55. Tarandandò.

[158] (Vgl. Liebrecht, II. 34. Grimm, Märchen Nr. 55. Zingerle I. Nr. 36, II. S. 278. Pröhle, Kindermärchen Nr. 23.)


Es war einmal eine Mutter, die hatte eine einzige Tochter. Das war eben kein hässliches Mädchen, aber sie hatte den Fehler, dass[158] sie alles überklug angreifen wollte und auch lieber ass und faulenzte als arbeitete. Solche Töchter machen den Müttern wenig Freude und so war es auch hier. Das Töchterlein machte der Mutter nichts recht und diese kam das ganze Jahr aus dem Schelten nicht heraus.

Einmal ging die Mutter früh auf das Feld und sagte zur Tochter, die noch im Bette lag: »Koche gegen Mittag eine Suppe, wirf aber auch zwei Körner Reis hinein, dass ich zu essen finde, wenn ich heimkomme.« Zwei aber bedeutet nach Landesgebrauch im Reden nicht zu viel und nicht zu wenig; das wollte aber das Mädchen nicht verstehen. Sie stellte einen Kessel voll Wasser über das Feuer, klaubte zwei Körner Reis heraus und warf sie hinein. War das eine Suppe, als die Mutter heimkam! Sie schalt zwar, aber das half nichts, sie musste das Wasser wegschütten und sich selbst eine Suppe kochen, wenn sie essen wollte.

Ein anderes Mal ging die Mutter wieder fort und sagte: »Auf Mittag siede Fleisch,« »Ja wieviel soll ich denn nehmen?« fragte die Tochter. »Ei nimm, was ehrlich ist!« erwiederte die Mutter und ging. »Was ist denn ehrlich?« sann und klügelte die Tochter; da fiel ihr ein, dass ihr Esel, der im Stalle stand, auch Ehrlich heisse. »Ja, ja, den hat die Mutter gemeint«, rief sie; »er ist ohnehin alt und taugt nicht mehr viel; diesmal werde ich keine Scheltworte mehr bekommen.« Sie ging also in den Stall, schlug den armen Esel todt und zerhackte ihn in Stücke; dann stellte sie einen grossen Waschkessel über das Feuer, warf die Stücke in das Wasser und liess es sieden, dass es zischte und brauste. Als nun die Mutter nach Hause kam und sah, was geschehen war, gerieth sie in Verzweiflung und schlug mit beiden Fäusten auf die Tochter los; aber das machte den armen Esel nicht mehr lebendig. Und sein Fleisch war auch so zähe, dass es nicht zu essen war; sie warf es daher den Hunden hinaus und die konnten es auch nur fressen, weil sie bittern Hunger und scharfe Zähne hatten.

Darauf ging die Mutter wieder einmal fort und sagte zur Tochter: »Auf Mittag koch' ein Mus, aber mache deine Sache ordentlich.« Die Tochter kochte viel Mus, davon ass sie selbst sieben Teller voll, das achte aber, das kleinste, liess sie der Mutter übrig. Als diese kam und hörte, dass das Mädchen schon sieben Teller Mus gegessen habe, ward sie zornig und schalt sie lange und heftig aus. In demselben Augenblicke ging ein vornehmer Herr am Hause vorüber, der hörte das Schelten und trat ein. »Was scheltet Ihr denn dieses arme[159] Mädchen so?« fragte er. Da schämte sich die Mutter und erwiederte schnell: »Ei nun, ich schelte sie, weil sie zu viel arbeitet. Da hat sie heute sieben Spindeln voll gesponnen und ich will nicht, dass sie sich so anstrenge.« »Kann sie denn gar so gut spinnen?« fragte der Herr. »Da ist weit und breit im Lande keine Spinnerin, die so fleissig ist, wie meine Tochter«, antwortete die Mutter. Da sagte der Herr: »Wenn das so ist, könnt Ihr sie mir wol zur Frau geben; denn ich will eine arbeitsame Frau haben und eine bessere und fleissigere find' ich nimmer!« Mutter und Tochter willigten mit Vergnügen ein, die Hochzeit fand statt und der Herr führte seine junge Frau nach Hause.

Schon nach wenigen Tagen liess er einen grossen Haufen Flachs bringen und sagte: »Höre, Frau, ich gehe heute den ganzen Tag auf die Jagd; da sollst du bis morgen abends diesen Flachs spinnen.« Sie machte ein trübes Gesicht und sprach: »Herr Gemal, das ist nicht möglich.« Da ward er zornig und erwiederte ihr: »Meinst du, ich habe dich zur Frau genommen, damit du nichts arbeitest? Wenn du faulenzen willst, kannst du wieder nach Hause gehen.« Damit ging er fort auf die Jagd. Die Frau aber war in Verzweiflung; denn der Haufe Flachs war so gross, dass sie denselben auch mit hundert Mägden in zwei Tagen nicht hätte verspinnen mögen. Wie sie so rathlos davor stand, schlich ein rothgekleidetes Männchen herein mit einem Krönlein auf dem Kopfe und sprach: »Was seid Ihr denn so traurig? Was gebt Ihr mir, wenn ich Euch den Flachs spinne?« Die Frau antwortete nicht, aber das rothe Männchen fuhr fort: »Ich will den Flachs spinnen, aber ich stelle Euch die Bedingung, dass Ihr unter drei Malen meinen Namen errathen müsst, wenn nicht, seid Ihr mein und müsst mit mir kommen.« In ihrer Verzweiflung sagte die Frau ja und flugs erschienen unzählige kleine Männchen und trugen allen Flachs fort, so dass auch nicht ein Fäserchen zurückblieb.

Abends kam der Herr von der Jagd heim und als er seine Frau so still und einsilbig fand, meinte er, sie sei müde vom Spinnen. Bevor sie aber schlafen gingen, erzählte er ihr: »Denke nur, was mir heute begegnet ist. Als ich noch oben auf dem Berge war und es schon dämmerte, kam ich zu einer Spalte im Boden; da blickte ich hinab und sah unten einen weiten Raum, darauf sassen viel hundert kleine Teufelchen und zausten Flachs und spannen, dass es eine Freude war, ihnen zuzusehen. In der Mitte aber stand ein Thron, darauf sass ein rothgekleidetes Männchen mit einem Krönlein auf dem Kopfe, das schnalzte immerfort mit der Zunge und rief:
[160]

»Was wird sie thun – was wird sie sagen,

Wenn wir es morgen zu ihr tragen?

Da wird sie rathen so und so:

Ich aber heiss' Tarandandò!«


Da ward die Frau wieder fröhlich und sagte: »Ei, lieber Herr Gemal, wie rief doch das närrische Männchen?« Und als er es ihr wiederholte, schrieb sie den Namen heimlich auf und ging getrost zu Bette.

Am folgenden Morgen ging der Herr wieder auf die Jagd. Da kam das rothe Männchen mit hunderten kleiner Teufelchen, welche den Flachs herbei schleppten, der war fein und säuberlich gesponnen und es fehlte daran kein Härchen. Dann aber nahte sich das rothe Männchen der Frau und sagte mit höhnischem Lächeln: »Da ist der Flachs; nun aber rathet, was ich für einen Namen habe.« Die Frau stellte sich recht verlegen und sagte: »Heissest du etwa Peter?« »Nein«, rief das Männchen lachend. Und sie fragte mit noch trübseligerem Gesichte: »Heissest du etwa Toni?« »Nein«, erwiederte das Männchen und lachte noch höhnischer. Da stellte sie sich, als denke sie recht nach und müsse schier verzweifeln; dann aber sagte sie: Heissest du etwa – Tarandandò?« »O weh«, schrie das rothe Männchen, als hätte es eine Viper gestochen, versezte ihr einen heftigen Schlag auf die Wange und fuhr mit seinen Teufelchen durch die Luft von dannen, dass es rauschte und sauste, wie wenn der Sturmwind im Herbste die dürren Blätter hoch aufwirbelt und durch den Wald treibt.

Als der Herr abends nach Hause kam, zeigte ihm seine Frau den gesponnenen Flachs und er war ungemein zufrieden. »Aber warum ist deine Wange so angeschwollen?« fragte er. »Ja lieber Herr Gemal«, sagte sie, »das ist vom Spinnen.«

Aber bald darauf liess er wieder einen noch grössern Haufen Flachs bringen und befahl seiner Frau, denselben in wenigen Tagen zu spinnen. Da war sie in Verzweiflung; doch fiel ihr ein, sie habe eine Tante, die war ein ungemein schlaues und kluges Weib und hatte schon mancher Gevatterin aus einer Verlegenheit geholfen. Zu dieser ging sie und klagte ihr ihre Noth. »Da lass nur mich machen«, sagte die Tante; »geh heim und heute abends, wenn dein Herr zu Hause ist, will ich zu dir kommen und dich besuchen, du wirst dann schon sehen.« Und als es Abend ward, nahm sie eine todte Henne, füllte sie mit Blut und Fett, steckte sie unter die Achsel zwischen[161] Haut und Hemd und ging zu ihrer Base. Als sie in das Zimmer trat, wo der Herr und die Frau waren, ging ihr leztere sogleich entgegen und sagte: »Grüss Gott, liebe Tante, das ist recht schön, dass Ihr doch einmal zu uns auf Besuch kommt. »Ja, ja, hab' mich auch schon lange darauf gefreut«, sagte die Tante und drückte mit dem Arme gegen den Leib, so dass das Blut und das Fett auf den Boden rann, während sie ganz eingebogen da stand. »Ach, gute Frau, was macht ihr denn da?« sagte der Herr. Die schlaue Tante aber sah wie von ungefähr auf die Bluttropfen auf dem Boden und rief kläglich: »Ach, mein Leiden, mein altes Leiden, da hab' ich eine grosse Beule unter dem Arme und daher kommt das Blut.« »Ja, wie habt ihr denn dieses Leiden bekommen?« fragte der Herr mitleidig. »Ja wisst, gestrenger Herr«, erwiederte sie, »als ich noch jung und schön war, musste ich immer spinnen und davon bin ich so leidend geworden. Ach mein guter seliger Mann, wie es den verdross; ich glaube, es war Schuld an seinem frühen Tode!«

Als der Herr dies hörte, wandte er sich zu seiner Frau und sagte: »Höre, Frau, dass du mir ja keine Spindel mehr anrührst! Ich mag das Spinnen nicht mehr leiden!« Das war ihr ganz recht; sie hatte fortan das beste und gemächlichste Leben und wenn sie inzwischen nicht gestorben ist, so faulenzt sie noch heute. –

Quelle:
Schneller, Christian: Märchen und Sagen aus Wälschtirol. Innsbruck: Wagner 1867, S. 158-162.
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