[302] 692. Der Schatz auf Scheid.

[302] Eine halbe Viertelstunde westlich von Rosport befindet sich ein runder Bergkegel, der von dem Volk Scheid genannt und in »vor Scheid«, »auf Scheid« und »hinter Scheid« unterschieden wird. »Vor Scheid«, d.h. oben am Rand des südlichen Abhanges, dem Dorfe zu, soll der Sage gemäß um Mitternacht von Zeit zu Zeit ein Geldfeuer brennen. Wer das Glück hat, meldet die Sage weiter, dieses Feuer brennen zu sehen, kann den Schatz in der folgenden Mitternacht ausgraben; er muß aber einen Gefährten zu sich nehmen und beide müssen die erste Regel aller Schatzgräber, unbedingtes Schweigen bei der Arbeit, streng beobachten.

Zwei Männer aus Rosport, die einst das Geldfeuer vor Scheid brennen sahen, verabredeten sich, den Schatz in der folgenden Nacht auszugraben, und faßten zugleich den festen Entschluß, während der Arbeit das vorgeschriebene Stillschweigen, es geschehe, was wolle, streng zu beobachten. Nachdem sie schon des Abends die Stelle ganz genau bezeichnet hatten, begaben sie sich um Mitternacht mit Hacken, Schaufeln und einem Hebeisen dahin und fingen mit großem Fleiß an zu graben. Sie mochten kaum eine halbe Stunde am Werk gewesen sein, als sie auf einen länglichviereckigen Stein stießen, unter welchem sich, wenn sie denselben mit Hacke und Schaufel berührten, ein hohler, metallener Klang wie von Silber und Gold vernehmen ließ. Fast außer sich vor Freude, ergriffen sie schnell das Hebeeisen und gaben sich dran, den Stein zu heben, der sie noch von ihrem Glück trennte. Doch sieh da! plötzlich erblickten sie eine große, hehre Jungfrau in prachtvollen, weißen Gewändern, welche ihnen stillschweigend zuschaute. Zugleich entstand ein furchtbares, ehernes Geräusch, das mit einem unheimlichen Sausen verbunden war. Diese Erscheinung hatte offenbar zum Zweck, die beiden Schatzgräber in Schrecken zu setzen und in die Flucht zu treiben. Sie ließen sich aber nicht stören und arbeiteten rüstig weiter. Inzwischen wurde das Geräusch immer stärker und stärker; die Erde bebte, als wäre sie vom Donner erschüttert. Da fing es den beiden Männern doch an etwas unheimlich zu werden; sie blickten wieder auf und sahen nun statt der einen, drei weißgekleidete Jungfrauen um die Grube stehen und ihnen zuschauen. Trotzdem ließ sich der eine Schatzgräber nicht ängstigen, sondern ergriff von neuem das Hebeisen, um den Stein zu entfernen; der andere jedoch fing wie Espenlaub zu zittern an, blickte voll Schrecken nach seinem Gefährten hin, ließ dann das Hebeisen fallen und rannte in rasender Eile den Berg hinunter dem Dorfe zu. Da der andere nun allein nichts mehr ausrichten konnte, raffte er, über die Feigheit seines Begleiters fluchend, das Arbeitsgerät zusammen und begab sich ebenfalls nach Hause. Als sie am andern Morgen wieder an die Stelle zurückkehrten, konnten sie nicht die geringste Spur mehr bemerken von der Grube, die sie gegraben hatten, und der Schatz war für sie verloren.


Pfarrer J. Prott

Quelle:
Gredt, Nikolaus: Sagenschatz des Luxemburger Landes 1. Neudruck Esch-Alzette: Kremer-Muller & Cie, 1963, S. 302-303.
Lizenz:
Kategorien: