Die Hundsköpfe.

[19] Es wohnten einmal in irgend einer Waldgegend Hundsköpfe1 und Menschen nahe bei einander. Die ersteren waren Jäger, die letzteren Ackerbauer. Einst fingen die Hundsköpfe ein junges Mädchen, welches aus einer entfernten Gegend stammte und sich im Walde verirrt hatte. Sie brachten dasselbe nach Hause und fütterten es lange Zeit mit Nußkernen und süßer Milch. Dann und wann aber stachen sie eine Nadel[19] in des Mädchens Oberarm, um zu sehen, ob dasselbe schon fett genug wäre. Das hervorsickernde Blut aber leckten sie gierig ab, so wie ein Bär Honig zu lecken pflegt. Endlich glaubten sie, daß ihr Opfer zur Genüge aufgemästet sei. Sie freuten sich darob sehr, trugen ihrer Mutter auf, das Mädchen zu braten und begaben sich zur Jagd. Im Bratofen aber brannte schon seit drei Tagen ein mächtiges Feuer. Weil aber kein schaufelartiges Werkzeug vorhanden war, auf dem sie das Mädchen hätten in den Ofen schieben können, schickte die Alte dasselbe in die nächstbelegene Hütte der Menschen nach einer großen Schaufel. Das Mädchen, welches nichts Böses ahnte, that wie geheißen. Aber die Frau, von der es eine Schaufel erbat, durchschaute den ganzen Plan und gab dem armen Ding einige gute Ratschläge.

Als nun die Mutter der Hundsköpfe verlangte, das Mädchen solle sich aus die Schaufel legen, that es das so ungeschickt, daß es unmöglich in die Öffnung des Ofens hineingeschoben werden konnte. Nach mehreren fehlgeschlagenen Versuchen wurde die Alte ungeduldig und begann zu schimpfen und zu fluchen. Da sagte das Mädchen: »Warum zankst du so? Das schadet deiner Gesundheit. Zeige mir lieber, wie man sich regelrecht auf die Schaufel legen muß – und ich werde es dir genau nachmachen.«

Das leuchtete der Alten ein; sie legte sich mit dem Rufe: »Nun merk aber auf!« der Länge nach hin – und – im Nu hatte das Mädchen sie in den glühenden Ofen geschoben und die eiserne Thür desselben verriegelt. Dann zog sie ihre Pasteln (Sandalen) verkehrt an, so daß die Spitze am Hacken des Fußes saß und entfloh.

Als die Hundsköpfe heimgekehrt, machten sie sich sofort an den Ofen, zogen den vermeintlichen Mädchenbraten heraus und begannen ihn zu verzehren; aber er wollte ihnen gar nicht recht munden, so daß sie die Überreste genau zu betrachten anfingen und dabei einen Edelstein fanden, den ihre Mutter in einem Goldreif am Finger getragen hatte. Nun[20] ging ihnen ein Licht auf – und fluchend und wetternd begaben sie sich auf die Suche nach der Entflohenen. Diese war bis zu einem breiten Flusse gelaufen, den sie nicht überschreiten konnte. Als das Bellen und Heulen der nahenden Hundsköpfe an ihr Ohr schlug, erkletterte sie schnell einen hohen Baum, dessen dichtes Laub sie ganz einhüllte. Die Hundsköpfe blieben unschlüssig am Ufer stehen und wußten nicht, was sie weiter beginnen sollten. Da sahen sie plötzlich der Gesuchten Bild im Wasser. Ein Windhauch hatte die Blätter etwas auseinander geweht, so daß des Mädchens Gesicht hervorschaute und sich im Flusse abspiegelte. In blinder Wut begannen die Verfolger nun das Wasser aufzulecken; sie leckten und leckten – bis sie platzten. Das Mädchen aber war nun für immer vor ihnen sicher.

1

Kynokephalen.

Quelle:
Andrejanoff, Victor von: Lettische Märchen. Nacherzählt von -, Leipzig: Reclam, [1896], S. 21.
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