[167] Lichtmeß.

[167] Es war einmal ein König und eine Königin, die hatten kein Kind, und weil der König besorgte, nie eins zu bekommen, erließ er ein Gebot in alle Lande, das lautete: »Jeder, dem es gelinge, der Königin zu einem Kinde zu verhelfen, wird der Vornehmste im Lande nach dem Könige sein; gelingt es ihm aber nicht, muß er des Todes sterben.« Da kamen viele schöne Männer, Prinzen und Ritter, aber keinem gelang es, und sie bezahlten ihre Kühnheit mit dem Leben. Ganz zuletzt kann ein armer zerlumpter Greis, der trat vor den König und sprach: »Herr König, führt mich zu Euerer Gemahlin, und ich werde ihr zeigen, wie sie Kinder haben kann.« Alle, die den gebrechlichen Alten sahen, verlachten und verspotteten ihn, trotzdem führte ihn der König zu seiner Frau. Der Alte sah sie kaum an und sagte: »Herr König, laßt den Meerdrachen tödten, laßt sein Herz von einem Jungfräulein kochen, wobei diese schon durch den bloßen Duft der Hoffnung werden wird, gebt was gekochte Herz der Königin zu essen, und es wird ihr dasselbe geschehen, und beide, Jungfrau und Königin, werden gleichzeitig jede ein wunderschönes Knäblein geboren.«

Der König verwunderte sich zwar dieses Rathes, that[168] aber dennoch wie der Alte gesagt, und alles traf zu nach dessen Worten. Die Jungfrau wie die Königin schenkten je einem wunderschönen Knaben das Leben; der der Jungfrau wurde Lichtmeß, jener der Königin Emilio genannt. Doch nur im Namen waren sie verschieden, sonst glichen sie sich wie ein Ei dem andern. Sie liebten einer den andern mit großer Liebe, und im Anfange liebte sie auch die Königin ohne Unterschied. Als sie jedoch heranwuchsen, ärgerte sich die Königin, wie so gar kein Unterschied zwischen beiden sei, und ihr Herz füllte sich mit Misgunst gegen den Sohn der Magd. Alsbald behandelte sie ihn übel und wollte nicht, daß ihr eigener Sohn jenen als Bruder behandle. Das half ihr aber nichts, die Knaben liebten sich weiter mit unwandelbarer Liebe.

Eines Tages waren sie zusammen und vergnügten sich, Kugeln für die Jagd zu gießen. Emilio ging einen Augenblick beiseite, da näherte sich die Königin dem Herde und gab dem armen Lichtmeß mit der Feuerschaufel einen Schlag auf den Kopf, daß das Blut sofort aus breiter Wunde floß. Der arme Knabe sagte nichts, wischte sich das Blut ab und verband die Wunde, beschloß aber im Herzen, für immer dieses ungastliche Schloß zu verlassen und ein besseres Glück zu suchen. Als Emilio zurückkam und den Freund so fand, war er ganz außer sich und flehte ihn an, ihm das Geschehene zu erzählen. Weinend erzählte der andere ihm alles und sagte dann: »Lieber Bruder, unser Geschick will nicht, daß wir ferner zusammen leben, ich muß dich lassen.« Und was immer Emilio that, ihn zu halten, sein Entschluß stand fest.

Am nächsten Morgen nimmt Lichtmeß seine Doppelflinte,[169] seinen Hund und sein Pferd, ruft den Bruder in den Garten und sagt: »Theuerer Bruder, die Stunde der Trennung ist gekommen, doch werde ich dir ein Andenken hinterlassen.« Mit einem Stabe grub er ein Loch in die Erde, und da sprang ein silberhelles Quellchen hervor. Neben dieses Quellchen pflanzte er ein Myrtensträuchlein und sagte: »Siehst du jemals dies Wässerchen trüb, die Myrte welk, so ist dies ein Zeichen, daß ich in großer Trübsal bin.« Darauf umarmten sie sich, küßten sich unter Thränen, und Lichtmeß ritt davon.

Wie er so reitet, kommt er eines Tages an einen Scheideweg. Eine der Straßen führte in einen dichten Wald, wo, wer eintrat, niemals mehr herauskommen konnte, die andere in die weite Welt. An der Wegkreuzung lag ein Garten, und in dem Garten zankten sich gerade zwei Gärtner und waren nahe dabei, sich zu schlagen. Lichtmeß tritt zu ihnen und fragt sie um ihren Streit. Der eine der Gärtner antwortet: »Ich habe zwei Piaster gefunden, und davon will mein Gefährte einen haben, weil er bei dem Funde zugegen war. Ich mag ihm aber nicht recht geben.« Da nahm Lichtmeß vier Piaster aus seiner Börse, gab jenem, der schon zwei gefunden, die ersten und dem Gefährten die andern zwei. Ganz erfreut dankten die Gärtner und küßten ihm die Hand. Lichtmeß ritt weiter und nahm die Straße nach dem Walde. Da rief ihm der Gärtner, welcher jetzt vier Piaster besaß, nach: »Herrlein, diese Straße dürft Ihr nimmer reiten, sie führt in den Wald, aus dem kein Entkommen ist, nehmt doch die andere!« Lichtmeß dankte und lenkte in die andere Straße ein. Wie er ein Stück geritten war, sieht er zwei Buben, die mit Stöcken eine Schlange verfolgen. Er ruft ihnen zu:[170] »Laßt das arme Thier gehen!« Und die Schlange konnte entfliehen, doch hatten sie ihr schon ein Stück Schwanz abgeschlagen.

Eines Tages, da es dunkel wurde, fand sich Lichtmeß in einem großen, großen Walde. Die Nacht kam und mit ihr eine Kälte, daß er erfrieren wollte, dazu hörte man von allen Seiten das Geheul der wilden Thiere. Schon glaubte er sich verloren, als ihn ein wunderschönes Mädchen bei der Hand faßte. Sie trug eine Leuchte und sagte: »Armer Knabe! Komm! Erwärme und ruhe dich in meinem Hause.« Er glaubte zu träumen, und schweigend folgte er dem Mädchen. Wie sie angekommen waren, fragte sie ihn: »Erinnerst du dich noch einer Schlange, die du aus den Händen böser Buben rettetest? Diese Schlange bin ich. Sieh, jene schlugen mir ein Stück des Schwanzes ab, und dafür fehlt mir jetzt die Spitze des kleinen Fingers der linken Hand. Wie du aber mich aus der Hand der Buben rettetest, rette ich dich jetzt vor Kälte und wildem Gethier.« Der Knabe wußte nicht, wie er danken sollte, denn sie zündete jetzt ein großes Feuer an, bereitete den Tisch und lud ihn zum Essen ein, dann gab sie ihm eine Kammer, zu ruhen. Am nächsten Morgen küßte sie ihn und sagte: »Ziehe jetzt weiter, mein Freund! Du wirst vieles erdulden, dennoch wird der Tag kommen, wo wir im Glücke vereint sein werden.« Lichtmeß verstand sie nicht, doch umarmte und küßte er sie wieder, und ritt traurig davon.

Er kommt in einen andern Wald und begegnet einer Schlange mit goldenen Hörnern. Die wollte er mit seinem Doppelgewehr erlegen, doch wand sich die Schlange hierhin und dorthin, um sich zu retten, und lockte ihn dergestalt in die Nähe einer Höhle. Und da brach ein[171] furchtbares Unwetter los: Donner und Blitz, Sturm, Regen und Hagel so groß wie Hühnereier. Er flüchtete sich mit Pferd und Hund in die Höhle und zündete ein kleines Feuerchen an, seine Kleider zu trocknen.

Ein Schlänglein bat ihn, er möge es hereinlassen, es wolle sich auch ein wenig wärmen, und er erlaubte es. Das Schlänglein aber sagte: »Ich fürchte mich vor Pferd, Hund und Gewehr!« Und der gute Knabe band Roß und Hund an, schoß das Gewehr ab und sagte: »Jetzt magst du ohne Furcht hereinkommen.« Sie kommt und verwandelt sich augenblicks in einen Riesen. Mit der einen Hand packte der den Jüngling bei den Haaren, mit der andern hob er den Stein von einem Grabe, das in der Grotte war, und begrub den Aermsten lebendig darin. –

Emilio, der Bruder, fand nachdem Lichtmeß abgereist war keinen Frieden mehr im Hause. Und wie er eines Tages in den Garten geht, findet er die Quelle trüb, das Myrtensträuchlein verwelkt. »Wehe mir«, ruft er, »meinem Bruder ist ein Unglück geschehen. Ich muß mich aufmachen, ihn zu suchen. Ich muß wissen, was ihm Leides widerfahren!« Niemand konnte ihn zurückhalten. Er stieg zu Pferd, und Hund und Gewehr zur Seite ritt er in die Welt hinein. Er kommt an den Kreuzweg, wo Lichtmeß die beiden Gärtner getroffen hatte, und der eine derselben läuft ihm schon von weitem mit dem Hute in der Hand entgegen und ruft: »Willkommen, Herr! Erinnert Ihr Euch noch der Piaster, die Ihr mir jenes mal gegeben? Erinnert Ihr Euch noch, wie Ihr die böse Straße nehmen wolltet zum Walde, aus dem kein Entfliehen ist, und wie ich Euch die rechte gezeigt?« – »Wohl, wohl, lieber Mann, ich erinnere[172] mich an alles«, antwortete Emilio, der recht wohl merkte, daß ihn der Gärtner mit seinem Bruder verwechsele. So wußte er denn, daß Lichtmeß diese Straße geritten, und erfuhr auch den Weg, den er zu nehmen habe. Er gab dem Gärtner vier Piaster und ritt davon.

Nach langem Ritt kam er in den Wald, wo Lichtmeß das schöne Mädchen gefunden, das er als Schlange gerettet und das sich ihm dann so freundlich erwies. Sie erschien auch ihm und sagte: »Willkommen, Freund meines Bräutigams.« Emilio verwunderte sich der Anrede und fragte: »Wer seid Ihr, o Schöne?« – »Ich bin die Fee, welche deinen Bruder heirathen muß.« – »Wie«, rief er da erfreut, »Lichtmeß lebt noch? Wenn er lebt, o so gebt mir Kunde von ihm, denn ich will eilen, ihn zu umarmen.« Da traten dem Mädchen die Thränen in die Augen, als sie sagte: »Ziehe hin! Befreie unsern theueren Lichtmeß, der unter der Erde liegt und leidet! Hüte dich jedoch und laß dich nicht von dem Schlänglein betrügen!« Mit diesen Worten verschwand sie. Dem Jüngling aber, in der Hoffnung, den Bruder zu retten, kam neuer Muth, und er ritt davon. Er kommt in den Wald, wo die Schlange mit den goldenen Hörnern hauste, und macht sich hinter sie her, sie zu erlegen. Auch ihn überrascht das Unwetter, und er flüchtet sich in dieselbe Grotte, in die sich Lichtmeß geflüchtet hatte, und entzündet das Feuer. Kommt das Schlänglein herbeigekrochen und bittet, hereinkommen und sich wärmen zu dürfen. Das erlaubt er. Wie sie aber anfängt von der Furcht vor Hund, Pferd und Gewehr, kommt ihm die Warnung des Mädchens in den Sinn, und statt aller Antwort schießt er ihr seine Doppelflinte gegen den Kopf. Was geschah? An Stelle der Schlange lag ein[173] Riese todt am Boden ausgestreckt, mit zwei Wunden in der Stirn, aus denen das Blut in Strömen floß. Und sogleich hörte er eine Menge Stimmen rufen: »Hülfe! Hülfe! Heilige Seele! Gott hat dich uns zur Rettung geschickt.« Er öffnet das Grab, und hervor kommen zuerst sein Bruder, dann eine Menge Prinzen, Edelleute und Ritter, die seit langen Jahren bei Wasser und Brot da begraben lagen. Wie groß war die Freude, da sich die beiden Brüder einander wiedersahen!

Darauf stiegen sie alle zu Pferd, und in einem großen Reiterzug machten sie sich auf den Weg in die Heimat. Sie kamen durch den Wald, wo das Mädchen den Brüdern erschienen war, und auch diesmal ging sie ihnen entgegen, aber nicht allein, eine Schar Jungfrauen war bei ihr, und eine immer schöner als die andere. Sie jedoch war die allerschönste. Sie nahm Lichtmeß bei der Hand, half ihm vom Pferde und umarmte ihn. »Jetzt, mein Theuerer«, sprach sie, »sind alle deine Leiden zu Ende. Du hast mich vom Tode errettet, und ich will dich zum glücklichsten der Sterblichen machen. Du wirst mein Gemahl werden.« Darauf rief sie die Nächstschönste und sagte: »Geh, schönes Mädchen, gib jenem Jüngling, der meinen Bräutigam so sehr geliebt, den bräutlichen Kuß.« Und zu den übrigen sagte sie: »Jede von euch wähle sich den Bräutigam nach Belieben und gebe ihm den bindenden Kuß.« Das war ein Fest! Ein Fest auch, als Emilio und Lichtmeß, die Todtgeglaubten, nach Hause kehrten. Der Jubel erscholl durch das ganze Land.


Ich war nicht dabei und konnte nichts kriegen,

Und sitze hier die Hände voll Fliegen.

Quelle:
Kaden, Waldemar: Unter den Olivenbäumen. Süditalienische Volksmärchen. Leipzig: Brockhaus 1880, S. 167-174.
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