Vorwort

Der Grund zu vorliegender Sagensammlung ward vor etwa dreißig Jahren gelegt im Verein mit Herrn Klein, Pfarrer zu Dalheim, und dem verdienstvollen Redakteur der »Luxemburger Gazette«, Herrn Gonner zu Dubuque, der mir bei seiner Abreise nach Amerika das damals gemeinsam gesammelte nicht unansehnliche Material zur Verfügung stellte. Herr Gonner hatte damals vierzig Sagen beigebracht, die in diese Sammlung aufgenommen worden sind; der Beitrag des Herrn Klein belief sich auf sieben und vierzig Sagen. Nachdem im Laufe der Jahre das Werk zwar nicht aufgegeben, doch nur spärlich gefördert worden und ich die Überzeugung gewonnen hatte, daß ohne allseitige Mitwirkung eine möglichst vollständige luxemburgische Sagensammlung nicht hergestellt werden könnte, war ich beflissen, zunächst die Herren Primärlehrer zum Sammeln anzuregen. So erschien denn im »Luxemburger Schulbote«, Jahrgang 1877, Seite 240–265, ein »Aufruf an die Herren Lehrer« mit den notwendigen Anweisungen zum Sammeln von Sitten und Sagen, sowie mit zahlreichen Musterproben. Von zwei und zwanzig Lehrern liefen mehr oder weniger ausgedehnte Beiträge ein, die mir von der archäologischen Gesellschaft zur Verwertung übergeben wurden. Die Namen dieser Lehrer findet man dem von ihnen gelieferten Sagenstoff beigefügt.

Besonders erwähnt zu werden verdient Herr Prott, früher Pfarrer zu Tadler, jetzt zu Contern, der, unermüdlich im Zusammentragen von Material, an dem Werk einen lobenswerten Anteil genommen hat.

Nachdem einmal diese Bahn betreten war, und damit auch nicht ein Winkel des Landes unerforscht bliebe, wandte ich mich an die Zöglinge unseres Athenäums mit der Bitte, mir die in ihren Heimatsorten noch lebenden Sagen, Bräuche u.s.w. zu dem genannten Zwecke zu notieren. Die wackeren Studenten entsprachen den Erwartungen, die ich von ihrer jugendlichen Begeisterung hegte, in vollem Maße. Da ich außerdem von Herrn N. Moes, Redakteur des »Tourist« und des »Luxemburger Land«, ermächtigt wurde, die dort erschienenen und ebenfalls auf lebendiger Volksüberlieferung beruhenden Sagen meiner Sammlung einzuverleiben, so flossen allgemach die Sagenquellen zum breiten Strom zusammen. Freudig[13] benutze ich diese Gelegenheit, den genannten Herren, sowie den wackeren Studenten1 meinen wärmsten Dank auszusprechen.

Auf die angegebene Weise ist es möglich geworden, eine so reichhaltige Sagensammlung unseres Landes herzustellen, und trotzdem, obgleich es mir daran gelegen war, dieselbe so vollständig als möglich zu machen, mag noch diese oder jene Sage fehlen. Die mir noch zugehenden Sagen, sowie ergänzende und berichtigende Zusätze, die ich mit größtem Danke entgegennehme, werden in einem Nachtrag zu dieser Sammlung später einen Platz finden.

Für die vorliegende Sagensammlung ist der Volksmund, die lebendige Volksüberlieferung, die Haupt- und fast einzige Quelle gewesen. Deshalb[14] finden sich in derselben so wenige Schriftwerke angeführt, aus denen geschöpft worden: L'Evêque de la Basse-Moûturie2, Engling's Manuskript3, einige nun leider unauffindbare4 Manuskripte der archäologischen Gesellschaft, Bertholet, und diese nur, wenn der von ihnen mitgeteilte Sagenstoff im Volksmunde verklungen war.

Andere Quellen als der Volksmund sind entweder als poetische Bearbeitung oder als breit und zu eigenmächtig ausgeschmückt und anderen Zwecken huldigend, wenn nicht geradezu entstellt, doch jedenfalls mehr oder minder verdächtig. Aus solchen Quellen in einfache schlichte Prosa übersetzen – damit glaube man nicht, die Volkssagen herzustellen und der Forschung wesentliche Dienste zu leisten. Eine entstellte Volkssage läßt sich nur berichtigen, indem wieder auf den Volksmund, als die ungetrübte Quelle, zurückgegangen wird. Denn nicht das bloße Gewand, die einfache naive Sprache macht schon die Sage; als Inhalt muß darin des Volkes eigenstes, innerstes Leben pulsieren. So habe ich denn für alle Sagen gesucht, wieder aus dem lebendigen Quell der Volksüberlieferung zu schöpfen; zu einer einfachen Transkription habe ich mich nur dann erst bequemen können, nachdem alle Mühe vergeblich war, auf andere Weise des Sagenstoffes habhaft zu werden. Unter diesen transskribierten Sagen steht auch die Quelle, aus der sie geflossen, als verdächtiger Geburtsschein angegeben.

Die Behandlung, wie sie l'Evêque de la Basse-Moûturie den Sagen hat angedeihen lassen, hat dieselben als Volkssagen völlig entstellt, da doch in einem Buche über Land und Leute die Volkstradition hätte streng gewahrt werden müssen. Aus dieser trüben Quelle zu schöpfen, hat man sich zumeist begnügt; und so kommt es, daß man verschiedene Quellen für eine und dieselbe Sage citieren kann, die aber alle auf die eine, auf Basse-Moûturie zurückzuführen sind. Um die eigentliche Urquelle, das Volk, hat man sich weniger gekümmert.

Im großen Ganzen habe ich gesucht, den von den Gebrüdern Grimm betretenen Weg einfacher schlichter Darstellungsweise einzuhalten, mich dabei aber gehütet, allzusehr an den gemachten Mitteilungen auf Kosten ihrer[15] naiven Frische und Originalität herumzuarbeiten. Auch tritt die eine Sage breiter auf als die andere, je nachdem die Sagenquelle reichlicher oder spärlicher floß, und je nachdem ein mehr oder weniger entwickelter Sagenstoff gegeben war.

Hoffen wir, daß es auf dem nun angebahnten Wege gelingen werde, wie hier die Sagenschätze, so in naher Zukunft die Sitten und Bräuche des Luxemburger Volkes zusammenzustellen und so dem Altertumsforscher das Material zu liefern, die Urgeschichte unseres kleinen Vaterlandes in möglichster Klarheit und Vollständigkeit bloßzulegen. Dem luxemburger Volke aber, das in dieser Sammlung die Kinder seines eigenen schöpferischen Geistes wiedererkennen wird, bieten wir dieselbe als wahres Volksbuch zum Genusse an.


Luxemburg im April 1883.

Der Herausgeber

1

Ich lasse nachstehend die Namen der Studenten folgen, welche zu der Sagen-Sammlung beigetragen haben:

Zunächst sind hier zu nennen zwei brave hoffnungsvolle Zöglinge, Joh. Jos. Donckel aus Mertert und Luc. Feltgen aus Berschbach (Mersch), die durch den Tod ihren Familien und dem Athenäum leider entrissen wurden. Dann die nach Beendigung ihrer Studien an unserer Anstalt ausgetretenen Joh. Pet. Kirsch aus Dippach, Nik. Donvel aus Beringen (Mersch), Heinr. Infalt aus Diekirch, Nik. Tockert aus Dommeldingen, Joh. Zieser aus Reckingen (Mersch), Leop. Hames aus Beckerich. Aus dem Oberkursus: Vikt. Dasburg aus Fels, Aug. Gredt aus Luxemburg, Mich. Lang aus Säul, Jak. Meyers aus Bondorf, Mich. Meyers aus Boxhorn, Pet. Schmit aus Born. Aus Ia: Nik. Antony aus Niederbesslingen, Joh. Bertemes aus Urspelt (Klerf), Nik. Drees aus Elwingen, Joh. Pet. Metzler aus Krautem, Vikt. Müller aus Luxemburg, Pet. Nepper aus Arsdorf, Joh. Paulus aus Esch a.d. Alz., Dan. Rousseau aus Esch a.d. Alz., Leo Schmit aus Remich, Nik. Wilmes aus Mersch. Aus IIa: Jak. Alesch aus Waldbredimus, Joh. Pet. Astgen aus Kehlen. Nik. Bellwald aus Remerschen, Andr. Clemens aus Mörsdorf, Joh. Eischen aus Schandel, Joh. Peter Ensch aus Pissingen, Eug. Faber aus Wilz, Nik. Frieden aus Ehnen, Pet. Hastert aus Roodt a.d. Syr, Nik. Kolbach aus Esch a.d. Alz., Joh. Pet. Meder aus Ettelbrück, Pet. Nommesch aus Greiweldingen, Theoph. Schiltz aus Hosingen, Peter Schram aus Schwebsingen, Nik. Sibenaler aus Remich, Pet. Steffes aus Betzdorf, Math. Wahl aus Kopstal, Nik. Weydert aus Oberanwen. Aus IIIa: Jak. Delahaye aus Luxemburg, Joh. Fabritius aus Oberwampach, Joh. Feltgen aus Steinsel, Friedr. Fürst aus Simmern, Paul Gredt aus Luxemburg, Fel. Hoffmann aus Schandel, Wilh. Kept aus Biwisch, Edm. Klein aus Wilz, Joh. Pet. Kohl aus Ehnen, Ant. Kolb aus Differdingen, Wilh. Krombach aus Ettelbrück, Joh. Pet. Lenertz aus Leudelingen, Joh. Pet. Lippert aus Bartringen, Ant. Maas aus Echternach, Joh. Bapt. Mandy aus Künzig, Isid. Moes aus Bus, Nik. Peters aus Ermsdorf, Nik. Rehlinger aus Dondelingen, Mich. Schanck aus Hüpperdingen, Phil. Schmit aus Hemsthal, Mich. Schwartz aus Heisdorf, Joh. Schwind aus Simmern, Pet. Ugen aus Eich, Paul Waltzing aus Luxemburg, Joh. Pet. Weber aus Leudelingen, Joh. Weirig aus Holzem, Jul. Wilhelm aus Luxemburg, Jul. Heber aus Dalheim. Aus IVa: Ernst Demuth aus Wormeldingen, Al. Küborn aus Niederkerschen, Eug. Leven aus Schweich, Eug. Ruppert aus Luxemburg. Aus Va: Joh. Pet. Hemmer aus Straßen, Joh. Pet. Mitsch aus Straßen. Aus VIa: Joh. Pet. Erpelding aus Garnich, Jos. Ehlinger aus Dalheim. Als fleißiger Sammler bleibt noch der am Athenäum angestellte Diener Theod. Massarette zu erwähnen.

2

Itinéraire du Luxembourg germanique ou Voyage historique et pittoresque dans le Grand-Duché.

3

Die Volksweisheit im Gewande der Dichtung oder Luxemburger Sagen, gesammelt und metrisch bearbeitet von Prof. Joh. Engling.

4

›nun leider unauffindbare‹ nach einer Berichtigung in der Ausgabe von 1883 S. 646 zu streichen. (Der Bearb.)

Quelle:
Gredt, Nikolaus: Sagenschatz des Luxemburger Landes 1. Neudruck Esch-Alzette: Kremer-Muller & Cie, 1963.
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