[489] 1025. St. Quirin und die drei Jungfrauen.

[489] Vor dem ehemaligen Diedenhofenertor zu Luxemburg, rechts an der alten, »Berlinerweg« genannten Landstraße, befindet sich eine Kapelle, welche ein steinernes Kreuz einschließt. Auf dem oberen Balken desselben ist der Heiland am Kreuz nebst zwei Knechten, von denen der eine einen Spieß, der andere den Schwamm gegen den Heiland richtet, roh ausgehauen. Im Hauptbalken ist St. Wendelin vorgestellt mit Hut, Tasche und Hirtenstab in der Linken und Rosenkranz in der Rechten, darunter der Name St. Wendelin. Unter dieser Figur steht folgende Inschrift:


Tröst dich hieby

mein frommer

Christ, Wann dir

auff Erde übel

ist. – 1738.


An der linken Seitenwand der Kapelle ist eine ungefähr fünfzig Zentimeter hohe, in Holz gearbeitete Gruppe angebracht, welche drei, auf einem Esel sitzende Jungfrauen vorstellt. Sie sitzen alle drei nach Art der Frauen auf, die Gesichter nach der rechten Seite gewendet, wie des Esels Kopf. Die mittlere hat die Augen mit einer weißen Stirnbinde verbunden und zeichnet sich durch besonders langes Haupthaar aus. Alle drei halten die linke Hand auf die Brust und die rechte graziös erhoben und fern.

Fünfzig Schritte taleinwärts befindet sich die S. Quirinusgrotte und der Quirinusbrunnen. Die Ortstradition, welche von uns mündlich aufgenommen worden, weiß folgendes von diesen Merkwürdigkeiten zu erzählen.

Die jetzige St. Quirinuskapelle war ohne alle Widerrede ursprünglich eine Räuberhöhle. Einst hauste dort eine Alte mit ihren drei Söhnen, welche das verruchte Räuberhandwerk trieben. Drei Jungfrauen, welche einst des Weges kamen, wurden von ihnen angefallen, geplündert und gemartert; sie entkamen auf ihrem Esel und ließen die Kapelle an der Straße mit der beschriebenen Gruppe als ex voto errichten. Die Stirnbinde der mittleren Jungfrau bedeutet, daß sie an der Stirne verwundet war.

Ein andermal kam auch ein Herr mit seinem Diener dahergeritten. Da sie müde waren, kehrten sie in die Räuberhöhle ein. Die Alte war allein, denn ihre Söhne waren auf Raub aus. Die beiden Gäste begehrten ein Nachtmahl von der Alten, und während diese damit beschäftigt war, hörten der Herr und sein Diener, wie das Pferd des Herrn mit dem Fuße scharrte. Hierdurch argwöhnisch gemacht, untersuchten sie die Stelle, wo das Pferd stand, und sieh, es lagen eine Menge Leichname dort unter der Erde vergraben. Sie wußten nun, wo sie waren, bereiteten sich zur Gegenwehr, und als die Räuber zurückkamen, schossen sie zwei davon tot; der dritte entfloh. Die Alte aber empfand Reue über ihre Frevel und gestand alles. Sie führte die Fremden noch an einen anderen Ort unfern der Hütte,[490] genannt »beim Markstein« oder »beim Kreuz« wo viele Ermordete begraben lagen. Die frühere Räuberhöhle ist später erst eine Einsiedelei geworden.

In Bezug auf den Brunnen und die drei Jungfrauen vernahmen wir noch folgendes:

Drei Nonnen, welche mit Skrofeln behaftet waren, wallfahrteten nach Luxemburg, um dort von der Mutter Gottes Heilung ihres Übels zu erlangen. Als sie in die Nähe des Quirinusquells kamen, saßen sie von ihrem Esel ab und labten sich an dem frischen Wasser, denn sie empfanden großen Durst. Aber sieh, kaum hatten sie eine Handvoll des Wassers genossen, waren sie von ihrem Übel geheilt. Sie dankten Gott inbrünstig und gelobten, diese wunderbare Heilung durch ein Standbild zu verewigen. Als sie aber in der Stadt angelangt waren und am Kloster abstiegen, sahen sie, daß die Nonnen bereits am Abendtisch saßen. Sie fürchteten sich daher und schämten sich, und keine wollte vorangehen. Endlich sagte eine von ihnen: »So verbindet mir die Augen, dann will ich vorangehen.« Dies geschah. Weil aber die beiden anderen sie nicht allein gehen lassen wollten, nahmen sie dieselbe in die Mitte.1

Von dem Tage an ward der Quirinusbrunnen berühmt, und er erwies sich fortan heilkräftig gegen Skrofeln, Hautausschläge und Augenkrankheiten. Jährlich am fünften Sonntag nach Ostern (Mai) wallfahrtet man zur Quirinuskapelle, opfert Kinnbacken oder sonstiges getrocknetes Schweinefleisch und füllt die Flaschen mit dem Wasser des Quirinusbrunnen.


J.B. Klein, Pfarrer zu Dalheim

1

Hierauf anspielend, schicken die Mütter, wenn ein Kind zu spät zum Essen kommt, dasselbe zu den drei Jungfrauen speisen.

Quelle:
Gredt, Nikolaus: Sagenschatz des Luxemburger Landes 1. Neudruck Esch-Alzette: Kremer-Muller & Cie, 1963, S. 489-491.
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