[85] Gewonnen.

[85] Es lebte einmal eine Alte, welche eine schöne Enkelin hatte. Sie waren so arm, daß sie nur von den Spenden guter Leute lebten, darum hieß auch das Mädchen Arm-Schönchen. Eines Tages kam ein Marktschreier ins Haus und zwar einer von denen, die die Leute glauben machen, daß sie die Zukunft prophezeien können, womit sie armen Frauen das Geld aus der Tasche locken. Er machte sich auch an Arm-Schönchen und überredete sie, sich von ihm weissagen zu lassen. Das arme Mädchen hatte aber nichts, was sie ihm geben konnte, als die Decke vom Boden, und da der Marktschreier damit zufrieden war, reichte sie ihm ihre Hand dar. Er machte das Kreuz hinein und sagte ihr, sie werde dereinst den Sohn des Königs zum Gemahl bekommen. Arm-Schönchen lachte der sonderbaren Weissagung, doch blieb sie ihr im Sinne haften und sie bewegte sie in ihrem Kopfe hin und her.

Das Haus des Mädchens stand aber nicht weit vom Schlosse des Königs, und an demselben Tage, wo ihr die Weissagung geworden, schaute der Königssohn zum Fenster heraus, lachte und sprach:


Deine Decke, die hast du verloren,

Der Königssohn ist dir nicht erkoren.
[86]

Arm-Schönchen antwortete: »Wir wollen's abwarten.«


Dieser von oben und jener von unten,

Im Königssohn hab' ich den Bräut'gam gefunden.

Ich hoffe zu Gott im Himmel droben,

Zur Königin werd' ich noch erhoben.

Ich hoffe auf Gott zu allen Zeiten,

Der Königssohn wird mir einst wandeln zur Seiten.


Der Königssohn lachte zwar, aber ein Funke war ihm ins Blut gefallen und der wollte nicht auslöschen.

Wie die Alte nach Hause kam und die Decke nicht mehr vorfand, raufte sie sich die Haare und schrie gar jämmerlich, sodaß ihr der Königssohn, um sie zu beruhigen, eine von den seinen ins Haus tragen ließ. Acht Tage vergingen, und der Königssohn dachte an weiter nichts, als Arm-Schönchen zu necken, indem er ihr jeden Tag dasselbe Verschen vorsagte. Dabei war aber jenes Fünkchen in seinem Herzen ein Feuer geworden, das hoch emporlohte und nicht mehr zu löschen war. Da kam seine Mutter, welche die Geschichte mit angehört hatte, auf den Gedanken, ihn zu verheirathen, denn die Neckerei mit Arm-Schönchen mußte ein Ende nehmen. Sie sprach mit dem Sohne, und der Sohn versprach, ihr zu Willen zu sein, so sie ihm ein Mädchen brächte, das Arm-Schönchen gliche. Da war nun freilich guter Rath theuer, dennoch meinte sie einen Ausweg finden zu können.

Sie besprach die Heirath mit einer Königstochter und ließ diese zu sich ins Schloß kommen, darauf berief sie die Alte und sagte ihr, sie wolle Arm-Schönchen haben, um sie mit dem Königssohn zu vermählen an Stelle der wahren Braut, wenn auch nur auf eine[87] Stunde, weil er eine Braut gewollt, die dem armen Mädchen völlig gliche. Die Alte theilte der Enkelin das Spiel mit, und die war bereit hinzugehen. Prächtig gekleidet stellte sie sich am nächsten Abend dem Königssohne vor, der sie für die Prinzessin hielt und, weil sie das gewünschte Gesicht hatte, heirathete.

Arm-Schönchen machte aber keine Anstalten, sich in die Brautkammer zurückzuziehen, sie kannte den Befehl der Herrscherin, sich bei passender Gelegenheit zu verstecken und die Königstochter hineinhuschen zu lassen, welche die wahre Braut sein sollte. Der Königssohn ahnte nichts von dem Betruge, erst wie er in die Brautkammer trat, merkte er, was geschehen war. Da schrie er so laut er konnte: »Verrath! Verrath!« Die Dienerschaft kam herbeigelaufen, Arm-Schönchen wurde aus ihrem Versteck gezogen, und die Königin-Mutter hatte das Spiel verloren. Sie machte aber eine gute Miene dazu, gab ihnen ihren Segen, und so wurde der Spruch Arm-Schönchen's wahr:


Ich hoffe auf Gott zu allen Zeiten,

Der Königssohn wird mir einst wandeln zur Seiten!

Quelle:
Kaden, Waldemar: Unter den Olivenbäumen. Süditalienische Volksmärchen. Leipzig: Brockhaus 1880, S. 85-88.
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