[447] 943. Vom Müllerknecht, der die Hexen entlarvte.

Ein Müller, dessen Mühle zu Heiderscheidergrund stand, ging auf den Markt, um einen Knecht zu dingen. Da traf er einen jungen Burschen an, der groß und stark war, und fragte ihn, ob er sein Knecht werden wolle. »Wieviel Knechte hast du, Müller, denn dies Jahr gehabt?« fragte der Bursche. – »Dreißig«, sagte der Müller. – »Nun gut, ich will dein einunddreißigster werden; aber du mußt mir monatlich dreißig Franken Lohn geben und mir ein scharfes Beil zur Hand legen.« – »Topp«, sagte der Müller und schlug dem Knechte in die Hand, »der Handel ist abgeschlossen; du bist mein Knecht, und ich gebe dir mein frischgeschliffenes Handbeil.« Sie tranken eine Flasche Wein und gingen zusammen auf die Mühle. Wie sie durchs Dorf schritten, hörte der Müllerknecht die Leute sagen: »Der arme Junge, der muß auch bald sein Leben lassen.« – »Wenn das sich so verhält«, dachte der Knecht bei sich, »dann weiß ich's anzufangen. Meine Vorgänger haben nachts geschlafen und sind ins Kammrad geworfen worden. Das geschieht mir nicht.«

Als es Nacht geworden, begab sich der Knecht zu Bett, nachdem er das Korn auf die Trimme (Mühlentrichter) geschüttet, und wachte. Aber es kam niemand, auch die zweite Nacht wurde er nicht belästigt und er dachte: »Du mußt es anders machen.« Die dritte Nacht stellte er sich, als wenn er schliefe. Um zwölf Uhr hörte er vier Katzen die Treppe heraufkommen. Die erste sagte: »E bift«; die drei anderen sagten: »E bift net«, und sie kehrten wieder um. Der Knecht fing an zu schnarchen, und es währte nicht lange, da kamen sie zurück. Die beiden vordersten sagten: »E bift«, die beiden hintersten sagten: »E bift net« und sie kehrten wieder um. Da schnarchte der Knecht so laut, wie die Mühlenräder klapperten, und die Katzen kamen zum drittenmal die Treppe heraufgetrippelt. Die drei vordersten sagten:[447] »E bift«, die hinterste sagte nichts und schüttelte den Kopf. Sie sprangen auf den Knecht zu und wollten ihn ins Kammrad werfen, aber er schlug mit seinem scharfen Beil um sich und hieb der einen Katze die vordere Pfote, der andern die hintere ab und die dritte verwundete er bloß; die vierte entkam ohne Wunde. »Aha!« dachte der Knecht, »morgen werden wir sehen, wer die Hexen sind.« Und richtig, des Müllers eigener Frau hatte er den Arm, der Nachbarin ein Bein abgehauen, die beiden andern Frauen waren verschwunden. Die Müllerin und ihre Nachbarin wurden verurteilt und als Hexen verbrannt.


N. Gonner

Quelle:
Gredt, Nikolaus: Sagenschatz des Luxemburger Landes 1. Neudruck Esch-Alzette: Kremer-Muller & Cie, 1963, S. 447-448.
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