[229] Die Alte.

[229] Es war einmal eine Alte, die fegte in dem Kirchlein und fand einen Heller am Boden. Den nahm sie und sagte: »Was kaufe ich mir jetzt dafür? Kaufe ich mir Aepfel, muß ich den Griebs fortwerfen, wenn ich mir Nüsse kaufe, kann ich die Schalen nicht brauchen, und ebenso wenn ich mir Kastanien kaufe. Kaufe ich Brot oder Maisküchlein, fallen die Krumen herunter. Was also kauf' ich mir? ... Jetzt weiß ich's, ich werde mir rothe und weiße Farben kaufen, mir mein Gesicht zu bemalen.«

So geschah es: die Alte kaufte sich Weiß und Roth, bemalte sich damit das Gesicht und schaute dann zum Fensterchen hinaus. Kommt ein Esel vorbei, der bleibt stehen und ruft: »Mütterchen, was machst du dort am Fenster?« – »Ich will mich verheirathen.« – »Willst du wol mich zum Manne haben?« – »Laß mich erst hören, was für eine Stimme du hast.« – Und der Esel begann: »I–a, i–a, i–ah!« – »Mach', daß du fortkommst, vor dir würd' ich mich des Nachts fürchten.« Der Esel ging weiter.

Kommt eine Ziege vorbei: »Mütterchen, was machst du dort am Fenster?« – »Ich will mich verheirathen.«[230] – »Möchtest du wol mich zum Manne haben?« – »Laß mich hören, was für eine Stimme du hast.« – »Meck, meck, meck, bäh!« – »Mach', daß du fortkommst, vor dir würd' ich mich des Nachts fürchten!« Die Ziege ging weiter.

Kommt eine Katze gegangen: »Mütterchen, was machst du dort?« – »Ich will mich verheirathen.« – »Willst du mich etwa nehmen?« – »Laß hören, was für eine Stimme du hast.« – Die Katze begann: »Miau, miau, miau, miau!« – »Geh, pack' dich, du ängstigst mich des Nachts mit deiner Stimme.« Die Katze entfloh.

So kamen nach und nach alle Thiere der Welt vorbei, doch keins gefiel dem Mütterchen. Ganz zuletzt kam auch die Maus. »Mütterchen, was machst du da?« – »Ich will mich verheirathen.« – »Möchtest du mich wol nehmen?« – »Laß hören, was für eine Stimme du hast.« – Das Mäuschen machte: »Pip, pip, pip!« – »O komm herauf, deine Stimme gefällt mir!« Die Maus ging hinauf und blieb bei der Alten.

Tags darauf ging die Alte in die Messe. Sie ließ den Topf mit Essen am Feuer stehen und sagte zum Mäuschen: »Höre, daß du mir nicht etwa das Brötchen in die Brühe tunkst, könntest mir hineinfallen. Ich gehe jetzt in die Messe, komm' aber bald zurück.« Das Mäuschen antwortete: »Geh nur ohne Sorgen, ich werde mich wohl hüten.« So ging das Mütterchen in die Messe.

Wie sie nach Hause kam, fand sie die Thür verschlossen. Sie rief: »Gevatter Maus! Gevatter Maus!« Die Maus antwortete nicht. Da drückte die Alte die Thür ein und trat in das Haus. Sie schaute hierhin und dorthin und überall herum, aber die Maus fand[231] sie nicht. Sie blickte unter das Bett, und fand sie nicht. Sie blickte unter den Stuhl, und fand sie nicht – unter den Ofen, und fand sie nicht – in den Mörser, und fand sie nicht – in die Tischlade, und fand sie nicht. Endlich wurde ihr die Sache zu arg und sie sagte: »Ach, Gevatter Maus will sich gewiß einen Scherz mit mir machen. Jetzt suche ich sie nicht mehr, sondern esse ruhig mein Süppchen; wenn sie dann Lust hat, wird sie schon hervorkommen.«

Wie sie die Suppe ausgießen wollte, fand sie die Maus im Topfe. »Ach, wehe mir!« schrie sie da, ließ die Suppe fallen und weinte bitterlich. Als das die Asche auf dem Herde sah, stiebte sie hoch auf. Das Fenster fragte: »Warum stiebst du auf?« – »Ach, weißt du denn nicht, Gevatter Maus liegt im Topfe, das Mütterchen weint, und weil ich Asche bin, stiebe ich auf.« Antwortet das Fenster: »So will ich, weil ich ein Fenster bin, auf- und zuklappen.« Das sah das Fenstergitter und fragte: »Fensterlein, warum klappst du auf und zu?« – »Das weißt du nicht? Gevatter Maus liegt im Topfe, das Mütterchen weint, die Asche stiebt auf, und weil ich ein Fenster bin, will ich auf- und zuklappen.« – »So?« antwortete das Fenstergitter. »Nun, weil ich ein Gitter bin, will ich zerbrechen.« Und es zerbrach. Ein Vogel, der immer auf dem Baume saß, fragte: »Gitter, warum zerbrichst du denn?« – »Auch du weißt nichts? Gevatter Maus liegt im Topfe, Mütterchen weint, die Asche stiebt auf, das Fenster klappt auf und zu, und weil ich ein Gitter bin, wollte ich zerbrechen.« Antwortet der Vogel: »Weil ich ein Vogel bin, will ich mich rupfen.« Und er rupfte sich alle seine Federchen aus. Als der Baum den gerupften Vogel sah,[232] fragte er: »Warum rupftest du dich?« – »Ach, mein Lieber, du weißt nichts? Gevatter Maus liegt im Topfe, Mütterchen weint, die Asche stiebt auf, das Fenster klappt auf und zu, das Gitter zerbricht, und weil ich ein Vogel bin, hab' ich mich gerupft.« – »So? Nun weil ich ein Baum bin, will ich alle meine Blätter abschütteln.« Und er schüttelte sie ab.

Kam eine Magd daher, Wasser zu holen, sie sah den Baum und fragte ihn, warum er blätterlos stehe. Der Baum erzählte ihr die ganze Geschichte und sprach: »Gevatter Maus liegt im Topfe, Mütterchen weint, die Asche stiebt auf, das Fenster klappt auf und zu, das Gitter zerbricht, der Vogel hat sich gerupft, und weil ich ein Baum bin, hab' ich alle meine Blätter abgeschüttelt.« Sagt die Magd: »Weil ich eine Magd bin, will ich gleich einmal meinen Eimer zerschlagen.« Darauf ging sie zu ihrer Herrin, und die fragt sie, ob sie Wasser geschöpft. Die Magd sagt: »Ach, Frau, Ihr kennt die Geschichte nicht? Gevatter Maus liegt im Topfe, Mütterchen weint, die Asche stiebt auf, das Fenster klappt auf und zu, das Gitter zerbricht, der Vogel hat sich gerupft, der Baum seine Blätter abgeschüttelt, und weil ich die Magd bin, hab' ich den Eimer zerschlagen.«

Die Frau, welche eben das Mehl in den Trog gethan, um Brot zu backen, sagt: »So will ich, weil ich eine Herrin bin, das Mehl zum Fenster hinausschütten.« Der Herr kam nach Hause und fragte, ob das Brot gebacken sei; sie antwortete: »Mann, weißt du denn gar nicht, was da geschehen ist? Gevatter Maus liegt im Topfe, Mütterchen weint, die Asche stiebt auf, das Fenster klappt auf und zu, das Gitter zerbricht, der Vogel hat sich gerupft, der Baum seine Blätter abgeschüttelt,[233] die Magd hat den Eimer zerschlagen, und ich, weil ich die Herrin bin, hab' das Mehl zum Fenster hinausgeschüttet.«

Da antwortet der Herr: »Ei so will ich, weil ich der Herr bin, euch ganz gehörig den Buckel versalzen!« Er nahm einen Stock, und was hast du, was kannst du! gab er erst der Magd und dann der Frau eine tüchtige Tracht Prügel.

Quelle:
Kaden, Waldemar: Unter den Olivenbäumen. Süditalienische Volksmärchen. Leipzig: Brockhaus 1880, S. 229-234.
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