[124] 289. Das Gespenst zwischen dem Weiler- und dem Guden-Bache.

In der Mitte des Berges zwischen dem Weiler- und dem Guden-Bache, etwas oberhalb des Kanals gegen den Gudenbach zu, geht ein unheimlicher Mann um. Ein gewisser Theis (Mathias) Schneidesch, ein junger, kernhafter Bursche von Echternach, fuhr in der Frühe mit seinem Esel auf genannten Berg, um sein Lasttier mit Spänen aus dem Holzschlag zu beladen. Einmal kam er nun mit halbgefüllten Körben ziemlich früh zurück. Auf Zureden seines Vaters gab er Aufschluß über sein sonderbares Betragen. »Ich fahre nicht mehr hin«, sagte er, »es ist mir jetzt dreimal so ein Pfaff begegnet, der meinem Esel ganz unheimlich vorkam. Er hatte einen langen, schwarzen Rock an, auf dem Kopf einen dreieckigen Hut und unter dem Arm ein großes Buch. Er sagte nichts, ging leise über das Laub, daß man ihn gar nicht gehen hörte, und so genau ich auch hingeschaut habe, sah ich doch kein Gesicht, sondern so etwas Graues, mit zwei dunklen Flecken, was wohl seine Augen sein mögen. Heute stand er auf einmal vor uns und mein Esel hat so gezittert, daß ich mit ihm fortfahren mußte!«


Dieser Wächter des Kanals wurde zu verschiedenen Zeiten dort gesehen, in letzter Zeit noch (1849) von einem Weibe beim Holzsammeln. Als dieselbe über den Kanal ging, begegnete ihr auch dieser Schwarze. Sie hörte ihn nicht gehen, noch sah sie deutlich sein Gesicht. Da sie aber kein Hasenfuß, sondern ein schlecht und recht gewohntes Weib war, so entlief sie nicht gleich, zog sich aber etwas beiseite, um den Schwarzen vorbeizulassen, und sagte sogar: »Guten Abend!« Als er jedoch schweigend an ihr vorüber war, ergriff sie eine solche Angst, daß sie, am ganzen Leibe zitternd, spornstreichs den Berg hinablief und mit fliegenden Haaren und zerrissenen Kleidern bei einigen Feldarbeitern ankam, denen es nur mit vieler Mühe gelang, die erschöpfte Frau wieder aufzurichten.

Quelle:
Gredt, Nikolaus: Sagenschatz des Luxemburger Landes 1. Neudruck Esch-Alzette: Kremer-Muller & Cie, 1963, S. 124.
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