[291] 665. Die weiße Jungfrau auf dem Johannisberg.

Während des Krieges bestieg einst ein französischer Hauptmann abends den Johannisberg. Als er oben angekommen war, sah er links vor der Kirche eine schöne, schneeweißgekleidete Jungfrau stehen. »Wer bist du?« redete er sie an. Die Jungfrau aber gab keine Antwort, regte und bewegte sich nicht. »Ich frage wieder, wer bist du?« fragte der Hauptmann ein zweites Mal aufgeregter. Die Jungfrau blieb stumm und unbeweglich wie zuvor. »Gib Antwort,« rief der Hauptmann erzürnt zum drittenmal, »oder ich durchbohre dich!« Doch die Jungfrau sprach noch immer kein Wort, stand regungslos da, als wäre sie von Stein, und sah ihn kalt mit hellen, starren Augen an. Da grauste es dem Hauptmann und in einem Atem lief er herunter nach dem Dorfe Kail, wo er dreimal nacheinander ohnmächtig zusammensank.


J. Prott, Pfarrer

Quelle:
Gredt, Nikolaus: Sagenschatz des Luxemburger Landes 1. Neudruck Esch-Alzette: Kremer-Muller & Cie, 1963, S. 291.
Lizenz:
Kategorien: