[483] 1015. St. Pirmin.

A. In uralter Zeit mag der größere Born des Pirminsberges eine heidnisch vergötterte Quelle gewesen sein, während die zweite Quelle den Bewohnern der dortigen römischen Ansiedelung das Trinkwasser lieferte. Noch heute haben beide Quellen dieselbe Bestimmung;[483] die erste wird vom Volke als heilig angesehen, die zweite liefert das trinkbare Wasser.

Zu Anfang des achten Jahrhunderts kam der hl. Pirmin in diese Gegend, segnete den später nach ihm benannten St. Pirminsborn ein und gab ihm eine christliche, dem heidnischen Aberglauben entgengesetzte Bestimmung.

Eine altehrwürdige Volkstradition der Umgegend berichtet:

Einst an einem Winterabende kam allein und ohne Gefolge ein frommer Missionsprediger in das Schloß zu Wilz, welches sich damals zu Niederwilz, wo die jetzige Pfarrkirche steht, befand. Dieser fremde Priester hieß Pirminus. Die Schloßdame, welche allein anwesend war, weil ihr Gemahl sich in der Kerkerhaft zu Vianden befand, empfing den Unbekannten mit allen Ehren, die damals den durchreisenden Regionarpriestern und Verkündern des Evangeliums zuteil wurden, und bewirtete ihn nach Möglichkeit. Sie hatte jedoch nichts Eiligeres zu tun, als den Segen des Missionars für ihr einziges Söhnlein zu erbitten. Das Kind war schwach von Gesundheit, hatte schmächtige Glieder und einen stark angeschwollenen Unterleib. Der hl. Regionarpriester willfahrte der Bitte der edeln Mutter, segnete das Kindlein und fügte hinzu: »Dieser Segen reicht nicht hin, um dein Kind zu heilen; da unten habe ich eine Quelle gesegnet, welche ehemals den Heiden zur Waschung diente, wenn sie sich zum Götzentempel begaben dessen Trümmer auf dem Berge noch sichtbar sind. Trage deinen Sohn dahin und tauche ihn dreimal ins Wasser des Borns unter Aussprechung des Namens der drei Personen der allerheiligsten Dreifaltigkeit; schicke dann für sein Heil während neun Tagen eifrige Gebete zum Gott aller Barmherzigkeit empor, und dein Söhnlein wird die Gesundheit wiedererlangen. Zum Andenken an die Gewährung deiner Bitte sollst du dann auf den Überresten des heidnischen Tempels, wo ehedem der Irrtum den Göttern opferte, ein Bethaus dem christlichen Gotte errichten lassen.«

Die edle Schloßdame machte barfuß und inmitten des strengsten Winters die Wallfahrt nach dem gesegneten Born und trug ihren Sprößling und ihre einzige Hoffnung auf dem Arme hin zum Fons salubris. Und wie St. Pirmin es der Mutter verheißen hatte, so geschah es: das Kind, der zukünftige Herr von Wilz, wurde gesund, nachdem die Wallfahrt, die Waschung im Wasser der Quelle und die neuntägige Andacht beendigt waren. Als kurze Zeit nach diesen Vorgängen im Schlosse und an der Pirminsquelle der Herr von Wilz, man weiß nicht aus welcher Ursache, die Freiheit erhalten und wieder auf seinem Gute in Niederwilz angelangt war, glaubte er nicht an die Heilung seines Sohnes durch ein Wunder und schickte sich keineswegs an, das dem hl. Pirmin versprochene Bethaus in der Einöde des heutigen Pirminsberges zu erbauen. Zur Strafe für seine[484] Ungläubigkeit verlor er später das Leben in einem Zusammentreffen mit einem anderen Gutsherrn.

Nachdem aber der junge Herr von Wilz zum Jüngling herangewachsen war, berichtet weiter die Volksüberlieferung, traf er Anstalten, das zu vollführen, was seine Mutter dem Heiligen versprochen hatte, und bald erhoben sich über dem Schutthaufen der zerstörten Römervilla ein Bethaus und eine kleine Einsiedelei für einige Anachoreten.


J. Weicherding, der St. Pirminsberg, 21 und 44 ff.


B. Nach einer alten Sage, die in der Umgegend von Wilz und Kaundorf von vieler Leute Mund erzählt wird, litt der hl. Pirmin an einem heftigen Augenübel. Überall, wo er nur ein Brünnlein erblickte oder ein Bächlein antraf, da kniete er ans Ufer nieder, schöpfte von der klaren Welle und wusch damit seine triefenden Augen; aber vergebens, denn kein Wasser im Ösling war kräftig genug, das Übel zu heilen. So kam er auch einst auf seinen Missionsreisen an den später nach ihm benannten Born, kniete nieder, segnete die sprudelnde Welle und wusch damit seine Augen, und sieh, das Übel war gehoben. Das heilsame Wasser hatte ihn davon befreit, und seit dieser Zeit gebrauchte man dasselbe zur Heilung von Augenkrankheiten.


J. Weicherding, der St. Pirminsberg, 70

Quelle:
Gredt, Nikolaus: Sagenschatz des Luxemburger Landes 1. Neudruck Esch-Alzette: Kremer-Muller & Cie, 1963, S. 483-485.
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