[270] 641. Die Sängerin von Useldingen.

An einem Augustabend kam ein schlichter Jüngling die Landstraße daher, die durch das reizende Atterttal[270] führt. Es mochte wohl zehn Uhr sein, als er zu Ewerlingen angelangt war. Da tönte plötzlich von der gegenüberliegenden Anhöhe ein wundervoller Gesang zu ihm herüber. Indem er langsam voranschritt, horchte er mit Staunen auf. Immer reicher schwoll die süße Melodie an des Jünglings Ohr, der nicht erwehren konnte, sich auf einen Stein niederzulassen, um dem Gesang zuzulauschen. Plötzlich sah er im hellen Mondschein aus dem Gebüsch eine wunderschöne Gestalt hervorschweben. Ein schneeweißes Gewand umhüllte das schlanke Weib, dessen rabenschwarze, im Abendwinde flatternde Locken weit über die Schultern herabfielen. Von neuem erklang der Jungfrau süßer Gesang, aber diesmal drangen tiefe Seufzer aus ihrem Herzen hervor. Die leichte Gestalt schwebte bei dem Klingelbur über die Attert und langsam an dem Jüngling vorüber. Dieser hörte kein Rauschen der Kleider, sondern nur mehr die letzten, leisen Worte, die auf ihren Lippen zu sterben schienen. Sie flog über die Straße und durch eine dichte Hecke. Der Jüngling blickte ihr nach, sah aber bald nur mehr ein kleines, linnenes Tüchlein an der Hecke hangen.

Quelle:
Gredt, Nikolaus: Sagenschatz des Luxemburger Landes 1. Neudruck Esch-Alzette: Kremer-Muller & Cie, 1963, S. 270-271.
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