27. Das Verdienst des Buchbinders.

[137] Der heilige Rabbi Elimelech von Lezaisk war einmal krank und hatte während der Krankheit einen sehr langen Ohnmachtsanfall. Seine Seele kam damals in den Himmel. Im Himmel wurde ihm gesagt, daß die Seelen, die von der Erde hinaufkommen, zuallererst in die Lehrstätte des seligen Rabbi Schmelke geschickt werden. Also ging auch Rabbi Elimelech zu dieser Lehrstätte. Vor der Türe traf er einen Mann, den er gleich erkannte: es war ein einfacher Buchbinder namens Mordchaj aus Lezaisk, der erst vor kurzem gestorben war. Rabbi Elimelech fragte ihn: »Mordchaj Buchbinder, was tust du hier? Womit hast du es verdient, daß man dich ins Paradies gelassen hat?« Und der Buchbinder antwortete: »Rabbi, wenn man im Himmel hört, daß Ihr mich Mordchaj und nicht Rabbi Mordchaj nennt, so wird man Euch bestrafen: denn es ist im Himmel verkündet worden, daß ich jetzt nicht mehr Mordchaj, sondern Rabbi Mordchaj heiße.« Der heilige Rabbi Elimelech sprach ihn nun mit Rabbi an und fragte: »Rabbi Mordchaj, wie kommt Ihr her zu Rabbi Schmelkes Lehrstätte? Ihr seid ja ein einfacher und ungebildeter Mensch!« Darauf antwortete Rabbi Mordchaj: »Es ist wahr, daß ich ein einfacher Mensch bin, ich will Euch aber alles erzählen, was mit mir gewesen ist. Gleich nachdem ich gestorben war, begann man hier meine Sünden und meine gottgefälligen Werke abzuwiegen. Und da die Sünden überwogen, schickte man mich in die Hölle. Da ich aber die abgeschnittenen[138] leeren Ränder der heiligen Bücher, die ich einband, niemals vernichtete, sondern in Säcke tat und auf dem Boden verwahrte, rief man mich bald aus der Hölle wieder vor den himmlischen Gerichtshof. Ich erkannte gleich meine Säcke, und man legte sie auf die Wagschale zu den gottgefälligen Werken, und diese Wagschale wog über. Man befreite mich aus der Hölle und schickte mich ins Paradies. Und gleich darauf wurde im Himmel verkündet, daß man mich von nun an Rabbi Mordchaj nennen solle. Aber um im Paradiese zu sein, muß man Wissen haben. Darum studierte man mit mir zuerst die offenbaren Wissenschaften. Und jetzt, da ich diese schon ausstudiert habe, schickt man mich in die Lehrstätte des heiligen Rabbi Schmelke, damit ich auch die geheimen Wissenschaften studiere.«

Quelle:
Eliasberg, Alexander: Sagen polnischer Juden. München: Georg Müller, 1916, S. 137-139.
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