[59] 65. Vom Conte Piro.

Es war einmal ein armer Mann, der hatte einen einzigen Sohn. Dieser Sohn aber war dumm und unwissend. Als nun der Vater zum Sterben kam, sprach er zum Jüngling: »Mein Sohn, ich muß nun sterben, und habe Nichts dir zu hinterlassen als dieses Häuschen und den Birnbaum, der daneben steht.« Der Vater starb, und der Sohn blieb allein im Häuschen zurück. Weil er sich aber sein Brot nicht selbst verdienen konnte, so ließ der liebe Gott in seiner Barmherzigkeit den Birnbaum das ganze Jahr hindurch Früchte tragen, und davon nährte sich der Bursche.

Nun begab es sich eines Tages, als er eben vor seiner Hausthür saß, daß ein Fuchs vorbeikam. Es war zwar mitten im Winter, der Birnbaum war aber dennoch mit den schönsten, größten Früchten bedeckt. »O!« sprach der Fuchs, »frische Birnen in dieser Jahreszeit! Gib mir[59] ein Körbchen voll davon, so soll es dein Glück sein.« »Ach, Füchslein, wenn ich dir ein Körbchen voll gebe, was soll ich dann essen?« sprach der Bursche. »Sei still, und thu was ich dir sage,« antwortete der Fuchs, »du wirst sehen, es ist dein Glück.« Da gab der Bursche dem Füchslein einen Korb der schönsten Birnen, und der Fuchs ging damit zum König. »Königliche Majestät, mein Gebieter schickt euch dieses Körbchen mit Birnen, und bittet euch, sie in Gnaden anzunehmen,« sprach er zum König. »Birnen! in dieser Jahreszeit!« rief der König, »das ist mir noch nicht vorgekommen. Wer ist denn dein Gebieter?« »Der Conte Piro!«1 antwortete der Fuchs. »Wie kommt er denn dazu, in dieser Jahreszeit Birnen zu haben?« frug der König. »O, der hat alles, was er will,« antwortete der Fuchs, »der ist viel reicher als ihr selbst, königliche Majestät.« »Was könnte ich ihm denn für seine Birnen schenken?« frug der König. »Nichts, königliche Majestät,« sprach der schlaue Fuchs, »denkt nur, jedes Gegengeschenk würde ihn beleidigen.« »Nun denn, sage dem Grafen, ich ließe ihm danken für seine wunderschönen Birnen.«

Als nun der Fuchs wieder zum Burschen kam, rief dieser: »Aber, Füchslein, du hast mir ja nichts mitgebracht für meine Birnen, und ich bin so hungrig!« »Sei still,« antwortete der Fuchs, »und laß mich machen; ich sage dir, es wird dein Glück sein.«

Nach einigen Tagen sprach der Fuchs: »Du mußt mir jetzt wieder einen Korb voll Birnen geben.« »Ach, Füchslein, was soll ich denn essen, wenn du mir meine Birnen fortträgst?« »Sei still und laß mich machen,« sagte der Fuchs, und ließ sich einen großen Korb voll der schönsten Birnen geben. Damit ging er zum König, und sprach: »Königliche Majestät, da ihr den ersten Korb so gnädig angenommen habt, so erlaubt sich mein Gebieter, der Conte Piro, euch wieder ein Körbchen voll anzubieten.« »Nein, wie ist denn das nur möglich!« rief der König, »frische Birnen zu dieser Jahreszeit!« »Ach, das ist ja gar nichts,« sprach der Fuchs, »die beachtet der Graf kaum, so viele andre Reichthümer hat er.[60] Er läßt euch aber bitten, ihm eure Tochter zur Gemahlin zu gewähren.« »Wenn der Graf so reich ist,« antwortete der König, »so kann ich diese Ehre ja gar nicht annehmen, denn er ist viel reicher als ich.« »O, königliche Majestät, laßt das,« sprach der Fuchs. »Mein Herr wünscht eben eure Tochter zu seiner Gemahlin, etwas mehr oder weniger Mitgift ist ihm bei seinem Reichthum ganz gleichgültig.« »Ist er denn wirklich so reich?« frug der König. »O, königliche Majestät, wenn ich es euch sage! der ist viel reicher als ihr!« »Nun denn, so bitte ihn einmal herzukommen, und hier zu essen.«

Da ging der Fuchs zum Burschen und sprach: »Ich habe dem König gesagt, du seiest der Conte Piro und begehrtest seine Tochter zur Gemahlin.« »O, Füchslein, was hast du gethan!« schrie der arme Bursche. »Wenn der König mich nun sieht, so reißt er mir den Kopf ab.« »Laß mich doch machen, und sei still,« sprach der Fuchs; und ging in die Stadt zu einem Schneider, und sprach: »Mein Gebieter, der Conte Piro, wünscht den schönsten Anzug zu haben, den ihr fertig habt; das Geld bringe ich euch dann ein anderesmal.« Da gab ihm der Schneider einen prächtigen Anzug, und der Fuchs ging zu einem Pferdehändler, und verschaffte sich auf dieselbe Weise das schönste Pferd, das zu finden war. Dann mußte der Bursche die feine Kleidung anlegen, das Pferd besteigen, und auf das Schloß reiten; und der Fuchs lief vor ihm her. »Ach, Füchslein, was soll ich denn dem König sagen?« rief der Bursche. »Ich kann ja nicht sprechen, wie es sich einem so vornehmen Herrn gegenüber geziemt.« »Laß mich nur sprechen und verhalte dich ruhig,« sprach der Fuchs, »und wenn du nur ›Guten Tag‹ sagst, und ›Königliche Majestät‹, das Uebrige will ich schon sagen.«

Als sie nun auf das Schloß kamen, eilte der König dem Conte Piro entgegen, und begrüßte ihn mit allen Ehren, und führte ihn an den Tisch, wo auch die schöne Königstochter saß. Er war aber wie stumm, und sagte fast gar nichts. »Füchslein, der Conte Piro spricht ja gar nicht,« sagte der König leise zum Fuchs. Der aber antwortete: »Er hat eben so viel zu denken bei all seinen Reichthümern und[61] Schätzen.« Als sie gegessen hatten, nahm der Conte Piro Abschied und ritt wieder nach Hause.

Am andern Morgen aber sprach der Fuchs: »Gib mir noch einen Korb voll Birnen, daß ich sie zum König hintrage.« »Mache was du willst, Füchslein,« antwortete der Bursche, »aber du wirst sehen, daß es mir das Leben kostet.« »Sei doch still,« rief der Fuchs, »wenn ich dir sage, es wird dein Glück sein.« Also pflückte er die Birnen, und der Fuchs brachte sie zum König, und sprach: »Mein Gebieter, der Conte Piro, schickt euch dieses Körbchen voll Birnen, und möchte gern eine Antwort auf seine Anfrage haben.« »Sage dem Grafen, die Hochzeit könne stattfinden, sobald es ihm beliebt,« antwortete der König, und der Fuchs brachte dem Conte Piro ganz vergnügt diesen Bescheid. »Aber, Füchslein, wo soll ich denn meine Braut hinbringen?« frug der Bursche, »ich kann sie doch nicht in dieses alte schlechte Häuschen führen?« »Laß mich nur machen. Was geht dich das an? Habe ich bisher nicht alles gut gemacht?« sagte der Fuchs. Also wurde eine glänzende Hochzeit gefeiert, und der Conte Piro heirathete die schöne Königstochter.

Nach einigen Tagen sprach der Fuchs: »Mein Gebieter wünscht nun seine junge Frau in sein Schloß zu führen.« »Gut, und ich werde sie begleiten,« antwortete der König. Da bestiegen sie alle ihre Pferde, und der König nahm ein großes Gefolge von Reitern zu Pferde mit, und so ritten sie in die Piana2 hinein. Der schlaue Fuchs aber lief vor ihnen her. Als er nun an einer großen Schafherde, von vielen tausend Schafen, vorbeikam, frug er die Hirten: »Wem gehört diese Schafheerde?« »Dem Menschenfresser,« antworteten sie. »Still doch, still,« flüsterte der Fuchs, »seht ihr alle die bewaffneten Reiter die mir folgen? Wenn ihr sagt, die Schafe gehören dem Menschenfresser, so ermorden sie euch. Sagt lieber, sie gehören dem Conte Piro.« Als der König herangeritten kam, frug er: »Wem gehört denn diese wunderschöne Schafheerde?« »Dem Conte Piro,« riefen die Hirten. »Nein,[62] der muß reich sein,« rief der König und freute sich. Etwas weiter fand der Fuchs eine eben so große Schweineheerde, und frug die Hirten: »Wem gehört die Heerde?« »Dem Menschenfresser.« »Still doch, still; seht doch, was für eine große Anzahl von Reitern mir folgt. Wenn ihr ihnen sagt, die Schweine gehören dem Menschenfresser, so ermorden sie euch. Ihr müßt sagen, sie gehören dem Conte Piro.« Als nun der König zu den Schweinehirten kam, frug er, wem die große Schweineheerde gehöre; sie aber antworteten: »Dem Conte Piro,« und der König freute sich über den reichen Schwiegersohn.

Ein Stückchen weiter kam der Fuchs an eine große Pferdeheerde, und frug, wem sie gehöre. »Dem Menschenfresser.« »Still doch, still; seht ihr alle die Reiter, die mir folgen? Wenn ihr ihnen das sagt, so ermorden sie euch. Ihr müßt sagen, sie gehören dem Conte Piro.« Als nun der König kam, und frug, wem die Pferde gehörten, antworteten die Hirten: »Dem Conte Piro,« und der König freute sich, daß seine Tochter einen so reichen Mann geheirathet habe.

Der Fuchs aber lief immer weiter, und kam an eine große Rinderheerde. »Wem gehört diese Rinderheerde?« »Dem Menschenfresser.« »Still doch, still; seht ihr nicht die Reiter, die mir folgen? Wenn ihr ihnen das sagt, so ermorden sie euch. Ihr müßt sagen, sie gehören dem Conte Piro.« Bald darauf kam der König vorbeigeritten, und frug, wem die Rinderheerde gehöre. »Dem Conte Piro,« hieß es, und der König freute sich über seinen reichen Schwiegersohn.

Endlich kam der Fuchs an den Palast des Menschenfressers, der ganz allein mit seiner Frau wohnte. Da eilte er hinauf und rief: »Ach, ihr Armen, welches Schicksal steht euch bevor!« »Was ist denn geschehen!« frug der Menschenfresser ganz erschrocken. »Seht ihr die vielen Reiter, die mir folgen?« sprach der Fuchs, »die hat der König ausgesandt, euch zu ermorden.« »Ach, Füchslein, liebes Füchslein, hilf uns doch,« jammerten die Beiden. »Wißt ihr was?« sprach der Fuchs. »Kriechet in den großen Backofen hinein; wenn sie dann wieder fort sind, will ich euch rufen.« Das thaten sie, und krochen in den Ofen hinein, und baten[63] ihn: »Liebes Füchslein, verstopfe die Oeffnung mit Reisern, daß sie uns nicht sehen.« Das war gerade, was der Fuchs wollte, und er füllte die ganze Oeffnung mit Reisern aus. Dann stellte er sich vor der Hausthür auf, und als der König herangeritten kam, sprach er: »Königliche Majestät, geruhet hier abzusteigen; hier ist der Palast des Conte Piro.« Da stiegen sie ab und gingen die Treppe hinauf, und fanden da eine Pracht und einen Reichthum, daß der König ganz verwundert war, und dachte: »So schön ist ja selbst mein Schloß nicht. – Warum sind denn gar keine Diener da?« frug er den Fuchs. Der antwortete: »Mein Gebieter wollte nichts einrichten, ohne die Wünsche seiner schönen Gemahlin zu kennen; die kann nun schalten und walten, wie es ihr beliebt.« Als sie alles betrachtet hatten, kehrte der König auf sein Schloß zurück, und der Conte Piro mit der Königstochter blieben in dem schönen Palast. In der Nacht aber schlich der Fuchs zum Ofen, zündete die Reiser an, und machte ein großes Feuer, daß der Menschenfresser und seine Frau verbrannten. Am andern Morgen sprach der Fuchs zum Conte Piro und zu seiner Gemahlin: »Ihr seid nun glücklich und reich, nun müsset ihr mir aber Eines versprechen; wenn ich sterbe, so müsset ihr mich in einen schönen Sarg legen, und mit allen Ehren begraben.« »Ach, Füchslein, sprich nicht vom Sterben,« sagte die Königstochter, denn sie hatte den Fuchs lieb gewonnen.

Nach einiger Zeit wollte der Fuchs den Conte Piro auf die Probe stellen, und stellte sich todt. Als die Königstochter ihn so erblickte, rief sie: »Ach, das Füchslein ist todt, das arme liebe Thierchen! Jetzt müssen wir schnell einen recht schönen Sarg machen lassen.« »Einen Sarg für das Thier?« rief der Conte Piro, »nehmet ihn an den Beinen und werft ihn zum Fenster hinaus.« Da sprang aber der Fuchs auf und schrie: »O, du undankbarer, schmutziger Bettler, du Hungerleider, hast du denn vergessen, wie dein Glück mein Werk ist? wie ich dir zu allem verholfen habe? du schlechter, undankbarer Mensch!« »Ach, Füchslein, beruhige dich nur,« bat der Conte Piro, »es war nicht so schlimm gemeint; ich habe gesprochen, ohne zu denken, was ich sagte.« Da ließ[64] sich der Fuchs beruhigen, und lebte noch eine lange Zeit im Palaste des Conte Piro, und als er wirklich starb, machte ihm sein Herr einen schönen Sarg, und begrub ihn mit allen Ehren. Der Conte Piro aber und seine schöne Frau lebten glücklich und zufrieden, und wir sind leer ausgegangen.

1

Graf Birnbaum.

2

Die Ebene von Catania.

Quelle:
Gonzenbach, Laura: Sicilianische Märchen. Leipzig: Engelmann 1870, S. 59-65.
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