[339] 754. Jâsmännchen als Plagegeist.

Auf der Hûscht am Krenkelstein plagte Jâsmännchen bei Nacht die Reisenden. Er kollerte sich ihnen an den Rücken oder ließ sich als schwere Last auf ihre Schultern nieder, so daß sie fast gelähmt sich nur keuchend und schwitzend fortzuschleppen vermochten. Zugleich erhielten sie von unsichtbarer Hand Schläge über Schläge. Hier, wo die Pfade sich nach allen Seiten hin durchkreuzen und sich meistens wieder im Wald und in der Wildnis verlieren, pflegte Jâsmännchen auch nächtlicherweile die Wanderer in die Irre zu führen. Sie vertraulich begleitend oder vor ihnen hergehend, brachte er sie durch allerlei listige Bewegungen von der rechten Bahn ab. Dann verschwand er plötzlich und die Reisenden irrten die ganze Nacht im Wald umher.

In dem bei Wilz gelegenen früheren Hochwald, genannt Grawelter, ging um Mitternacht Jâsmännchen um. Ein Bürger des nahen Dorfes[339] Nocher ritt eines Abends in benebeltem Zustand durch diesen Wald. Als es Mitternacht auf dem Kirchturm von Nocher schlug, kam ihm das Jâsmännchen in den Sinn und er fing an, dasselbe zu rufen, zu verspotten und auszuschelten. Auf einmal fühlte er sich von kräftiger Hand im Nacken gefaßt und vom Pferd geschleudert, und eine tüchtige Tracht Prügel hagelte auf ihn hernieder. Dann hörte er Jâsmännchen mit lautem Kichern davonlaufen.

Jâsmännchen erschien einst bei dem dort gelegenen Hügel, genannt Polter, einem Müller, als diesem eben ein sehr schwerer Sack vom Karren gefallen war. Wie der Müller sich anschickte, den Sack wieder auf den Karren zu heben, schrie ihm Jâsmännchen zu, er solle sich nicht bemühen, griff mit einer Hand unter den Sack und schob ihn auf den Karren. Dann sprang er lachend davon.

Unten am Lûschterberg im Heiderscheidergrund befand sich eine Fähre an der Sauer. Auch dort neckte Jâsmännchen des Nachts die müden Schiffer, indem er an das Ufer stehen kam und aus allen Leibeskräften schrie: »Hol über!« Die Stimme hatte etwas Ehernes und klang so durchdringend, daß selbst halbtaube Leute sie im Schlaf hörten und erschrocken aufsprangen. Eilten nun die Schiffer herbei, so war Jâsmännchen verschwunden. Entweder rief er dann an einer andern Stelle oder brach in lautes Gelächter aus.

Nach andrer Mitteilung erzählen die Leute folgendes:

Vor uralter Zeit befand sich am Ort, genannt »auf der Schmelz«, auf dem Felsen eines Gebirges der Gösdorfer Gemeinde, am Fuß der Sauer eine »Schmelz«. Der Besitzer derselben war ein sehr reicher Mann, der jedoch sein Vermögen auf ungerechte Weise erworben hatte. Damit dasselbe nicht in fremde Hände komme, hatte er es vor seinem Tode vergraben. Nach seinem Tod fand er im Grab keine Ruhe und wandelte nächtlich zwischen den Felsen des Berges umher und prägte Geld, das er dann wieder verscharrte.

Am entgegengesetzten Sauerufer befand sich eine Mühle, welche noch heute steht. Der Nachen, der sich dort auf der Sauer befand, gehörte dem Eigentümer der Mühle. Nun geschah es oft, daß in finsterer Nacht gerufen wurde: »Hol über!« Die guten Leute, in der Meinung, ein Reisender habe gerufen, ruderten hinüber, fanden aber niemand. Zuweilen geschah es, daß, wenn die Leute mit dem Nachen anlandeten, sie mit einem schallenden Gelächter oder einem gewaltigen Getöse empfangen wurden, ohne daß sie irgendeine Spur von einem Menschen gewahrten. Es war aber jedesmal das Schmelzmännchen, das gerufen hatte und die Leute foppte. Einst waren wieder zwei Männer bei hohem Wasserstand auf den Ruf: »Hol über!« hinübergefahren; als sie aber landeten, war niemand da. Auf der Rückkehr in der Mitte der Sauer angelangt, hörten sie von neuem rufen: »Hol über!« Sie fuhren zurück; da aber niemand da war, um einzusteigen, rief der eine der beiden Männer: »Nun, wer mitfahren will, der mache sich[340] herein!« Auf einmal hagelte es Schläge auf sie hernieder. Anfangs sahen sie niemand, endlich gewahrten sie das Schmelzmännchen an sich vorüberhuschen. Als die Leute sich von ihrem Schrecken erholt hatten, wendeten sie den Nachen und fuhren zurück. In der Mitte des Flusses angekommen, hörten sie noch einmal dumpf, wie aus dem Boden kommend, rufen: »Hol über!« und alles war vorbei.

Man glaubt, daß unter dem Schmelzmännchen das Jâsmännchen zu verstehen sei.

Quelle:
Gredt, Nikolaus: Sagenschatz des Luxemburger Landes 1. Neudruck Esch-Alzette: Kremer-Muller & Cie, 1963, S. 339-341.
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