53. Hans der Starke.
(Zuam dal fort.)

[150] (Vgl. Grimm, Märchen Nr. 20 und III. S. 29.)


Einmal war ein Schuster, der arbeitete bei einem Herrn. Es war ein warmer Tag und Hans – so hiess er – trank viel, freilich war es nur Wasser. Als sein Blick einmal auf den Wasserkrug fiel, der vor ihm stand, bemerkte er, dass die Fliegen ganz dicht daran sassen und rasch fuhr er mit seiner breiten Hand darüber. Darauf zählte er die todten Fliegen; als er aber bis hundert gezählt hatte, liess er's sich genug sein und es kam ihm ein kluger Gedanke – denn er war der ewigen Schusterpecharbeit längst müde. Er liess sich nämlich ein Eisenplättchen machen und mit grossen Buchstaben darauf schreiben: »Hans der Starke, welcher hundert und darüber erschlagen hat!« Diese Inschrift hing er sich an die Brust und ging in die weite Welt. Ueberall staunten die Leute, wenn sie die Inschrift lasen und fürchteten sich gar sehr, denn sie glaubten, der starke Hans habe Menschen erschlagen.

Hans ging und kam in einen Wald, wo ein Riese mit seinem Weibe wohnte. Als dieser die Inschrift gelesen hatte, sagte er: »Wenn du wirklich so stark bist, so komm mit mir, wir wollen in den Wald gehen und diesen goldenen Schlägel werfen. Wer ihn weiter wirft, der soll der stärkere sein. »Der Schuster musste einwilligen, mochte er wollen oder nicht und sie gingen, bis sie auf einen weiten freien Platz kamen. Zuerst warf der Riese und der Schlägel flog eine gute Strecke weit; dann ging er und brachte ihn Hansen, »nun wirf du!« Hans war kaum im Stande den Schlägel aufzuheben; aber bevor er ihn warf, schaute er weit umher und schrie dann mit gewaltiger Stimme: »He dort, ihr Leute über dem Meere, gebt Acht!« Erstaunt fragte der Riese: »Was schreiest du denn so laut?« »Ei nun«, erwiederte[150] Hans gelassen, »ich möchte über dem Meere Niemanden treffen, wenn ich den Leuten dort drüben den Schlägel hinüberwerfe.« Ganz erschrocken griff der Riese nach seinem Schlägel und rief: »Lass es nur gut sein, denn ich will nicht, dass mir die Leute jenseits des Meeres mein schönes Gold forttragen.« Darauf gingen sie nach Hause. Der Riese erzählte es seinem Weibe, diese aber ward zornig und sagte: »Hättest du es ihn doch versuchen lassen! Morgen geht auf den Berg und wer mehr Holz zu tragen im Stande ist, der soll der Stärkere sein!« Heimlich befestigten nun der Riese und sein Weib mit starken Stricken einen grossen Steinblock an der Zimmerdecke über dem Bette, in welchem Hans schlafen sollte. Als Hans schlafen ging, sah er sogleich den Stein, er sagte aber kein Wort, sondern stellte sich, als sei er sehr müde und könne kaum mehr die Augen offen halten. Als der Riese und sein Weib in ihre Schlafkammer gegangen waren, schob Hans sein Bett sachte bei Seite, blickte auf den Stein und dachte sich: »Nun fall' immer zu, sobald du willst mich triffst du nicht!«

Um Mitternacht schnitt der Riese von aussen die Stricke ab und mit ungeheurem Gepolter fiel der Stein nieder. »So«, sagte das Weib, »der hat genug auf immer; nun können wir ruhig schlafen und morgen, wenn es Tag ist, kannst du die Leiche im Walde draussen verscharren.«

Am Morgen trat Hans ganz wolgemuth aus seiner Kammer, während der Riese erschrack und es sich nicht zu erklären wusste, wie der andere noch leben könne. Als sie sich zum Frühstück gesezt hatten, sagte Hans: »Ich habe heute Nacht gemeint, es sei mir eine Fliege auf's Auge gefallen, doch beim Erwachen sah ich, dass es ein Donnerstein war.« Der Riese sagte kein Wort und sie gingen nun beide auf den Berg um Holz zu tragen. »Hast du die Stricke?« fragte Hans. Und der Riese erwiederte: »Ja, ich habe sie auf dem Berge.«

Als sie auf den bestimmten Platz gekommen waren, machte sich der Riese an die Arbeit und legte sich eine ungeheure Bürde Holz zurecht, so gross, wie er sie nach Hause zu tragen gedachte; Hans aber sah spöttisch lächelnd zu. Als der Riese fertig war, sagte er zu Hansen, er solle sich nun auch eine Bürde zurecht legen. »Zuerst will ich die Stricke haben«, sagte Hans. »Ich habe sie dir ja gegeben, dort liegen sie«, erwiederte der Riese. »Ei, die sind zu kurz und wol auch schier zu schwach«, sagte Hans voll Ernst; »denn das sag' ich dir, wenn ich zu arbeiten anfange, so nehm' ich gleich den ganzen[151] Wald, anders thu' ich's nicht«. Da erschrack der Riese abermals und sagte: »Nein, lass nur gut sein, ich will meinen Wald nicht verlieren!« Der Riese liess seine Bürde liegen und sie gingen nach Hause.

Daheim erzählte es der Riese wieder seinem Weibe, die aber ward sehr zornig und sagte: »Ei, wie dumm du bist, du hättest es ihn versuchen lassen sollen. Geht nur morgen wieder auf den Berg und dann lass ihn arbeiten und niederreissen, so viel er will.« Zugleich befestigten beide über Hansens Bette wieder einen noch viel grösseren Stein, als in der ersten Nacht; aber Hans schob sein Bett wieder bei Seite und führte am nächsten Morgen beim Frühstück wieder dieselben spöttischen Reden, wie am vorigen Tage.

Nun gingen sie abermals auf den Berg; da stand noch die Bürde des Riesen und dieser sagte zu Hansen, er solle nun auch eine Bürde machen. »Ei, Jammerschade um den schönen Wald«, sagte Hans, »aber du und dein Weib ihr wollt es einmal nicht anders haben.« Darauf sah er sich im Walde um, knüpfte die Stricke aneinander und sagte zum Riesen: »Ich gehe nun da ein wenig aufwärts und will die Stricke um die Bäume legen, damit ich die Arbeit auf einmal abthue.« »Soll ich dir helfen?« fragte der Riese. »Ich kann dich nicht brauchen«, erwiederte Hans, »ich will es auch durchaus nicht leiden; sonst sagst du hintenher, ich hätte die Arbeit nicht allein gethan. Geh lieber auf die Seite, damit die Bäume, die ich nieder reisse, dich nicht erschlagen; ich will mir erst noch eine Stelle aussuchen, wo ich bequem anfangen kann.«

Der Riese ging wirklich eine Strecke weit weg; denn er traute Hansen nicht recht und meinte, es könne ihm doch vielleicht Ernst sein. Als Hans den Riesen nicht mehr sah, fing er an, aus Leibeskräften zu laufen, um aus dem Walde hinaus zu kommen. Er kam zu einem kleinen See, daran war ein Weideplatz und ein Schäfer, der seine Schafe hütete. Schnell kaufte Hans ein Schaf, tödtete es, riss ihm die Eingeweide heraus und streute sie auf den Weg; das Schaf aber warf er in den See und sagte zum Hirten: »Wenn der Riese nachkommt und nach mir fragt, so sage, ich hätte mich umgebracht und sei in's Wasser gesprungen; dort auf dem Wege lägen noch meine Gedärme.« Dann versteckte er sich im Gebüsche.

Der Riese wartete ziemlich lange; endlich bemerkte er doch, dass sich Hans aus dem Staube gemacht habe und lief ihm nach. Als er zum Schäfer kam, fragte er diesen, ob er nicht einen Mann habe vorbei[152] laufen sehen. »O ja«, erwiederte der Schäfer, »aber der arme Mensch hat sich umgebracht und ist vor wüthigem Schmerz in den See gesprungen; sieh nur, dort auf dem Wege liegen noch seine Eingeweide!« Als der Riese die Eingeweide sah, glaubte er es, warf noch einen Blick auf den See und kehrte um.

Hans trat nun aus seinem Verstecke hervor, dankte dem Hirten und ging gemächlich weiter. Er kam in eine grosse Stadt; dort meldete man sogleich dem Könige, welch starker Mann angekommen sei. »Gerade recht«, sagte der König, »in der Umgegend hausen so viele Räuber, dass sie vor der Stadt ein Lager aufgeschlagen haben und ich es nicht wagen darf, sie anzugreifen. Nun will ich ihnen den starken Hans hinausschicken.« Er liess Hansen sogleich rufen und ihm eine schöne glänzende Rüstung anlegen; dann sezte man ihn auf ein Pferd und liess es beim Stadtthore hinaus. Hans hatte grosse Furcht und als er an einem Feldkreuze vorüberkam, wollte er sich daran festklammern, um doch vom Pferde los zu kommen; aber das Kreuz war morsch, es brach und blieb Hansen in den Armen, während das Pferd weiter rannte. So kam er dem Lager der Räuber nahe; als diese den Reiter mit dem Kreuze sahen, befiel sie eine tödtliche Angst, denn sie meinten, es sei ein Heiliger, der gegen sie komme. Sie flohen weit über die Gränzen des Landes hinaus und liessen sich nicht wieder sehen.

Hans aber bekam für seine Heldenthat vom hocherfreuten Könige so viel Ehren und Gold, dass er nun als reicher Herr gar fröhlich lebte bis an sein seliges Ende. Und sein Geld stahl ihm kein Dieb; denn wer hundert erschlagen, dem mochte es auf Einen dazu auch nicht ankommen.

Quelle:
Schneller, Christian: Märchen und Sagen aus Wälschtirol. Innsbruck: Wagner 1867, S. 150-153.
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