »Das haben wir aufgeschnitten und gegessen.« Da wurde die Alte wüthend, versperrte[131] die Thüren, holte einen Strick und hängte ihn an einen Nagel an der Mauer; dann machte sie eine Schlinge und sagt: »Jezt musst du mir spinnen und drehen, steck deinen Kopf hinein.« »Ich oder du!« dachte die Junge, »es ist besser, dass ich noch länger lebe.« Sie that gar nicht furchtsam, sondern stellte sich recht einfältig und sagte: »Aber wie muss ich's doch angehen, dass ich den Kopf recht hineinstecke? Zeigt es mir doch!« »So musst du's machen«, sagte die Alte und steckte selbst den Kopf hinein – aber schnell fasste die Junge den Strick, zog und die Alte hing an der Mauer.
Nun kochte das junge Weib schnell eine grosse Schüssel voll »Nocken« (Mehlklösse, ital. gnocchi) und stellte sie auf den Tisch. Dann nahm sie die Alte, welche bereits todt war, herab, sezte sie auf einem Stuhle aufrecht an den Tisch und stopfte ihr den Mund mit Nocken an. Darauf schloss sie die Thüren von innen, kroch durch ein Fensterloch aus dem Hause und ging auf das Feld arbeiten. »Was hat die Alte gesagt?« fragten die Uebrigen. »Sie war wol zornig« erwiederte sie, »aber ich habe sie reden und schimpfen lassen.«
Als sie abends alle nach Hause kamen, öffnete Niemand die Thüre und sie mussten dieselbe einstossen. Wie erstaunten sie, als sie die Alte todt fanden! »Da hat man's!« riefen sie, »uns hat sie immer nur trockene Polenta geschickt, sich selbst aber hat sie Nocken gekocht und ist jezt einmal gar daran erstickt!«
Darauf hielten sie ein Todtenmal und waren gar nicht traurig dabei. Das wird nun Niemand loben wollen, aber der Geiz und die Hartherzigkeit sind hässliche Laster und das Sprichwort bleibt immer wahr: »Wer einem andern eine Grube gräbt, fällt selbst hinein!« – oder wie der Italiener sagt: »Wer einem Andern eine Schlinge legt, fängt sich selbst darin!« –