[430] 910. Die entlarvte Hexe von Palzem.

Eine Frau aus Palzem erzählt: Es waren einmal reiche Leute, die hatten zwei Knechte; der eine war munter und guter Dinge, der andere aß immer so gierig bei Tische und war dabei so mager, so mager, daß man ihm alle Rippen am Leibe zählen konnte.

Da sprach einst der andere Knecht zu ihm: »Wie kommt es, daß du so schlecht aussiehst? Wir essen doch an einem Tisch und du gleichst dem Tod!« – »O mein guter Freund,« erwiderte der Knecht, »leg du dich einmal nachts vorn ins Bett, so wirst du es schon begreifen.« Der andere Knecht wars zufrieden und legte sich vorn ins Bett. Als es Mitternacht geworden, kam die Frau des Hauses in langem, weißem Hemd zur Tür herein, einen schwarzen Zaum in der Hand. Sie trat vors Bett und warf dem Knecht den Zaum um, der dadurch in ein Pferd verwandelt wurde. Sie schwang sich ihm auf den Rücken und hi! hi! ging's durchs Fenster, durch dick und dünn, bis an einen hohen Berg. Dort band sie das Pferd an einen Baum und stieg den Berg hinan, wo Hexenball war. Das Pferd aber zerrte und schüttelte sich solang, bis der Zaum zur Erde fiel; da war es wieder Mensch. Der Knecht hob den Zaum auf, versteckte sich hinter eine Hecke und sah dem Hexenball zu. Auf dem Berg tanzten die Hexen im Kreis, und ihre langen Hemden flogen im Wind, daß es aussah, wie wenn Nebelwolken zerflattern. Die Hexen aßen und tranken aus Kuhklauen, denn sie meinten, das sei Gold und Silber. Das währte bis gegen Mitternacht. Der Knecht war bleich vor Schrecken und wartete, bis die Frau zurückkam. Als diese nun herannahte und sich nach dem Pferde umsah, sprang der Knecht plötzlich hinter der Hecke hervor und warf der Frau den Zaum um, so daß sie plötzlich[430] in ein Pferd verwandelt war. Dann setzte er sich darauf und ritt es heim in den Stall. Am andern Morgen entstand viel Lärm im Haus, da man die Hausfrau vermißte. Der Knecht aber ging zum Bauern und sprach: »Wir haben ein Pferd im Stall, das keine Hufeisen trägt.« – »Dann müssen wir damit zur Schmiede fahren« und sie fuhren hin, ohne daß der Bauer das Pferd eigentlich beschaute. Das Pferd aber sprang in die Luft, als ihm der Schmied die Füße aufhob, um Hufeisen anzuheften; das tat unendlich weh und das Pferd wollte gar nicht ruhig stehen, denn wer einmal Hufeisen anhatte, konnte nicht wieder Mensch werden. Im Ernst wollte der Knecht der Frau keine Hufeisen anschlagen lassen, sondern dem Bauern zeigen, was seine Frau treibe. Als das Pferd nun wieder einmal aufsprang, lief der Knecht vor dasselbe und rief: »Hexe, wie steht du da! Ich reiß dir die Zähne aus!« und er zerrte den Zaum vom Kopf, daß die Frau zum Schrecken aller im Hemde vor ihnen stand. »Seht Bauer«, sprach der Knecht, »so hat sie es jahrelang mit meinem Mitknecht getrieben. Diese Nacht aber habe ich vorn in dem Bett gelegen und habe mir auf dem Versammlungsort der Hexen den Zaum ausgerissen.« Der Mann wurde fast ohnmächtig vor Schrecken und Zorn, nahm einen Prügel und schlug die Hexe tot.


N. Gaspar

Quelle:
Gredt, Nikolaus: Sagenschatz des Luxemburger Landes 1. Neudruck Esch-Alzette: Kremer-Muller & Cie, 1963, S. 430-431.
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