22. Die Schuhschnallen des Pfarrers

[58] Es lebte einst ein sehr gelehrter und reicher, aber nicht im gleichen Masse freigebiger Pfarrer. Sonst war er der beste Mann der Welt, er besuchte die Kranken und wäre auch zehn Meilen weit gerannt, um ihnen das heilige Viaticum zu bringen.

Dieser Pfarrer besass zwei schöne, silberne Schnallen, die seine Schuhe zierten. Er hielt viel darauf. Wie stellte es nun Scambaronu an, der sie gern besitzen und sich gleichzeitig von der Sünde des Diebstahls lossprechen lassen wollte?

Eines Morgens klopfte Scambaronu, der aufgeregt war und dessen Haare wirr herumflatterten, an der Pfarrhofstüre. Da es noch früh war, schrie die Haushälterin: »Wer ist draussen?« – »Ich, Josef Scambaronu; ich will augenblicklich mit dem Herrn Pfarrer sprechen.« – »Komm' später, er schläft noch.« – Aber er war nicht wegzubringen, sondern klopfte nur noch stärker an die Türe, sodass der Pfarrer [58] erwachte und seiner Wirtschafterin befahl, ihn eintreten zu lassen.

»Lieber Freund,« rief ihm der Pfarrer entgegen, »warum bist du schon so zeitig auf?« – »Ach, Herr Pfarrer, ich habe heute Nacht einen schrecklichen Traum gehabt. Ein Engel erschien mir mit flammenden Schwert und kündigte mir an, dass ich, wenn ich diesen Morgen nicht meine Sünden beichte, nur mehr zehn Tage zu leben hätte. Gleichzeitig sah ich mich in der Hölle und erblickte da die Leiden, welche die Verdammten zu ertragen haben.« – »Das ist eine himmlische Botschaft, mein Freund, das Maß deiner Sünden ist voll und es ist Zeit, daß du sie bereust.« – »Gott, der mir ins Herz sieht, weiss, dass ich gute Absichten habe, lasst mich auf die Knie fallen und meine Beichte beginnen.«

Die Schuhe mit den Silberschnallen standen am untern Ende des Bettes. Scambaronu näherte sich ihnen und begann: »Ich bekenne, dass ich keinen Sonntag in der Messe war; anstatt meine Felder zu bearbeiten, trank ich lieber Wein und meine Kinder verlangten unterdessen nach Brot.« – »Das ist sehr schlimm, da musst trachten, diese bösen Gewohnheiten abzulegen.« – »Nun komme ich zu einer Sünde, die mich besonders quält; ich habe ein Paar silberne Schnallen gestohlen.« Zur selben Zeit bemächtigte er sich der Silberschnallen des Pfarrers und steckte sie in die Tasche.

»Wie, gestohlen hast du? Das habe ich von dir nicht gedacht. Du musst die Schnallen dem Eigentümer zurückgeben.« – Scambaronu schlug sich an die Brust und setzte fort: »Als ich im Spiel Verluste hatte, fluchte ich beständig; gestern habe ich erst meine Frau geschlagen, als sie mir Vorwürfe machte.« – »Das ist nicht gut, aber setze fort.« »Sagt mir, lieber Herr Pfarrer, wollt ihr die Schnallen, die ich gestohlen habe, nehmen?« – »Ich, ich nehme sie nicht.« – »Ich gerate oft in Zorn und weiss dann nicht, was ich mache; ich hielt unziemliche Reden über unsere gute und heilige Jungfrau; ich hatte Lust auf eine schöne Nachbarin ... Aber sagt mir, Herr Pfarrer, wenn der Besitzer die Schnallen nicht will, was soll ich damit machen?« – »Wenn er sie nicht will, kannst du sie behalten!« – Der schlaue Scambaronu sprach noch längere Zeit über seine Sünden.

Als er fertig war, bat er um die Lossprechung, dann zog er sich mit zerknirschter Miene und durch die wohlwollenden [59] Worte und die Ermunterungen des Priesters ganz verwandelt, zurück. Als der Pfarrer aufstand, war sicher nicht das Erscheinen Scambaronus das, was ihm am meisten erstaunt machte.


(Corsica).

Quelle:
Blümml, Emil Karl: Schnurren und Schwänke des französischen Bauernvolkes. Leipzig: Deutsche Verlagsaktiengesellschaft, 1906, S. 58-60.
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