[192] 441. Der hängende Mann und der Wagen ohne Pferde.

Eine Frau von Nospelt sollte eines Morgens zur Stadt gehen. Da die Hausuhr stehen geblieben war, stand die Frau aufs Geratewohl auf und machte sich auf den Weg. Wie sie nun zwischen Kehlen und Kopstal bei »Bolleschkreuz« kam, schaute sie von ungefähr etwas zur Seite; aber wie erschrak sie, als sie dicht an einem Baum, die Füße nach oben, einen Mann hängen sah. Die Frau machte das hl. Kreuzzeichen und eilte, diese Stelle des Schreckens zu verlassen. Bald war sie beim »Linn« bei Kopstal angekommen. Wenn sie vorher vor Angst fast sterben wollte, so faßte sie jetzt wieder Mut, als sie von ferne das Rasseln eines Fuhrwerkes hörte. Dieses kam immer näher und deutlich konnte sie das Durcheinanderreden vieler Personen vernehmen, die auf demselben saßen. Als das Fuhrwerk bei ihr angelangt war, überfiel sie aufs neue Schrecken und Entsetzen. An den Wagen waren keine Pferde gespannt; von unsichtbarer Hand gezogen, fuhr er dahin. An den Rädern waren keine Felgen; sie sprangen nur so auf den Speichen und von den Personen, deren Geplauder die Frau vernommen, war nicht die geringste Spur zu sehen. Der Wagen war nur mit Fässern beladen. Schweißtriefend kam die Frau vor dem Neutor an, als die Glocke eben zwei schlug.


Lehrer Konert zu Hollerich

Quelle:
Gredt, Nikolaus: Sagenschatz des Luxemburger Landes 1. Neudruck Esch-Alzette: Kremer-Muller & Cie, 1963, S. 192.
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