23. Die drei Liebhaber Paulinens

[60] Drei Freunde liebten sich einst außerordentlich, einer würde für den andern sein Leben hingegeben haben. Trotzdem verbargen sie sich etwas. Sie liebten nämlich alle drei dasselbe Mädchen, Pauline und keiner sagte seinem Freunde davon etwas.

Peter, Karl und Franz erklärten sich brieflich an ein und demselben Tag, da jedoch das Mädchen keinen wollte, so schrieb sie dem ersten, dass er sich um Mitternacht in die Totenbahre legen soll, die inmitten der Kirche aufgestellt sei, dem zweiten, dass er sich ganz in weiss kleide und den Sarg aus der Kirche in den Friedhof trage und dem dritten, dass er sich um Mitternacht in den Beichtstuhl verfüge, um aufzupassen, was in der Kirche vorgehe.

Glücklich darüber einen Wunsch der Geliebten erfüllen zu können, kamen alle zur bewussten Stunde in die Kirche. Peter, obwohl am ganzen Leibe zitternd, legte sich in den Sarg und wartete der kommenden Dinge. Karl, weissgekleidet und mit Schweiss bedeckt, trat ein; schon wollte er den Sarg wegtragen, da erschien Franz. Als dieser das Gespenst ersah, das einen Sarg trug, stiess er einen furchtbaren Schrei aus. Sogleich erhob sich der vermeintliche Tote und der Sarg fiel mit grossem Geräusch zur Erde. Dadurch närrisch gemacht, hielten sich die drei Freunde für Gespenster, stiessen, da sie den Kopf verloren hatten, gegen Stühle und Bänke, fielen zur Erde, erhoben sich wieder und riefen einen höllischen Lärm hervor, sodass man hätte glauben können, dass alle höllischen Geister losgelassen seien. Endlich rannten sie bei der Kirchentüre hinaus und zitternd und bleich legten sie sich nieder. Das Fieber packte sie, das Delirium kam und jeder fürchtete für sein Leben.

Einer wusste vom andern nichts und doch riefen sie sich gegenseitig. Peter schrie in seinem Fieber: »Warum besucht mich Karl nicht?« – Karl dachte: »Meine Freunde sind doch nur falsche; weil ich krank bin, vergessen Peter und Franz [60] ganz auf mich.« – Am verzweifeltsten gebärdete sich jedoch Franz, der sich über die Gleichgültigkeit seiner Freunde nicht trösten konnte.

Nach und nach erholten sie sich von ihrer Krankheit und an ein und demselben Tage gingen sie zum erstenmal aus. Sie begegneten sich, aber keiner sprach zum andern, sondern sie wendeten sich ab. Endlich nach einer Woche sprach Franz zu Karl: »Warum kehrst du dich ab, sobald du mich siehst? Was habe ich dir getan? Ich habe doch mehr Grund, mich über dich zu beklagen.« – »Du frägst, warum ich dich nicht ansehe? Ich war doch in Lebensgefahr und du hast mich nicht besucht.« – »Das ist doch merkwürdig, mir erging es ebenso. Ich war drei Monate krank und du hast mich ebenfalls nicht besucht.« – »Drei Monate? Genau so lange war ich auch krank.« – »Wann wurdest du krank?« – »Um Mitternacht.« – »Ich ebenfalls.« – »Wo?« – »In der Kirche.« – »Ich auch.« – »Was hast du denn in der Kirche zu so später Stunde getan?« – »Pauline schickte mich dort hin.« – »Lieber Freund auch mich schickte sie hin und ich fürchte, dass sie mit Peter dasselbe Spiel trieb.« – »Das kann schon sein! Gehen wir zu ihm.« –

Die drei Freunde sahen bald klar in dieser Sache und beschlossen, sich zu rächen. – »Sie hat sich mit uns einen Spass erlaubt,« rief Peter. »Dafür müssen wir einmal bei ihr schlafen.« – »Wie stellen wir das an?« – »Das ist doch einfach. Ich verkleide mich als Pilger und wenn es Nacht wird, erbitte ich mir ihre Gastfreundschaft, die sie mir gewiss gewähren wird. Einer von euch steigt auf das Dach des Hauses und schleppt Lebensmittel mit. Er horcht und sobald ich sage: ›Herr, helfe deinem Diener aus der Not,‹ lässt er durch den Rauchfang einen Korb herab, der alles das, was ich brauche, enthält. Das andere wird sich dann von selbst finden, vertraut mir nur.« –

Am Abend klopfte ein weissbärtiger Pilger an Paulinens Haus an. – »Wer ist draussen?« – »Öffnet, ein Diener Gottes.« – Die Türe wurde geöffnet und der Pilger trat ein. – »Wollt ihr nicht einem bussfertigen Reisenden eine Ecke eurer Wohnung zur Verfügung stellen?« – »Aber ja; auch Brot, Wein, Fleisch geben wir euch.« – »Ich danke euch, liebe Leute, Gott wird es euch vergelten, aber ich brauche nichts, denn der Herr sorgt für meine Nahrung.« –

[61] »Wie, euch sendet der Himmel alles, was ihr zum Leben braucht?« – »Ja. Da eben die Stunde ist, wo ich zu essen pflege, so hoffe ich, dass auch heute der Allmächtige nicht auf mich vergessen wird.«

Der fromme Pilger betete. Nach kurzer Zeit rief er laut: »Herr im Himmel helfe deinem Diener.« – Bald sah man durch den Kamin einen Korb mit Brot, Wein, Fleisch, Kuchen und Früchten herabkommen. Der Pilger nahm ihn an sich und nachdem er Gott gedankt hatte, begann er zu essen.

Pauline und ihre Mutter waren erstaunt. – »Ist das euer gewöhnliches Mahl lieber Mann?« – »Ja! Warum?« – »Gott hält euch dann nicht schlecht.« – »Das ist noch gar nichts. Sein Geist beseelt mich immer und gestern erst hat mir ein Vogel die Botschaft gebracht, dass die erste Frau, die bei mir schläft, einen Papst gebären wird, der eine Leuchte der Kirche sein wird.« – »Und habt ihr schon einer beigewohnt?« frug Paulinens Mutter. – »Nein, denn ich suche eine fromme Frau, die noch Jungfrau ist, damit sie nach Verdienst belohnt werde.« – »Lieber Ehrwürdiger Vater!« – »Was wollt ihr?« – »Habt ihr euch über uns zu beklagen?« – »Nein, im Gegenteil.« – »Schön. Wenn euch meine Tochter nicht zu unwürdig dazu ist, einen großen Papst der Christenheit zu geben, so, ich bitte euch darum, erweiset uns die Ehre.« – »Liebe, fromme Frauen, ich sehe es, Gottes Geist ist auch in euch. Aber ich muss dreimal des Nachts aufstehen, um zum Herrn zu beten.« – »Das macht nichts. Erhebt euch viermal, wenn es sein muss.« – »Dann füge ich mich. Uebrigens hat auch Gott mich benachrichtigt, dass es Pauline sei, der diese Ehre erwiesen werden soll.« – »Wie, ihr wißt den Namen meiner Tochter?« – »Ich weiss alles, das vergangene, gegenwärtige und zukünftige.«

Bald darnach ging Pauline, glücklich in dem Gedanken einen Papst zeugen zu dürfen, schlafen. Die Nacht war noch nicht weit vorgeschritten, da erhob sich Peter. »Ich muss beten gehen, die Stunde ist da.« – »Geht nur, Ehrwürdiger«. – Er öffnete leise die Türe und Karl trat ein, der nun seine Stelle einnahm. Nach einer Stunde erhob er sich und sprach: »Liebes Mädchen, trotz unseres Vergnügens darf ich auch Gott nicht vergessen.« – »Geht, aber kehrt bald wieder.«

[62] Karl ging hinaus und an seine Stelle trat Franz, der bis zum Morgen blieb, dann aber aufstand und sprach: »Liebes Mädchen, die dritte dem Gebet geweihte Stunde ist da.« – »Geht, ich warte einstweilen.«

Es kehrte niemand mehr zurück und Mutter und Tochter glaubten deshalb, dass der fromme Pilger, nachdem er sein irdisches Werk vollbracht hatte, in den Himmel zurückgekehrt sei.

Einige Zeit darnach war im Lande ein großes Fest. Pauline ging freudestrahlend hin, denn sie lebte in der Hoffnung, einen Papst zu gebären. Dort begegnete sie Karl, der sie frug: »Ah, Pauline, wie steht's mit dem Papst?« – Das Mädchen errötete. Gleich danach näherte sich ihr Peter mit den Worten: »Reizende Pauline, ist der Papst schon geboren?« Die arme Kleine wurde blaß, doch zweifelte sie immer noch an ihrem Unglück. Diese Hoffnung war jedoch nur von kurzer Dauer, denn als Franz vorbeiging, rief er sie an: »Wie, du bist allein. Ist denn der kleine Papst, die zukünftige Leuchte der Kirche, noch nicht geboren?« – Diese Worte brachten dem jungen Mädchen ihr ganzes Unglück vor Augen und liessen sie erkennen, dass sie einer Rache zum Opfer gefallen sei. Da sie die Scham überwältigte, stiess sie einen herzzerreißenden Schrei aus und sank ohnmächtig nieder.


(Corsica.)

Quelle:
Blümml, Emil Karl: Schnurren und Schwänke des französischen Bauernvolkes. Leipzig: Deutsche Verlagsaktiengesellschaft, 1906, S. 60-63.
Lizenz:
Kategorien:

Buchempfehlung

Stifter, Adalbert

Feldblumen

Feldblumen

Der junge Wiener Maler Albrecht schreibt im Sommer 1834 neunzehn Briefe an seinen Freund Titus, die er mit den Namen von Feldblumen überschreibt und darin überschwänglich von seiner Liebe zu Angela schwärmt. Bis er diese in den Armen eines anderen findet.

90 Seiten, 5.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon