[487] 1019. Die hl. Kunigunde und ihre Nichte.

Die hl. Kunigunde besaß eine Nichte, die sie seit deren zarter Kindheit auferzogen hatte. Die kleine Judith war gehorsam und gelehrig, und als sie zur Jungfrau herangewachsen war, trat sie ins Kloster zu Kaufungen. Sie machte große Fortschritte in der Tugend, so daß sie wegen ihrer Andacht im Gebete, ihrer Ausdauer im Fasten und ihrer Beharrlichkeit in Ertragung von Widerwärtigkeiten zur Äbtissin gewählt wurde.

Seitdem sie aber als Oberin sich freier fühlte, ließ sie in ihrer Frömmigkeit nach und suchte die Freundschaft von Altersgenossinnen auf. Die hl. Kunigunde ward darüber betrübt, tadelte ihre Nichte wegen ihrer Fahrlässigkeit und beschwor sie, ihren Verpflichtungen nachzukommen. Aber ihre Ermahnungen blieben ohne Erfolg. Einst versäumte die Äbtissin sogar einer Prozession beizuwohnen; da suchte ihre Tante sie auf, fand sie im Kreise ihrer Genossinnen und gab ihr in heiliger Entrüstung mit der Hand einen leichten Schlag auf die Wange. Da sieh! die Finger blieben wie auf Wachs abgedrückt, und Judith behielt das Mal bis zu ihrem Tode. Seit diesem Tage aber führte sie ein erbauungsvolles Leben.


Bertholet, Hist. eccl. et civile du duché de Luxembourg III, 76

Quelle:
Gredt, Nikolaus: Sagenschatz des Luxemburger Landes 1. Neudruck Esch-Alzette: Kremer-Muller & Cie, 1963, S. 487.
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