3. Der Gevatter Tod.

[16] Einst heirathete ein ziemlich betagter Mann ein junges Mädchen, das ihm einen hübschen Knaben gebar. Die Freude des Alten, in seinen Jahren noch taufen lassen zu können, war ausserordentlich, und er beschloss, sich um einen tüchtigen Gevatter umzusehen, jedoch müsse derselbe schlecht und gerecht sein.

Als er sich also auf den Weg machte, sich nach einem solchen umzusehen, begegnete ihm ein ansehnlicher[16] alter Herr. »Wohin lauft ihr?« redete ihn dieser an. »Mir einen Gevatter bitten.« »Nun, wenn ich euch anständig bin, so will ich euch das christliche Werk wohl erzeigen.«

»Ja, sagt mir aber früher, wer ihr seid?«

»Ich bin unser Herrgott.«

»Ah!« sagte der Alte, »dann kann nichts daraus werden, denn erstens seid ihr mir ein zu grosser Herr und dann nehmt ihr manchen ins Paradies, der wo anders hin gehörte.«

Da begegnet ihm darauf ein anderer Herr. Auch dieser fragte ihn und bot sich ihm als Gevatter an.

»Ja lieber Herr! wer seid ihr denn eigentlich?« fragte der Alte.

»Ich bin der Teufel«, antwortete der Herr.

»Nun«, meinte der Alte, »schlecht wäret ihr wohl hinlänglich und noch über das Bedürfniss hinaus, aber nicht gerecht. Wie viele habt ihr schon geholt, die ein besseres Loos verdient hätten. Nein, ihr seid kein Gevatter, wie ich ihn will.«

Bald darauf kommt ihm ein einfacher, aber sehr alter Mann entgegen, der ihn abermals befragt, und nachdem er sein Anliegen gehört, sich als Gevatter anbietet.

»Nun, und wer seid denn ihr?« fragte der Alte.

»Ich bin der Tod«, antwortete hierauf der Fremde.

»Ha! Ihr seid mein Mann. Ihr kennt keinen Unterschied zwischen reich und arm, Stand und Rang, ihr seid ein gerechter Mann; daher, wenn es euch gefällig ist, so kommt mit mir nach Hause.«

Und da gingen sie zusammen nach Hause, dann in die Kirche und das Kind wurde getauft.

Als die Taufe vorüber war und der Tod bei dem darauf folgenden Imbiss schon ein wenig lustig wurde, sprach er zu dem Alten:

»Gevatter! Ihr habt mir eine Ehre erwiesen und mir eine Freude gemacht, ich will euch dankbar dafür sein und euch reich machen. Folgt meinem Rathe und werdet Doctor. Als solcher geht unbedenklich zu jedem Kranken, zu dem man euch ruft, nur seht beim Eintritt[17] in das Haus genau hinter die Thüre. Seht ihr mich dort stehen, so sagt unbedenklich, dass er sterben werde, seht ihr mich aber nicht, so verschreibt ihm viel oder gar nichts, der kommt sicher auf ohne oder trotz eurer Medicin.«

Diesen Rath befolgte der Alte. Sein erster Patient war ein grosser Herr, der äusserst gefährlich erkrankt war. Keiner der vielen gerufenen Aerzte wusste zu helfen, alle betrachteten ihn als rettungslos verloren, da liess seine Familie in der Verzweiflung den neuen Arzt rufen. – Dieser kam, und wie er ins Haus trat, sah er sich nach seinem Gevatter um; als er diesen nicht sah, bekam er Muth, schritt rasch auf den Kranken zu, raffte die Fläschchen und Pulver, die er neben ihm fand, zusammen und warf sie zum Fenster hinaus. »Was da Medicin!« rief er, »gebt ihm ein Stück Braten und ein Glas guten Wein, und ich stehe euch dafür, binnen kurzem ist er frisch und gesund wie ich.«

Richtig verliess der Kranke in wenig Tagen das Bett.

Ein andermal wurde er zu einem kräftigen Manne geholt, der ein kleines Fieberchen hatte. Da sah er seinen Gevatter hinter der Thür »Lasst den Geistlichen holen, sagt er zur Familie, denn der stirbt.« Da lachte man ihm ins Gesicht und liess andere Doctoren kommen, aber des Kranken Zustand verschlimmerte sich stündlich, und man endete damit, den Geistlichen in der Nacht holen zu lassen.

Da kommt einmal Gevatter Tod und ladet unsern Doctor zum Mittagsessen zu sich. Nach dem Essen zeigt er ihm alle Localitäten des Hauses, nur ein Zimmer nicht. »Gevatter«, sagte der Alte, »habt ihr dieses Zimmer vergessen oder darf ich es nicht sehen?«

»Warum denn nicht, wenn ihr wollt«, entgegnete der Tod und schloss es auf, und da sah er eine Unzahl kleiner Lämpchen theils brennen, theils verlöschen, theils sich erst entzünden.

»Was ist das?« fragte der Alte.

»Die Lichtchen, die verlöschen, sind die Lebensflammen derer, die in demselben Moment sterben, die[18] sich entzünden, sind die der Kinder, die geboren werden, die aber lustig flackern, sind die der Lebenden.«

»Ach Gevatter«, sagte der Alte hierauf, »zeigt mir doch mein Lämpchen.«

»Herzlich gerne«, entgegnete der Tod, und zeigte es ihm schon fast ganz ohne Oel, mit tief herabgebranntem Dochte, nahe dem Erlöschen.

»Nun«, meinte der Alte, »mir zu Liebe könntet ihr doch ein wenig Oel nachgiessen. Ich bin jetzt reich, habe ein braves Weib, einen herzigen Buben, kurz ich lebte gar zu gern noch ein wenig länger.«

»Nein«, sagte der Tod, »ihr habt einen gerechten Gevatter gewollt, und den habt ihr an mir gefunden; der Gevatterschaft zu Liebe kann ich keine Ausnahme machen.«

Da ging der Alte traurig nach Hause, küsste sein Weib und Kind, legte sich nieder und starb.


Vgl. Grimm, KM., Nr. 44 und die Anmerkungen dazu. Den von W. Grimm gegebenen Nachweisen füge ich noch hinzu das Märchen bei Schönwerth, Aus der Oberpfalz, Bd. 3, S. 12, das aus der Bukowina in Wolf's Zeitschrift für deutsche Mythologie, Bd. 1, S. 358, und das ungarische bei Stier, Ungarische Volksmärchen aus Gaal's Nachlass, Nr. 4, beide letztere mit eigenthümlichen Ausgängen. In einem slavischen Märchen in Wolf's Zeitschrift, Bd. 1, S. 262, ist der Tod als Gevatterin gedacht. Nur zum Theil hierher gehörig sind die Märchen bei Vernaleken, Oesterreichische Kinder- und Hausmärchen, Nr. 42, und Grundtvig, Gamle danske Minder, Bd. 2, S. 13. In dem spanischen Märchen von Juan Holgado und dem Tod (F. Caballero, Cuentos y poesias populares andaluces, Leipzig 1861, S. 83; F. Wolf, Beiträge zur spanischen Volkspoesie aus den Werken F. Caballero's, S. 70) ist das Märchen vom Gevatter Tod mit dem von den Boten des Todes (Grimm, KM., Nr. 177) verschmolzen und dabei sind die Gevatterschaft des Todes und die Lebenslichter weggefallen. Man vergl. auch noch über das Märchen vom Gevatter Tod: Grimm, D. Mythologie, S. 812 ff., und Benfey, Pantschatantra, Bd. 1, S. 525.

Quelle:
Widter, Georg/Wolf, Adam: Volksmärchen aus Venetien. In: Jahrbuch für Romanische und Englische Literatur 8 (Leipzig: 1866) 3ff, S. 16-19.
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