[223] 521. Der dreibeinige Hase zu Echternach.

A. Ein Soldat war vom Abt des Echternacher Klosters, als dem Hochgerichtsherrn, wegen eines schweren Vergehens verurteilt worden, bei dem Kreuz jenseits der Brücke[223] enthauptet zu werden. Der Verurteilte hörte jedoch nicht auf zu beteuern, er sei unschuldig. Als man ihn dennoch zum Tode führte, sagte er, daran werde man erkennen, daß er unschuldig sei, wenn er nach seinem Tode als dreibeiniger Hase fortleben werde. Und in der Tat, kaum war er enthauptet, als ein dreibeiniger Hase vom Richtplatze weglief.

Derselbe wird sehr oft gesehen, namentlich auf der Brücke. Er läßt sich nicht ungestraft necken. Als jemand ihn mit einem Knüttel schlagen wollte, bekam er von unsichtbarer Hand gottsjämmerliche Prügel.

Einige Soldaten, die an der Sauerbrücke auf der Wacht waren, hatten zusammengelegt, um ein Gelage zu halten. Sie saßen noch nicht lange beim Schmaus, als sie einen dreibeinigen Hasen in ihrer Mitte gewahrten. »Da du nicht bezahlt hast, so sollst du auch nicht mitmachen,« sagten die Soldaten und wollten ihn fortprügeln. Allein in diesem Augenblick regnete es Schläge auf sie herab, daß ihnen Sehen und Hören vergehen wollte.

In der Mockesee spukt es nachts um zwölf Uhr, weil der dreibeinige Hase um diese Zeit hier umgeht.


Lehrer Rollmann


B. Von Kassemannsdank, seinem gewöhnlichen Aufenthalte, streift der dreibeinige Hase bis in die Maateswies, in die Seitert, selbst bis nach Rosport, und kommt neckend dem Jäger in Schußweite. Legt dieser zum Schusse an, dann ist er plötzlich aller Schußweite entrückt. Oft auch läßt er grade den gefeiertsten Schützen bis siebenmal auf sich schießen, der trotz des sicheren Schusses nie trifft und so zum Gespött und Gelächter seiner Jagdgenossen wird.

Als der alte Mathias X., des Echternacher Klosters ehemaliger Schuhmachermeister, in der Abenducht vom dreibeinigen Hasen erzählen hörte, versicherte er, daß, falls ihm solcher Spuk begegnete, er das Gespenst schon entlarven werde. An demselben Abend kam er von der Ehrstraße und wollte durch Siebenecken, da sieh! er gewahrte den dreibeinigen Hasen, so groß wie ein Hund, im Mondschein vor sich, der über die drei Meter hohen Mauern des Houtsgartens aus einem Garten in den anderen setzte und sich weithin in die Lüfte emporschnellte. Dabei vernahm man nicht das geringste Geräusch; sein Ansehen war grausenerregend. Dem Schuhmachermeister standen die Haare zu Berg; rasch kehrte er um und schlug den Weg nach dem Markte ein. So kam er zur Mockensee. Aber, o Schrecken! am Eingang derselben kauerte der gespenstische Hase, glotzte den Mann an und wich nicht, als derselbe mit dem Schurzfell das Untier verscheuchen wollte. Der Meister nahm nun seinen Weg durch Birkes zu seiner Wohnung in der Sauerstraße, aber auch hier saß wieder das Ungetüm in der engen Sackgasse dicht an seinem Wohnhaus. Dem Meister verging Hören und Sehen. Wie er in sein Haus und in sein Bett kam, daran konnte er tags darauf sich nicht erinnern.


A.R., Echternacher Volkssagen, 19


[224] C. Der dreibeinige Hase von Echternach erscheint auf seiner mitternächtlichen Runde zuweilen auch an dem Tore des alten spanischen Freistockes von Steinheim, der einst zu den Besitzungen des Klosters von Echternach gehörte. Auch soll er an dem zwischen Godendorf und Ralingen fließenden Eselsbur sowie auch in der am Fuße des Girsterberges gelegenen »Domb« gesehen worden sein.


J. Prott, Pfarrer


D. Einst schickte der Benediktinerabt von Echternach einen Novizenbruder, dessen Mut er erproben wollte, in finstrer Nacht nach der Ernzer Klause, um dem dort lebenden Einsiedler einen Besuch abzustatten, und gebot ihm, zum Beweise, daß er den Auftrag ausgeführt habe, einen Gegenstand aus dem Kläuschen mitzubringen. Der Mönch gehorchte, legte den unheimlichen Weg zur Grotte zurück und trat ein; der Einsiedler aber war abwesend. Nachdem er eine Zeitlang vergeblich auf dessen Rückkehr gewartet hatte, gedachte er, den Rückweg anzutreten, und sah sich nach einem Gegenstand um, den er dem Abte überreichen könnte. Da gewahrte er einen jungen Hasen, ein zahmes Tierlein, das dem Einsiedler ein lieber Gesellschafter geworden war. Rasch erfaßte er diesen und schnitt ihm die linke Hinterpfote ab, womit er nach der Abtei zurückkehrte.

Der Eremit war untröstlich, als er bei seiner Rückkehr das verstümmelte Tierchen vorfand. Er gebot demselben, hinauszueilen und seine Pfote zurückzufordern. Dieses steigt hinunter, umhinkt das Kloster, kehrt aber, da alle Tore verschlossen waren, zur Einsiedelei zurück.

Seit dieser Zeit macht alljährlich um dieselbe Stunde der dreibeinige Hase oder vielmehr dessen Schatten den Weg von der Klause zum Kloster und wieder zurück zum Ernzer Berge. Alte Leute versichern, ihm gegen Mitternacht auf der Brücke begegnet zu sein.


L'Evêque de la Basse Moûturie, 241

Quelle:
Gredt, Nikolaus: Sagenschatz des Luxemburger Landes 1. Neudruck Esch-Alzette: Kremer-Muller & Cie, 1963, S. 223-225.
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