[206] 486. Geistertanz auf dem Ernzerberg.

[206] A. Bei der großen Grûocht, »Groußgruocht«, auf dem Ernzerberg hatte ein Mann aus Echternach seine Schmiede, wo er oft nachts um elf und zwölf Uhr noch arbeitete. Eines Abends kam eine Schar Männer und Weiber über die Tür herunter in die Schmiede, sprangen in die Stube des Mannes und tanzten dort nach dem Takt einer wunderschönen Musik, die sie bei sich hatten. Sie sprachen nicht, winkten bloß dem Schmiede, zu ihnen zu kommen und mit ihnen fröhlich zu sein. Wem aber die Lust zur Arbeit und mehr noch zum Tanze verging, das war der Schmied, denn ihm »graulte« und bangte sehr.

Da trat eine schöne Jungfrau zu ihm und gab ihm einen prächtigen Apfel, den er aber beiseite auf den Herd stellte, wo er ihn morgens ganz verbrannt wiederfand.

Als die Geister mit Tanzen aufhörten, stiegen sie über die Türe wieder hinaus und sausten durch die Luft über die Spitze des Berges.

Seit jener Zeit arbeitete der Schmied nicht mehr in seiner Werkstatt, doch sollen andere Leute nachts noch oft eine schöne Musik bei der Grûocht gehört oder eine schöne, weißgekleidete Jungfrau, durch den Klee laufend gesehen haben, deren Spuren man oft im Klee bemerken konnte.


N. Gonner


B. Von grünem Eppich umwoben und von duftenden Rebengewinden überhängt, stehen, nahe bei »Groußgruocht« die Überreste einer alten Schmiede. Vor nicht gar langer Zeit arbeitete hier ein rüstiger Schmied, der überall als ein wackerer, treuer und furchtloser Mann galt.

Einst hatte er eine besonders dringende Arbeit zu vollenden und arbeitete unverdrossen fort bis um Mitternacht. Es war eine schöne Julinacht; deshalb trat er nach beendigter Arbeit ein wenig vor die Schmiede, um sich vor dem Schlafengehen in der freien Luft zu erholen. Da horch – ein wundersames Klingen, entzückende Melodien drangen aus dem Innern des Berges an sein lauschendes Ohr. Wie durch einen Zauber fühlte er sich in seine Werkstätte hineingezogen, und sieh – aus einer Spalte im Hintergrund, von dem er nie eine Ahnung gehabt, entschwebten geisterhafte Gestalten, umhüllt von luftigen, schneeweißen Gewändern und umflossen von blendendem Lichtschimmer. Ein berauschender Wohlgeruch erfüllte den ganzen Raum. Wie von unsichtbaren Händen getragen, umschwebten die Phantome singend den Schmied, der sich von einem süßen, lieblichen Traume umfangen glaubte.

Plötzlich zeigten die Gestalten während des Singens auf die gähnende Spalte, als wollten sie dem Schmiede bedeuten, er solle eintreten; dieser jedoch hatte schon öfters von boshaften Berggeistern gehört und hielt es nicht für unmöglich, daß auch er jetzt von solchen geneckt werde. Darum, obgleich von einer fast unbezwingbaren Macht nach der Spalte hingedrängt, ermannte er sich, riß sich los von der Gewalt des Zaubergesanges und eilte[207] aus seiner Schmiede fort, den Bergeshang hinunter. Als er am anderen Morgen sich zagend wieder in seine Werkstätte hineinwagte, war die Spalte verschwunden und keine Spur verriet mehr den nächtlichen Spuk.


Tourist, Nr. 13

Quelle:
Gredt, Nikolaus: Sagenschatz des Luxemburger Landes 1. Neudruck Esch-Alzette: Kremer-Muller & Cie, 1963, S. 206-208.
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