[191] 30. Die Geschichte von Ciccu.

Es war einmal ein armer Mann, der hatte drei Söhne; der älteste hieß Peppe1, der zweite Alfin, und der jüngste Ciccu2. Der Mann war sehr arm und eines Tages hatten er und seine Söhne nichts zu essen. Da berief er seine drei Söhne und sprach zu ihnen: »Meine lieben Kinder, ihr wißt wie arm wir sind. Ich sehe nun kein anderes Mittel,[191] als daß ich betteln gehe, denn ich bin alt, und kann nicht mehr ordentlich arbeiten.« »Nein, lieber Vater,« antworteten die Söhne, »betteln gehen dürft ihr nicht; lieber wollen wir selbst betteln und euch unterhalten. Wenn ihr es aber erlaubt, so wollen wir euch einen Vorschlag machen.« »Sprecht nur,« sagte der Vater. »Wir wollen euch in den Wald führen, dort könnt ihr mit unserer Axt Holz schneiden, wir binden die Bündel und tragen sie in die Stadt um sie zu verkaufen.« Der Vater war es zufrieden und sie machten sich auf den Weg nach dem Wald. Weil aber der Vater schon alt und schwach war, so nahmen ihn die Söhne der Reihe nach auf die Schulter, und trugen ihn bis zum Wald. Dort errichteten sie eine kleine Strohhütte3, wo sie die Nacht zubringen konnten, und nun ging der Vater jeden Morgen in den Wald und hieb Brennholz; die Söhne banden es zu Bündeln und trugen es in die Stadt, wo sie es verkauften, und dem Vater dafür Brod, Wein und andre Lebensmittel brachten. Während ihrer Abwesenheit hieb dann der Vater schon neues Brennholz, und die drei Brüder konnten somit jeden Morgen in die Stadt wandern.

Als sie einige Tage dieses Leben geführt hatten, frugen sie ihren Vater: »Wie fühlt ihr euch jetzt, lieber Vater?« »Recht gut; so können wir ja herrlich leben,« antwortete der Alte.

So vergingen mehrere Monate, da wurde der Vater recht krank, und fühlte, daß er sterben müsse. Da sprach er zu seinen Söhnen: »Liebe Kinder, holt mir einen Notar, daß ich mein Testament machen kann.« Als nun der Notar kam, sprach der Alte: »Ich besitze ein altes Häuschen im Dorf und den Feigenbaum der daneben steht. Das Haus laß ich meinen drei Söhnen zusammen, daß sie es bewohnen mögen; den Feigenbaum vertheile ich folgendermaßen: meinem Sohn Peppe lasse ich die Zweige; meinem Sohn Alfin lasse ich den Stamm; meinem Sohn Ciccu lasse ich die Früchte. Dann besitze ich eine alte Decke, die lasse ich meinem ältesten Sohn; eine alte Börse, die soll mein zweiter[192] Sohn haben, und ein Horn, das lasse ich meinem jüngsten Sohn.« Als der Vater so gesprochen hatte, starb er. Da sprachen die Brüder unter einander: »Was sollen wir nun machen? Sollen wir wie bisher im Wald bleiben, oder sollen wir in das Dorf zurück kehren? Wir wollen lieber hier bleiben, wir haben ja hier unser gutes Auskommen.« So blieben denn die Brüder im Wald, hieben Brennholz, und verkauften es nach wie vor in der Stadt.

Eines Abends nun begab es sich, daß es sehr heiß war, und sie sich ins Freie vor die Strohhütte schlafen legten. Da kamen drei Feen vorbei; die sahen sie so liegen und die Eine sprach: »Seht doch, liebe Schwestern, diese hübschen Burschen. Wollen wir nicht Jedem eine Gabe schenken?« »Thun wir das,« sagten die Schwestern. Da sprach die Erste: »Der Aelteste hat eine Decke; ich schenke ihm, daß, wenn er sie umhängt, und sich an irgend einen Ort hinwünscht, er sogleich dort sein soll.« Da sprach die zweite Fee: »Der zweite Bursche hat eine Börse; ich schenke ihm, daß, so oft er zur Börse spricht: Liebe Börse, ich gib mir diese oder jene Summe Geldes, er sie darin finden soll.« Da sprach die dritte Fee: »Der Jüngste besitzt ein Horn; wenn er auf dem schmalen Ende bläst, so soll das Meer von Schiffen wimmeln; bläst er auf dem breiten Ende, so sollen Alle wieder verschwinden.« Damit verschwanden sie. Ciccu aber hatte nicht geschlafen, sondern Alles mit angehört, und dachte: »Ei, da wäre ja allem Mangel abgeholfen.«

Als sie nun am nächsten Tage mit einander arbeiteten, sprach er zu seinen Brüdern: »Die alte Decke und die Börse sind ja ganz ohne Werth; ich bitte euch, gebt sie mir.« Die Brüder hatten den Ciccu sehr lieb, und weil er sie so freundlich bat, so gaben sie ihm die Decke und die Börse. Da sprach Ciccu: »Hört einmal, liebe Brüder, ich bin das Leben in dem Walde satt, wir wollen in die Stadt ziehen, und dort etwas anfangen.« »Ach nein, Ciccu, bleiben wir lieber hier,« sagten die Brüder, »hier haben wir es ja gut; wer weiß, wie es uns in der Welt ergeht.« »Wir können es ja einmal probiren,« meinte Ciccu, »wenn es uns schlecht geht, so kehren wir zum Wald zurück.« Da nahmen sie die[193] fertigen Holzbündel und trugen sie zur Stadt, und Ciccu nahm die Decke, die Börse und das Horn mit.

Als sie in die Stadt kamen, fanden sie, daß auf dem Markt Brennholz im Ueberfluß war; sie bekamen also nicht viel Geld für ihr Holz, und als sie es überzählten, langte es nicht einmal zu einem Mittagessen für sie. Ciccu aber sagte: »Kommt nur mit in das Wirtshaus, ich will uns schon etwas zu essen verschaffen.« Da gingen sie in das Wirthshaus, und Ciccu sprach zum Wirth: »Bringt uns ein Mittagessen mit drei Gerichten, das Beste, was ihr habt, und einige Flaschen guten Wein dazu.« Die Brüder erschraken, und flüsterten ihm zu: »Ciccu, was machst du denn? wie sollen wir bezahlen?« »Laßt mich nur machen,« antwortete Ciccu. Als sie nun gut gegessen und getrunken hatten, sprach Ciccu zu seinen Brüdern: »Geht ihr nur fort, ich will jetzt die Rechnung machen.« Die Brüder waren froh fortzukommen, denn sie dachten: »da setzt es gewiß Prügel ab.« Ciccu aber ließ sich von dem Wirth sagen, wie viel die Zeche betrage, und sprach dann zu seiner Börse: »Liebe Börse, gib mir eine Unze4,« und sogleich fand er in der Börse eine Unze. Da bezahlte er den Wirth, und kehrte vergnügt zu seinen Brüdern zurück. »Wie hast du denn den Wirth bezahlt?« frugen sie ihn. »Was geht euch das an? ich habe ihn schon dazu gekriegt, mich gehen zu lassen.« Die Brüder aber wurden ängstlich, und wollten nicht gern länger mit Ciccu zusammenbleiben. Da sprach Ciccu: »Hier schenke ich jedem von euch zwanzig Unzen, wendet sie wohl an; denn ich ziehe nun meine Straße und will mein Glück suchen.« Damit umarmte er sie und zog von dannen.

So wanderte er, bis er endlich in die Stadt kam, wo der König wohnte. Dort schaffte er sich schöne Kleider an, und kaufte sich ein schönes Haus, gerade dem königlichen Palaste gegenüber. Dann verschloß er das Thor, und ließ nun aus seiner Börse Gold auf die Treppe regnen, bis die ganze Treppe mit Gold überzogen war; die Zimmer aber ließ er herrlich ausschmücken. Als er nun das Thor wieder öffnete und[194] ein herrliches Leben begann, verwunderten sich alle Leute über die schöne goldne Treppe, und man sprach in der ganzen Stadt von Nichts anderm. Da hörte es der König, und ging hinüber, um das schöne Werk auch zu sehen, und Ciccu empfing ihn mit aller Ehrerbietung und führte ihn im ganzen Hause umher.

Nun hatte der König eine Frau und eine wunderschöne Tochter, die wollten auch gerne das schöne Haus mit der goldnen Treppe sehen. Da ließ der König bei Ciccu anfragen, ob er wohl seine Frau und seine Tochter in sein Haus führen dürfe, und Ciccu antwortete natürlich, es würde eine große Ehre für ihn sein, wenn die Königin und ihre Tochter zu ihm kommen wollten. Als nun Ciccu die schöne Königstochter sah, gewann er sie von Herzen lieb und wollte sie gern zu seiner Frau haben. Die Königstochter aber wollte gern wissen, wie er es angefangen habe die Treppe zu vergolden. Sie stellte sich also, als ob sie Gefallen an ihm hätte, und schmeichelte ihm mit freundlichen Worten, bis er endlich nicht mehr wußte, was er that, und ihr erzählte, wie die drei Feen im Walde den Zauberspruch über die Decke, die Börse und das Horn ausgesprochen hatten. Da bat sie ihn, er möge ihr doch die Börse auf einige Tage leihen, damit sie sich eine eben solche Börse machen könne, und so groß war seine Liebe zu ihr, daß er Alles vergaß und ihr die Börse gab.

Die Königstochter nahm sie mit nach Hause, und dachte nicht mehr daran, sie dem armen Ciccu wiederzugeben. Unterdessen hatte Ciccu alles Geld verbraucht, das er noch hatte, und weil er seine Börse nicht hatte, so wußte er auch nicht, wo er Geld hernehmen sollte. Da ging er zur Königstochter, und bat sie, ihm doch die Börse wiederzugeben, sie aber wußte ihn immer hinzuhalten, bis er endlich eines Tages keinen Grano mehr hatte. Da ging er zu ihr und sprach: »Heute mußt du mir durchaus meine Börse wiedergeben, ich habe sie eilig nöthig.« Sie antwortete: »Ach laß sie mir nur noch bis morgen früh dann sollst du sie gewiß bekommen.« Ciccu ließ sich wieder überreden, am nächsten Morgen aber erhielt er die Börse doch nicht. Da gerieth er in einen[195] großen Zorn und schwur, sich an dem Mädchen zu rächen. Als es nun dunkle Nacht geworden war, nahm er einen Stock in die Hand, hing die Decke um, und wünschte sich in das Schlafzimmer der Königstochter. Kaum hatte er den Wunsch ausgesprochen, so war er auch schon dort. In einem schönen Bette lag die Königstochter, Ciccu aber riß sie unsanft heraus, und schlug sie so lange, bis sie ihm die Börse zurückgab; dann wünschte er sich in sein Haus zurück.

Die Königstochter aber eilte voll Zorn zu ihrem Vater und klagte ihm die Beleidigung, die ihr widerfahren war. Da gerieth der König in große Wuth, schickte sogleich in das Haus gegenüber, und ließ den armen Ciccu gebunden herüberführen. »Du hast den Tod verdient,« sprach er zu ihm, »ich will dir aber das Leben schenken, wenn du mir sogleich die Decke, die Börse und das Horn auslieferst.« Was konnte Ciccu thun? Das Leben war ihm lieb, und so überbrachte er dem König die drei Gegenstände, und war nun wieder so arm als zuvor.

Es war aber gerade die Zeit, als die Feigen reiften, da dachte er denn: »Ich will einmal gehen und nachsehen, ob der Feigenbaum Früchte getragen hat.« Als er nun an das Häuschen kam, fand er dort seine Brüder, die hatten ihr Geld durchgebracht, und lebten nun kümmerlich. Der Feigenbaum aber war mit den schönsten Früchten beladen. Da nahm Ciccu ein Körbchen und wollte Feigen pflücken, sein Bruder Peppe aber sprach: »Halt, die Feigen gehören freilich dir, aber die Zweige gehören mir, und wenn du deine Feigen pflückst, so darfst du meine Zweige nicht berühren.« Da legte Ciccu eine Leiter an, um die Feigen besser erreichen zu können, aber sein Bruder Alfin rief ihm zu: »Halt, der Stamm gehört mir zu und du darfst ihn nicht berühren.« Als sie sich nun darüber stritten, und sich nicht einigen konnten, sagte endlich der Eine: »Wir wollen die Sache dem Richter vortragen.« Da gingen sie zum Richter und erzählten ihm den ganzen Hergang, und der Richter sprach zu Ciccu: »Da du die Feigen nicht pflücken kannst, ohne dabei den Stamm und die Zweige zu berühren, so rathe ich dir, den ersten Korb deinem Bruder Peppe zu geben, den zweiten deinem Bruder Alfin[196] und den Rest kannst du behalten.« Die Brüder waren es zufrieden, und im Nachhausegehen sprachen sie untereinander: »Wir wollen Jeder einen Korb Feigen dem König bringen, vielleicht schenkt er uns etwas dafür, und was er uns schenkt, das wollen wir redlich theilen.« Da pflückte Ciccu einen Korb der schönsten Feigen, und Peppe machte sich damit auf den Weg ins königliche Schloß.

Unterwegs begegnete ihm ein altes Männchen, das frug ihn: »Was trägst du in deinem Korb, schöner Bursche?« »Was geht euch das an,« rief Peppe »bekümmert euch um eure eignen Angelegenheiten.« Der Alte frug ihn mehremals und endlich antwortete Peppe voll Aerger: »Dreck!« »Gut,« sprach das Männchen, »Dreck hast du gesagt und Dreck soll es werden!« Als nun Peppe am Schloß ankam, klopfte er an, und ein Diener frug ihn, was er wünsche. »Ich habe hier ein Körbchen schöner Feigen,« antwortete Peppe, »sie sind zwar nicht werth, vor den König zu kommen, aber seine Majestät möge sie doch annehmen, um sie der Dienerschaft zu geben.« Der König ließ den Peppe ins Zimmer hineinkommen, und befahl man solle einen Präsentirteller bringen, um die Feigen darauf zu legen. Als Peppe aber den Korb abdeckte, lagen ganz oben einige Feigen, sonst aber war im Korb nichts als Dreck. Der König gerieth in einen heftigen Zorn und ließ dem unglücklichen Burschen funfzig Stockschläge aufzählen. Betrübt schlich Peppe nach Haus, erzählte aber seinen Brüdern nichts davon, sondern als sie ihn frugen, was der König ihm geschenkt habe, antwortete er: »Wenn wir alle dort gewesen sind, will ich es euch sagen.«

Als nach einigen Tagen wieder ein Körbchen reifer Feigen auf dem Baume waren, pflückte Ciccu sie ab, und Alfin machte sich damit auf den Weg zum König. Unterwegs begegnete ihm ein altes Männchen, das frug ihn: »Was trägst du in deinem Korb, schöner Bursche?« »Hörner!« antwortete Alfin. »Gut,« sprach der Alte, »Hörner hast du gesagt und Hörner sollen es werden.« Als nun Alfin am Schloß ankam, klopfte er an, und sprach zum Diener: »Hier ist ein Körbchen schöner Feigen; sie sind freilich nicht werth auf des Königs Tisch zu kommen; Seine Majestät[197] möge sie aber doch annehmen, um sie der Dienerschaft zu geben.« Der König ließ ihn hereinkommen, und befahl seinem Diener, einen Präsentirteller zu bringen, und die Feigen darauf zu legen. Als nun Alfin die Blätter abdeckte, lagen nur einige Feigen oben auf im Korb: alle andern waren zu Hörnern geworden. Da wurde der König sehr erzürnt über die zugefügte Beleidigung und rief: »Habt ihr es darauf abgesehen, mich zum Besten zu haben? Gebt ihm sogleich hundertfunfzig Stockschläge!« Betrübt schlich Alfin heim, er wollte aber auch nicht sagen, wie es ihm ergangen war, sondern dachte: »Ciccu kann es auch einmal versuchen.«

Nach einigen Tagen pflückte Ciccu die letzten Feigen, die waren aber lange nicht so schön, als die ersten. Er machte sich aber dennoch auf den Weg zum König. Unterwegs begegnete ihm das alte Männchen und frug: »Was trägst du in deinem Korbe, schöner Bursche?« »Ich habe Feigen, die will ich dem König bringen,« sagte Ciccu. »Laß sie mich doch einmal sehen,« bat der Alte. Da nahm Ciccu den Korb herunter, und zeigte dem alten Männchen die Feigen; da bat das Männchen: »Ach, gib mir doch eine kleine Feige, ich habe ein solches Gelüste danach.« »Wenn ich eine Feige herausnehme, so wird man die Lücke bemerken,« meinte Ciccu, weil er aber ein gutes Herz hatte, und der Alte ihn so bat, so konnte er es ihm doch nicht abschlagen, und gab ihm eine Feige. Der Alte aß sie, behielt aber den Stumpf in der Hand, und bat sich noch eine aus, dann noch eine und noch eine, bis er einen guten Theil des Korbes ausgegessen hatte. »Wie soll ich nun die Feigen dem König bringen?« sagte Ciccu, »es fehlen ja so viele davon.« »Sei nur ruhig,« sprach das Männchen, und warf alle die Stümpfe in den Korb, »gehe hin und bringe dem König den Korb, es wird dein Glück sein. Decke aber unterwegs den Korb nicht auf.« Da nahm Ciccu den Korb und brachte ihn dem König, wenn auch mit Angst und Zittern. »Hier sind einige Feigen,« sprach er zum Diener. »Sie sind freilich nicht werth auf des Königs Tisch zu kommen; Seine Majestät aber möge sie annehmen, und sie der Dienerschaft geben.« Als der König hörte, es sei wieder einer da mit Feigen, sprach er: »Will mich der auch zum Besten haben? Nun,[198] laßt ihn einmal hereinkommen.« Als nun Ciccu den Korb abdeckte, war derselbe bis oben angefüllt mit den herrlichsten Feigen. Da freute sich der König, und schenkte ihm fünf Thaler und einen großen Teller mit Süßigkeiten, und weil ihm der schmucke Bursche so wohl gefiel, frug er ihn, wie er heiße, und ob er in seine Dienste treten wolle, denn er hatte ihn nicht erkannt. Ciccu sagte ja, er wolle nur zuerst die fünf Thaler seinen Brüdern bringen.

Als sie nun alle drei bei einander waren, sprach Peppe: »Jetzt laßt sehen, was jeder von uns vom König bekommen hat.« »Ich bekam funfzig Stockschläge.« – »Und ich hundertfunfzig,« sprach Alfin. »Ich habe fünf Thaler bekommen, und diese Süßigkeiten,« sprach Ciccu. »Ihr könnt es aber unter einander theilen; denn der König hat mich in seinen Dienst genommen.« Also kam Ciccu an den Hof, und diente dem König, und der König gewann ihn immer lieber.

Nun waren aber seine beiden Brüder neidisch auf das Glück, das ihrem jüngsten Bruder zu Theil geworden war, und trachteten, wie sie ihm schaden könnten. Da kamen sie zum König und sprachen: »Herr König, euer Schloß ist sehr schön, erst dann aber wird man es mit Recht königlich nennen, wenn ihr den Säbel des Menschenfressers5 habt.« »Wie kann ich denn den erlangen?« frug der König. »O, sagt es nur dem Ciccu, der kann den Säbel wohl holen.« Da ließ der König seinen treuen Ciccu vor sich kommen, und sprach: »Ciccu, es ist mir einerlei, wie du es anfängst, du mußt mir aber um jeden Preis das Schwert des Menschenfressers verschaffen.«

Nun war in dem Marstall des Königs ein verzaubertes Rößlein, das war klein und zierlich, und konnte sprechen. Ciccu aber hatte eine große Liebe zu dem Rößlein. Da ging er in den Stall, streichelte es und sprach: »Ach Rößlein, liebes Rößlein, nun werden wir uns wohl nimmer wieder sehen; denn ich soll dem König um jeden Preis das Schwert des Menschenfressers verschaffen.« – »Sei nur ruhig,« sagte[199] das Rößlein, »und thue was ich dir sage. Laß dir vom König funfzig Unzen geben, und die Erlaubniß auf mir zu reiten, und dann wollen wir uns auf den Weg machen.« Da ging Ciccu zum König, erbat sich funfzig Unzen und das Rößlein und ritt davon. Das Rößlein aber wies ihm den Weg, und sagte ihm immer, was er thun sollte.

Als er nun in das Land des Menschenfressers kam, berief Ciccu fünf oder sechs alte Weiber, und sprach: »Ich gebe jeder einen Thaler, wenn ihr mir einen ganzen Sack voll Läuse zusammensucht.« Mit den Läusen aber ging Ciccu in das Haus des Menschenfressers, als er gerade nicht da war, und steckte alle die Läuse ins Bett, sich selbst aber versteckte er unter dasselbe. Als nun der Menschenfresser nach Hause kam, und sich zu Bette legen wollte, legte er sein Schwert ab, das verbreitete einen wunderbaren Glanz. Kaum aber war er zu Bette, so fingen die Läuse an, ihn zu quälen, daß er es nicht mehr aushalten konnte. Da stand er auf, brummte und schalt, und fing an, die Läuse zu suchen. Diesen Augenblick benutzte Ciccu, ergriff das Schwert, sprang die Treppe hinunter, und schwang sich auf sein Rößlein, das wie der Wind mit ihm davonlief. Als Ciccu zum König kam, war derselbe hoch erfreut und gewann seinen treuen Ciccu lieber als je.

Die Brüder aber kamen wieder zum König und sprachen: »Das Schwert hat Ciccu wohl gebracht, wenn er aber den Menschenfresser selber holte, so würde dieses Schloß mit Recht ein königliches genannt werden können.« Da ließ der König seinen Diener rufen, und sprach: »Ciccu, du mußt mir um jeden Preis den Menschenfresser lebendig herbringen; es ist mir gleichgültig, wie du es anfängst, aber den Menschenfresser mußt du mir herschaffen.« Betrübt ging Ciccu zum Rößlein in den Stall und klagte ihm seine Noth, das Rößlein aber sprach: »Sei nur ruhig, und sage dem König, du müßtest funfzig Unzen haben und wollest mich mitnehmen.« Das that Ciccu und wanderte nun mit seinem Gelde und dem Rößlein davon. Das Rößlein aber rieth ihm immer, was er thun müsse.

Da sie nun in das Land des Menschenfressers kamen, ließ Ciccu[200] in allen Kirchen die Todtenglocken läuten, und überall verkündigen: »Ciccu, der Diener des Königs, ist gestorben.« Als der Menschenfresser das hörte, ward er sehr erfreut und rief: »Das ist gut, daß dieser Bösewicht gestorben ist, dieser Dieb, der mir mein Schwert gestohlen hat.« Ciccu aber nahm eine Axt und eine Säge, und ging in den Wald des Menschenfressers und fing an eine Pinie umzuhauen. Der Menschenfresser aber rief: »Wer untersteht sich, in meinem Walde eine Pinie umzuhauen?« Da antwortete Ciccu: »Ach, edler Herr, es ist mir befohlen, einen Sarg für den Diener des Königs, für den Ciccu, herzurichten, und da wollte ich diese Pinie dazu benutzen.« Der Menschenfresser erkannte ihn nicht, und weil er so erfreut war über Ciccus Tod, so rief er: »Warte ein wenig, ich will dir helfen,« lief in den Wald, und Beide zusammen hieben die Pinie um; dann zersägten sie den Stamm, fügten die Bretter an einander, und bald war der Sarg fertig. Da kratzte sich Ciccu hinter den Ohren, und sprach: »Nein, was bin ich doch so dumm, ich habe ja kein Maß genommen; wie kann ich wissen, ob die Größe richtig ist? Doch eben fällt mir ein, Ciccu war eben so groß als ihr; thut mir den Gefallen, und legt euch in den Sarg, damit ich eben einmal sehen kann, ob er groß genug ist.« Der Menschenfresser ging richtig in die Falle, und legte sich in den Sarg. Ciccu aber schlug den Deckel zu, band einen starken Strick darum, und lud mühsam den Sarg auf sein Rößlein, das lief wie der Wind ins Schloß zurück. Der König aber ließ einen großen eisernen Käfig machen und den Menschenfresser hineinsperren.

Nun begab es sich zu derselben Zeit, daß des Königs Gemahlin starb, und der König sollte sich wieder verheirathen. Er fand aber keine Königstochter die ihm gefallen hätte. Da kamen die neidischen Brüder wieder zu ihm, und sprachen: »Nur Eine ist würdig, eure Gemahlin zu sein, Herr König; das ist die Schönste der ganzen Welt.«6 »Wo ist sie denn zu finden?« frug der König. »O, sagt es nur dem Ciccu, der wird[201] sie euch schon verschaffen.« Da ließ der König seinen treuen Ciccu kommen, und sprach: »Ciccu, wenn du mir binnen acht Tagen nicht die Schönste der ganzen Welt herbringst, so lasse ich dich enthaupten.« Weinend ging Ciccu in den Stall zum Rößlein und sprach: »Ach, liebes Rößlein, nun sehen wir uns nicht wieder; denn in acht Tagen muß ich sterben, wenn ich nicht dem König die Schönste der ganzen Welt herbringe.« »Sei nur ruhig,« sprach das Rößlein, »laß dir vom König etwas Honig und Brod geben, und etwas Geld, und nimm mich mit.« Das that Ciccu und machte sich mit seinem Rößlein auf den Weg.

Als er eine Weile geritten war, sah er am Boden einige erschöpfte Bienen liegen, die konnten vor Hunger nicht mehr fliegen. »Steig ab, und gib den armen Thierchen deinen Honig,« sprach das Rößlein. Das that er und ritt weiter. Wieder nach einem Weilchen kamen sie an einen Strom, an dessen Ufer lag ein Fisch, der zappelte auf der trocknen Erde. »Steig ab, und wirf den Fisch ins Wasser, er wird dir nützen,« sprach das Rößlein. Da stieg Ciccu ab, warf den Fisch ins Wasser und ritt weiter. Wieder nach einem Weilchen sah er einen Adler, der hatte sich mit dem Bein in einer Schlinge gefangen. »Steig ab, und befreie den armen Adler aus der Schlinge, er wird dir nützen,« sprach das Rößlein, und Ciccu stieg ab und half dem Adler.

Endlich kamen sie in die Nähe des Schlosses, wo die Schönste der ganzen Welt mit ihren Eltern wohnte. Da sprach das Rößlein: »Steige ab, und stelle dich auf diesen Stein, denn ich muß nun allein in das Schloß. Wenn du mich mit der Königstochter zurückjagen siehest, so springe hinten auf, und halte sie fest, damit sie nicht herunterspringt. Wenn du aber nicht aufpassest, und nicht zu rechter Zeit aufsitzest, so sind wir beide verloren.« Ciccu stieg ab, und stellte sich auf den Stein; das Rößlein aber sprang in den Schloßhof hinein, und fing an, gar zierlich darin herum zu traben. Bald versammelten sich alle Leute aus dem Schloß, um das niedliche Thier zu sehen, das sich von Allen streicheln ließ und so zahm war, und auch der König und die Königin kamen mit ihrer Toter in den Schloßhof. Da sprach die Schönste der[202] ganzen Welt: »Ach, Vater ich möchte gern ein wenig reiten,« und setzte sich auf das Rößlein, das so zahm aussah. Kaum aber saß sie auf dem Rücken des Pferdes, so jagte das Rößlein mit ihr davon, und wenn sie nicht fallen wollte, so mußte sie sich an er Mähne festhalten. Als nun das Rößlein an dem Stein vorbeijagte, wo Ciccu stand, schwang sich dieser mit einem Satz hinter die Königstochter und hielt sie fest. Da nahm die Schönste der ganzen Welt ihren Schleier vom Kopf und warf ihn zu Boden, und als sie an den Strom kamen, zog sie einen Ring vom Finger, und warf ihn ins tief Wasser.

Als sie nun in das Schloß kamen, war der König hoch erfreut, eilte ihr entgegen, und sprach zur Schönsten der ganzen Welt: »Edles Fräulein, nun müßt ihr meine Gemahlin werden.« Da antwortete sie: »Dann erst werden wir Mann und Frau sein, wenn Ciccu mir den Schleier bringt, der mir unterwegs entfallen ist.« Der König rief seinen Diener herbei und sprach: »Ciccu, wenn du mir nicht sogleich den Schleier der Schönsten der ganzen Welt bringst, so lasse ich dich enthaupten.« Da schlich Ciccu weinend zu seinem Rößlein in den Stall, und klagte ihm sein Leid; das Rößlein aber sprach: »Sei nur ruhig, laß dir Lebensmittel für einen Tag geben, und setze dich dann auf meinen Rücken.«

Als sie nun ritten, kamen sie an den Ort, wo Ciccu den Adler aus der Schlinge befreit hatte, da sprach das Rößlein: »Rufe dreimal den König der Vögel, und wenn er dir antwortet, so sage ihm, er solle dir den Schleier der Schönsten der ganzen Welt verschaffen.« Da rief Ciccu dreimal den König der Vögel, und nach dem drittenmal frug eine Stimme: »Was ist dein Begehr?« »Schaffet mir den Schleier der Schönsten der ganzen Welt,« rief Ciccu. »Warte einen kleinen Augenblick,« rief die Stimme, »ein Adler ergötzt sich damit; der wird ihn dir gleich herbringen.« Nicht lange, so rauschte es in den Lüften, ein Adler senkte sich herab, und trug in seinem Schnabel den Schleier. Als Ciccu ihn aber genau ansah, war es derselbe Adler, den er befreit hatte. Da nahm Ciccu den Schleier, und eilte damit zum König, und der König brachte[203] ihn der Schönsten der ganzen Welt, und sprach: »Hier ist der Schleier, nun müßt ihr meine Gemahlin wer den.« »Das geht nicht so schnell,« antwortete die Königstochter, »nicht eher können wir Mann und Frau sein, als bis Ciccu den Ring wiederbringt, der mir in den Strom gefallen ist.«

Der König ließ wieder den Ciccu rufen, und sprach: »Bringe mir sogleich den Ring zurück, den die Schönste der ganzen Welt in den Strom hat fallen lassen, sonst lasse ich dir den Kopf abschneiden.« Da ging Ciccu wieder in den Stall, und klagte dem Rößlein sein Leid, das Rößlein aber sprach: »Nimm Lebensmittel für einen Tag und setze dich auf meinen Rücken.« Das Rößlein aber brachte ihn zu dem Strom und sprach: »Rufe dreimal den König der Fische, und sage ihm, er solle dir den Ring wieder schaffen.« Da rief Ciccu dreimal den König der Fische, und eine Stimme antwortete: »Was ist dein Begehr?« »Schaffet mir den Ring herbei, den die Schönste der ganzen Welt hier verloren hat.« »Warte einen Augenblick,« sprach die Stimme, »ein Fisch ergötzt sich eben damit, er wird ihn dir gleich heraufbringen.« Nicht lange, so rauschte es in dem Wasser, und ein Fisch kam an die Oberfläche, der hielt im Maul den verlornen Ring. Als Ciccu ihn aber genau ansah, war es derselbe Fisch, den er damals vom Tode errettet hatte. Da nahm er den Ring und brachte ihn dem König, der gab ihn der Schönsten der ganzen Welt und sprach: »Hier ist der Ring, nun müßt ihr meine Gemahlin werden.« Sie aber antwortete: »Damit hat es noch Zeit, erst muß der Ziegelofen drei Tage und drei Nächte geheizt werden, und dann muß Ciccu sich hineinstürzen, dann erst können wir Mann und Frau werden.«

Da rief der König seinen treuen Ciccu, und befahl ihm, den Ziegelofen heizen zu lassen, und sich hineinzustürzen, »und thust du es nicht, so lasse ich dir den Kopf abschneiden.« Da ging Ciccu zum Rößlein, und sprach: »Lebewohl, mein liebes Rößlein, nun bin ich so gut wie todt, denn nun kann mich nichts mehr retten,« und erzählte ihm den Befehl des Königs. Das Rößlein aber sprach: »Laß nur nicht den Muth sinken; wenn der Ziegelofen ganz geheizt ist, so setze dich auf meinen Rücken, und jage[204] mich so lange herum, bis der Schweiß in Flocken auf mir liegt; dann springe herunter, wirf deine Kleider ab, und streiche mir den Schweiß mit einem Messer ab. Damit mußt du dich bestreichen, und dann getrost in den Ofen springen«. Das that denn Ciccu ganz getreulich, und jagte das Rößlein so lange herum, bis der Schweiß in Flocken auf ihm lag, den strich er mit einem Messer ab, bestrich sich damit, und sprang so vor den Augen des Königs und der Schönsten der ganzen Welt ins Feuer. Das Feuer aber hatte keine Gewalt über ihn, und er kam heraus, schöner als er bis dahin gewesen war.

Als ihn aber die Schönste der ganzen Welt so sah, wurde ihr Herz von Liebe zu ihm erfüllt, und sie sprach zum König: »Noch kann ich eure Frau nicht werden; erst müsset ihr ebenso wie Ciccu in den Ziegelofen springen.« »Ja, das will ich thun,« sprach der König; insgeheim aber rief er seinen treuen Ciccu, und frug ihn: »Sage mir Ciccu, was hast du gethan, daß das Feuer dich nicht verzehrt hat?« Ciccu aber grollte dem König, der ihn in so viele Gefahren geschickt hatte, deßhalb antwortete er: »Ich habe mich mit altem Fette bestrichen, da hat mir das Feuer nichts gethan.«

Der König glaubte diesen Worten, bestrich sich mit altem Fett, und sprang in den Ofen; das Fett aber fing an zu brennen, und der ganze König verbrannte. Die Schönste aber der ganzen Welt sprach zu Ciccu: »Nun wollen wir Mann und Frau sein, und der da kann uns das Licht halten«7. Da heirathete Ciccu die Schönste der ganzen Welt und wurde König; und sie wurden Mann und Frau, wir aber halten ihnen die Kerze.8

1

Giuseppe, Joseph.

2

Francesco, Franz.

3

Pagliaro.

4

Sechs rheinische Gulden.

5

Dravu.

6

A bedda di tuttu lu munnu.

7

Chiddu ui fa di cannileri.

8

Iddi ristaru maritu e mugghieri,

E nui comu tanti cannileri.

Quelle:
Gonzenbach, Laura: Sicilianische Märchen. Leipzig: Engelmann 1870, S. CXCI191-CCV205.
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