[289] 664. Das Kapellenhündchen bei Düdelingen.

A. Dort, wo östlich vom Johannisberg mitten in den Feldern der Weg von Kail mit der von Düdelingen nach Budersberg führenden Straße einen Dreiweg bildet, steht eine kleine Kapelle der Trösterin der Betrübten. Sonst war dort nur ein Marienbild in einer hohlen Linde. Diesen Weg daher kam einst Ritter Kunnert geritten und weil er müde war, schlief er auf dem Pferde ein. Auf einmal stutzt das Pferd und will nicht voran. Kunnert erwacht und erblickt allerlei Teufelsspuk um sich her. Er gelobt, der Mutter Gottes ein Kirchlein zu erbauen, und wird aus der Gefahr befreit.


Nach Englings Manuskript, 88


B. Nach mündlichen Mitteilungen wird diese Sage in der Gegend auf folgende Weise erzählt. Ein reicher Mann, der beim Volk unter dem Namen Huer bekannt ist, kam einst in finstrer Nacht auf einem Karren des Weges[289] von Budersberg nach Düdelingen gefahren. Am Dreiweg angekommen, wo die Linde mit dem Muttergottesbilde stand, blieb auf einmal das Pferd mit dem Karren stehen. Zugleich sah sich der Mann von allerlei Spuk umgeben und konnte das Pferd ganz und gar nicht vorwärtsbringen. Da gelobte er in seiner Angst, daß, wenn er glücklich von der Stelle käme, er der Muttergottes an diesem Orte eine Kirche erbauen wolle. Und kaum hatte er das Gelübde getan, als auch gleich das Pferd den Karren weiter zog. Der Mann hielt sein Versprechen und ließ die Kirche erbauen. Sie wurde später von den Franzosen bis auf die Grundmauern zerstört und aus den Trümmern wurde im Anfang dieses Jahrhunderts die Kapelle errichtet, die noch heute dort zu sehen ist und an welche sich folgende Sage knüpft.

Viele Leute, welche nachts an dieser Kapelle vorbeigingen, bemerkten ein kleines, fast schneeweißes Hündchen, das auch nach Aussage einiger eine Schelle am Halse getragen haben soll. Es sprang hinter der Kapelle hervor, lief dreimal um dieselbe herum und näherte sich dann dem Wanderer. Schlug dieser den Weg nach Kail ein, so folgte es ihm, indem es hinter ihm oder neben ihm herging, bis auf die sogenannte Scherr, ein Tal, das zwischen der Hart und dem Johannisberg liegt. Hier verließ das Hündchen die Leute, ging langsam auf den Johannisberg zu, setzte sich auf einen der höchsten Abschnitte der Bergabhanges nieder und löste sich nach einiger Zeit vor den Augen des Reisenden in Dunst auf. Durch dieses Hündchen, das weit und breit unter dem Namen Kapellenhündchen bekannt wurde, kamen nun jene Orte in Verruf, so daß jeder sich scheute, um Mitternacht dort vorbeizugehen. Sie gelten auch heute noch, besonders das Scherrtal, als sehr unheimlich.

Nun geschah es einmal, als allgemeiner Beichttag in Düdelingen war, daß zwei Jünglinge von sechzehn, siebzehn Jahren, Karl Henky und dessen Hausknecht Karl Boland, in der Beicht als Buße erhalten hatten, sie sollten am selben Abend einen Rosenkranz in der Kapelle auf dem Johannisberge beten. Beide gingen schnell miteinander fort und als sie das Dorf schon hinter sich hatten, begegneten sie dem Pfarrer von Kail, der eben von dem Beichttag nach Hause zurückkehrte. Sie schritten eilig an ihm vorüber. »Wohin denn so schnell?« fragte der Pfarrer. – »Auf den Johannisberg,« erwiderten die Jünglinge und setzten ihren Weg raschen Schrittes fort. Denn ihnen grauste vor dem Berg und sie mochten nicht gern lang in der Nacht dort verweilen. Der Pfarrer folgte langsam nach und als er zur Kapelle am Kreuzweg kam, sprang das Hündchen hinter derselben hervor und streifte dreimal um die Kapelle herum. Der Geistliche wußte nichts von dem Spuk. Er glaubte, das Hündchen sei verloren und plage sich ängstlich auf der Spur seines Herrn. Es gefiel ihm wohl und er lockte es, um es mit nach Hause zu nehmen. Es gesellte sich ihm auch zu und folgte ihm, ließ sich aber nicht liebkosen. Als der Pfarrer die Scherr erreicht hatte und kaum einige Schritte[290] an dem Weiherchen, einem alten Brunnen, vorüber war, verließ ihn auf einmal das Hündchen und eilte dem Johannisberge zu, an dessen Abhang es sich niedersetzte. Der Pfarrer erschrak und sagte: »Wart nur, mein Hündchen, du wirst von nun an keinem mehr folgen. Du bist eine arme Seele. Morgen werde ich für dich eine Messe lesen.« Und gleich ertönte in den Lüften eine himmlische Musik, welche sich dem Berge näherte. An der Stelle, wo das Hündchen gesessen hatte, sah der Pfarrer eine Schar weißgekleideter Jungfrauen, die in einer langen Prozession, zu vier und vier hintereinander gereiht und sich an den Händen haltend, unter den Klängen jener Musik mit wunderlieblichem Gesang den Berg hinauf gegen die Kapelle tanzten. Erstaunt sah der Pfarrer dieser Erscheinung zu, von den Musikern konnte er nichts sehen.

Zu eben dieser Stunde waren auch die beiden Jünglinge schon in der Bergkapelle angekommen und beteten den Rosenkranz. Als sie den Gesang von ferne hörten, freuten sie sich, denn sie glaubten, es seien die Mädchen von Budersberg, und so konnten sie hoffen, Gesellschaft zu bekommen. Dann aber ward auf einmal die Kapelle hell, wie von einem Blitz erleuchtet, und die erstaunten Jünglinge sahen die Jungfrauen tanzen und hörten die himmlische Musik. Dies dauerte jedoch nur einen Augenblick, und es wurde plötzlich wieder still und finster wie vorher. Die Jünglinge kehrten schnell ins Dorf zurück und erzählten, was geschehen war. Die Leute wollten es aber nicht glauben, bis auch der Pfarrer von Kail berichtete, was er gesehen hatte; dann hieß es allgemein, die verwünschte Jungfrau vom Johannisberg sei erlöst.


J. Prott, Pfarrer

Quelle:
Gredt, Nikolaus: Sagenschatz des Luxemburger Landes 1. Neudruck Esch-Alzette: Kremer-Muller & Cie, 1963, S. 289-291.
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