Nachwort

Die von unserem Willen unabhängige Verzögerung des Druckes ist unserer Sagensammlung vorzüglich zustatten gekommen, denn es haben im Laufe dieser Zeit, außer den im Vorwort namhaft gemachten Sammlern, noch zahlreiche, nicht minder thätige sich uns zugesellt; ihre geehrten Namen sind dem gelieferten Stoffe beigefügt. Unseren wärmsten Dank diesen uneigennützigen Mitarbeitern hiermit auszusprechen, ist uns eine angenehme Pflicht.


Ganz unschätzbar und besonderer Anerkennung würdig ist das freundliche Entgegenkommen des Eigentümers und Redakteurs der litterarischen Wochenschrift »Das luxemburger Land«, Herrn Karl Mersch, der uns sämtliche, ihm zugegangene brauchbare Mitteilungen zur Verfügung stellte. Möge sein ausgezeichnetes Blatt auch ferner dem Nachfluß des Sagenstoffes seine Spalten öffnen und dadurch eine erschöpfende Nachlese erleichtern! Alle Freunde der vaterländischen Geschichtsforschung werden ihm dafür Dank wissen.


Die inzwischen erfolgte Versetzung des früheren Pfarrers von Kontern, Herrn J. Prott, nach Steinheim bei Echternach eröffnete diesem begeisterten Förderer des Sagenstudiums ein neues Feld freudigen Wirkens an den sagenreichen Ufern der Sauer. Auch in diesem Bezug ist uns die Verzögerung des Druckes vorteilhaft gewesen.


Der einsichtsvolle Altertumsfreund wird beim Durchlesen vorliegender Sammlung unzweifelhaft die mannigfachen Zurichtungen überdenken, welche noch erfordert wären, um das ansehnliche Material für die Zwecke der gelehrten Forschung flüssig zu machen. Unsere unmaßgebliche Meinung ginge dahin, daß vorerst die Stoffe in verschiedene Inhaltsverzeichnisse zerlegt werden müßten, so etwa, daß ein erstes Verzeichnis die Ortsnamen, ein zweites die Personennamen, ein drittes endlich die (im weiteren Sinn) mythologischen Gattungsnamen in alphabetischer Ordnung brächte. Auf diese Weise würde der Bearbeiter einer mythologischen, historischen oder ethnographischen Monographie leicht die Fäden fassen können, welche er in sein Gewebe einschlagen möchte. Uns selbst mangelte es an der Muße,[565] diese nützliche Arbeit zu bewerkstelligen. Unnötig erscheint es, eigens hervorzuheben, daß es bei der von uns gewählten Rubrizierung des Materials nur auf rudimentarische Sonderung desselben abgesehen war.


Es sei uns schließlich vergönnt, aus einem uns zugegangenen Schreiben des Herrn Pfarrers Klein zu Dalheim, der die Entstehung vorliegender Sagensammlung stets mit der lebhaftesten Teilnahme verfolgte und dessen zahlreiche Beiträge wir mit besonderem Danke unserem Werke einverleibt haben, folgende, gewiß nicht zu unterschätzende Stellen auszuheben:


»Ich gebe mich der zuversichtlichen Hoffnung hin, daß, wenn einmal die gebildeten Männer unseres Landes die vorliegende umfassende Sagensammlung eines bedächtig prüfenden Blickes würdigen werden, nicht nur manches bis dahin entgegenstehende Vorurteil fallen, sondern auch noch manche neue Kraft für den Aufbau unserer noch so dunkeln Vorgeschichte gewonnen wird. Ich denke hier besonders an den allem ernsten Streben vorzugsweise zugewandten Klerus.«


»Was zunächst die Vorurteile betrifft, welche den sittlichen Wert der Volkssagen in Frage stellen möchten, so sind wohl die eigentümlichen Bildungszustände unseres Vaterlandes dafür verantwortlich zu machen, welche bis in die letzten Dezennien hinein von dem wahrhaft Volkstümlichen nur verschrobene Begriffe aufkommen ließen, und welche den edelsten Bestrebungen unserer deutschen Stammesgenossen zur Hebung der Schätze der Volksdichtung kein Verständnis abzugewinnen vermochten. Der Grundzug der echten Volkssage ist immer ein eminent moralischer. Auch das Wunderliche, Schreckliche, Lächerliche tritt immer unter dem Gesichtspunkt der Gläubigkeit, Treue und Ehrlichkeit hervor. Ein tiefes Rechtsgefühl und die anspruchslose Zaubergewalt der Unschuld beherrschen diese ganze Sagenwelt: sie ist der älteste und treueste Spiegel des Volkscharakters, denn sie ist aus dem innersten Kern des religiösen Bewußtseins des Volkes hervorgegangen, dessen eigenste Schöpfung sie durch die hochpoetische Verkörperung seiner Ideale geworden ist.«


»Aus dieser nie und nirgends bestrittenen Anschauung geht hervor, wie sehr es not thut, die durch Sagen, Sitten und Bräuche gebildete Schicht wertvoller historischer Ablagerungen einer gründlichen, allgemeinen Ausbeutung zu unterziehen. Und wer könnte hier trefflichere Dienste leisten als der Geistliche, dessen Beruf eine gewisse Kenntnis des christlichen Altertums, insbesondere aber jener Prozesse voraussetzt, welche bei der Durchsäuerung der heidnischen Begriffe durch das christliche Ferment zu Tag getreten und deren Spuren eben nur in den Sagen, Sitten und Bräuchen nachzuweisen[566] sind? Soll je die früheste Geschichte unserer Vorfahren klargelegt werden, so kann es nur geschehen durch die Analyse der mit heidnischen Ingredienzen verquickten Sagen und Bräuche des Volkes.«


»Zwar nicht in dieser speziellen Zweckbestrebung, so doch wohl aus einer historisch-konservativen Richtung heraus ist denn auch bereits vor mehreren Jahren unserer Geistlichkeit das Studium der Pfarrchroniken, beziehungsweise die Anlegung und Fortführung derselben durch die kirchliche Oberbehörde empfohlen worden. Das Aufstellen eines Katalogs der noch vorhandenen Aktenstücke, das Notieren der jetzt noch bestehenden Bräuche, Glaube und Aberglaube betreffend, ist das mindeste, was von den Dienern der Kirche erhofft werden könnte: es würde dadurch mancher bislang verborgene Schatz gehoben und zum Besten der Landesgeschichte verwertet werden können.«


Sollte die vorliegende Arbeit nicht bloß als Beitrag zum Baumaterial unserer Geschichte gewürdigt werden, sondern auch als erfolgreiche Anregung aller fähigen Kräfte zu einem edeln, gemeinnützigen Schaffen sich bewähren, so dürfte unsere Mühe reichlich belohnt und unsere schönste Hoffnung verwirklicht sein.


Luxemburg, im November 1884.


Der Herausgeber[567]

Quelle:
Gredt, Nikolaus: Sagenschatz des Luxemburger Landes 1. Neudruck Esch-Alzette: Kremer-Muller & Cie, 1963, S. 563-568.
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