[70] 140. Die Gespenster in der Schliérbech.

Vor vielen Jahren soll es im Ort genannt »an der Schliérbech« bei Esch an der Sauer nicht recht geheuer gewesen sein. Alte Leute erzählen, sie seien nie in der Nacht dort passiert, ohne irgend eine grausige Erscheinung gehabt zu haben.

Einst kam ein Mann in stockfinsterer Nacht auf seinem Pferde von Wilz. Noch ehe er zu der gefährlichen Stelle kam, wurde es ihm angst und bange und er wünschte sich nach Hause. Als er die unheimliche Stelle erreicht hatte, sah er auf einmal dicht an der Straße eine Menge hellbrennender Lichter, die sich immer vor ihm her bewegten. Dem Manne wurde es gar wunderlich zu Mute, jedoch er mußte weiter. Plötzlich sah er auf der rechten Seite der Straße ein in einen Schieferfelsen eingehauenes Kreuz. Das war ihm nun nichts Auffallendes, denn das Kreuz war vor Jahren von einem Maurer dort hineingemeißelt worden zum Andenken an einen beim Bau der Landstraße dort umgekommenen Arbeiter. Obschon der Mann das Kreuz schon mehr als hundertmal gesehen, so kam es ihm dennoch heute ganz anders vor als sonst. Er meinte nämlich, dasselbe sehe diese Nacht ganz weiß aus, was für ihn in der Dunkelheit kein angenehmer Anblick war. Er geriet vollends in Schrecken, als er dicht bei dem Kreuze eine unheimliche Katze gewahrte, welche den Reiter mit funkelnden Augen gar grimmig anblickte. Der Mann saß auf seinem Pferde »wie auf Dornen«. Auf der einen Seite die funkelnden Lichter, auf der anderen das leuchtende Kreuz und die unheimliche Katze, sicherlich genug, um einen noch so mutigen Mann in Angst und Schrecken zu versetzen. Was sollte er tun? Umkehren konnte er nicht, denn es war weit und breit kein Haus, wo er hätte einkehren können, und dann hätte er doch den Gespenstern nicht entrinnen können, wenn sie etwas Böses gegen ihn im Schilde führten. Er faßte Mut, drückte die Augen fest zu, um nichts zu sehen, und trabte dann, jedoch nicht ohne Herzklopfen, mit seinem Braunen mitten durch die Gespenster hindurch. Als er dieselben einmal hinter sich hatte, ließ er seinen Gaul die Peitsche fühlen und war dann bald zu Hause angelangt. Dort angekommen, fiel er in Ohnmacht.


Lehrer Georges

Quelle:
Gredt, Nikolaus: Sagenschatz des Luxemburger Landes 1. Neudruck Esch-Alzette: Kremer-Muller & Cie, 1963, S. 70.
Lizenz:
Kategorien: