17. Der Wasserkönig.1

[26] Haninna, die Tochter eines reichen Prager Juden, folgt ihrem Geliebten, dem Könige der Elbe und der Moldau, als Gattin in sein unterirdisches Reich. Durch diese Treue erlöst sie ihn aus einem tausendjährigen Bann, den Dagon2, der Herrscher aller Fluten, über ihn verhängt hatte3. Einige Zeit darauf wird ihre Muhme Schiffre4, die Wehmutter, mitten in der Nacht zu einer Frau geholt. Ihr Führer bringt sie auf rätselhafte Weise in einen Palast und in der kreissenden Königin erkennt sie Haninna wieder, die ihr an demselben Nachmittage bereits in Gestalt einer schwarzen Katze5 erschienen war. In dieser Verwandlung durfte sie nämlich, so oft es ihr beliebte, unter den Menschen leben.

Nachdem Schiffre ihren Dienst verrichtet, bietet ihr der Wasserkönig Gold und Edelstein zum Lohne. Doch, von Haninna gewarnt, erbittet sie sich nur einige Kohlen, die sich jedoch nach ihrer Rückkehr auf die Oberwelt in eitel Gold verwandeln6.

1

S. II, 29: Die goldene Gasse. (Das Teilen des Wassers beim Hinuntersteigen erinnert an II M. 15, 8. Doch kann auch die Vorstellung des Blitzes vorschweben, vgl. Schw. 251. S. oben »Die Königin von Saba«.

2

ist der bekannte westsemitische Gott, je nach seinem maritimen oder binnenländischen Charakter mit dag (Fisch) oder, dagan (Getreide) in Verbindung gebracht.

3

Vgl. Gri. III, 5: Erlösung des Froschkönigs durch treue Liebe, das bekannte Motiv im Tannhäuser und im fliegenden Holländer.

4

II M. 1,15. Auch die Kohlen, statt Dosten und Dorant der deutschen Sage, erinnern an den bekannten Mythus von der Klugheit des Kindes Mose vor Pharao (Schemot r. I).

5

Vgl. Gr. I, 337.

6

Vgl. »Der Wassermann und der Bauer« bei Gr. I, 67, gleichfalls aus Deutschböhmen. Aehnliche Sagen bei Gr.: I, 53 »Die Ahnfrau von Ranzau.« »Eben so wenig nahm sie von den Edelsteinen, die in goldnen Schalen standen.« I, 61 »Der Wassermann.« »Gegen das Jahr 1630 erzählte in der Pfarrei zu Breulieb, eine halbe Meile von Saalfeld, in Gegenwart des Priesters eine alte Wehmutter folgendes, was ihrer Mutter, ebenfalls Kinderfrau daselbst begegnet sey.« Der Vorgang ist ungefähr derselbe. Nur erscheint der Wassermann als Wüterich, der seine eigenen Kinder am dritten Tage nach der Geburt frisst. Seine Frau warnt die Hebamme, ja nicht mehr für ihre Dienstleistung zu nehmen, als sie sonst »zu kriegen pflegt, sonst dreht er euch den Hals um.« Diese Vorsicht wird reichlich belohnt. I, 83 »Vor den Nixen hilft Dosten (vgl. Perles 79) und Dorant. Eine hallische Wehmutter erzählte, dass folgendes ihrer Lehrmeisterin begegnet.« Auch hier mahnt die Entbundene: »Nehmt nicht mehr, als euch auch andre Leute zu geben pflegen.« Hingegen sollte sie Dosten und Dorant vom Boden pflücken. »Eine andere Hebamme, bürtig aus Eschätz bei Querfurt, erzählte nachstehendes.« I, 85 »Die Frau von Alvensleben.« Eine Edelfrau »zu Calbe in dem Werder« wird nachts in einen Berg gerufen, hilft »einem kleinen Weiblein« in Kindesnöten. Sie berührt nichts von den Speisen und Getränken, erhält jedoch beim Abschied einen Ring, an den das Glück ihres Geschlechtes geknüpft ist. I, 87 »Die Frau von Hahn und der Nix.« Hier wird eine Wassernixe entbunden. Als Lohn empfängt die Edelfrau drei Stücke Goldes, von denen das Glück derer von Hahn abhängt. I, 72 »Der Dönges-See.« Aus Hessen. I, 392 »Der Nix an der Kelle.« Aus dem Hohensteinischen. Das umgekehrte Verhältnis: bei Komp. I, 46. »Benemmerinnen sind eine Art Hebammen, die mit bösen Geistern im Bund stehen ... Wo man sie nicht ruft, schlüpfen sie durchs Schlüsselloch; auch als Katzen (vgl. Cass. 4, Horst II, 22 f. 82. 219) mit grünen funkelnden Augen hat man sie gesehen.« Ein Talisman hilft dagegen. – Vgl. Frankl I, 211 ff. »Die Brusche« (vgl. Güdemann, Erz. I, 203, Horst II 67 f. 70) und Schw. 230 (vgl. Mitt. 90 n. 1). Ueber das Totenreich im Wasser: Schw. 250.

Quelle:
Märchen und Sagen der deutschen Juden. In: Mitteilungen der Gesellschaft für jüdische Volkskunde, herausgegeben von M. Grunewald, Heft 2 (1898) 1-36, 63-76, S. 26.
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