XI. Der Fischersohn.

[36] Es war einmal ein König; der hatte eine Tochter, aber immer wünschte er, es möchte ihm auch ein Sohn werden. Deshalb fragte er immer seinen Koch, ob er ihm nicht irgendwoher einen Knaben verschaffen könne, damit er ihn grossziehe. Der Koch sagte ihm, dass er einen armen Fischer kenne, der ihm vielleicht einen seiner Knaben übergäbe, dass er ihn grossziehe.

Der Koch begab sich dann zu diesem Fischer und sagte ihm, der König habe ihn hergesandt, damit er ihm, wenn es sein könne, einen Knaben übergäbe, und der König diesen als seinen Sohn aufziehe. Der Fischer erklärte: »Jawohl! Ein Glück wie dieses lasse ich mir nicht entgehen; ich schenke ihm einen Knaben von vier Jahren.« Die Tochter des Königs war nun gerade so alt, wie dieser Knabe. Die beiden wurde zusammen aufgezogen und liebten sich wie Geschwister.

Weiter wuchsen sie heran. Als sie ins heiratsfähige Alter kamen, wandte sich das junge Mädchen an ihre Mutter und sagte ihr, dass sie den Fischersohn heiraten wolle. Mutter und Vater wünschten das aber nicht und sprachen: »(Das geht nicht), denn er ist nicht der Sohn eines grossen Herrn; es geht nicht an, dass du dich diesen Leuten näherst!« Der Vater wollte sie nämlich an einen grossen Herrn verheiraten. Schliesslich gaben sich die Eltern aber zufrieden und kamen dahin, sie mit dem Fischer zu verheiraten. Der Vater rief seine Tochter herbei und sprach zu ihr: »Wenn ihr[36] Hochzeit habt und du mit ihm ins Brautgemach kommst, um dich schlafen zu legen, so sage ihm ja nicht, dass er ein Fischersohn war, weil du sonst nicht mit ihm zusammenbleiben würdest!« Sie versetzte: »Nein (das soll nicht geschehen)!«

Als die beiden, der junge Mann und die junge Frau, nun in das Hochzeitsgemach getreten waren und begonnen hatten, aneinander ihre Freude zu haben, sprach sie zu ihm: »Giuseppe, siehst du, wie ich die Sache dahin gebracht habe, wohin ich sie haben wollte, obwohl du ein Fischersohn bist?« Da wurde er wütend über dieses Wort, das sie zu ihm sagte, warf seine Jacke von sich und schleuderte sie auf den Boden, und eilte hinaus. Dann zog er in ein anderes Land. Er traf mit einem armen Burschen zusammen und tauschte mit ihm seine Sachen. Er zog den Diamantring, den er besass, von seinem Finger und band ihn sich in der Leibesmitte an, und dann begab er sich nach dem Markte jener Stadt. Am Markttore war er immer der erste, der Arbeit suchte, um etwas auf dem Markte zu verdienen.

Einmal kam ein Koch hin, der einen Küchenjungen brauchte; er fand ein solches Wohlgefallen an diesem Jünglinge, dass er auf ihn losging, um ihn anzureden. Der junge Mensch tat aber, als sei er stumm; der Koch nahm ihn dann mit zum Könige, bei dem er in Dienst trat. Einstmals stieg der König in die Küche hinab und erblickte diesen jungen Menschen, der gar so schön war, und fragte den Koch, wer jener sei. Der Koch versetzte: »Herr, dieser junge Mensch kann nicht sprechen; er ist stumm!« »Ach!« versetzte der König; »was für ein Prachtjunge ist das! Ich will ihm schon zur Sprache verhelfen!« Damit liess er verkünden: er habe bei sich einen stummen Jungen; wer diesem zur Sprache verhelfen könne, dem wolle er Szepter und Krone übergeben. Da reisten eine ganze Anzahl Ärzte herzu, aber alle mussten ihr Leben lassen; denn, wer dem Jünglinge nicht zur Sprache verhelfen konnte, dem liess der König den Kopf abschneiden. Nachdem nun schon viele hingereist waren, da zeigte niemand mehr Lust (zu diesem Versuche), und niemand reiste mehr hin.

Einst wusch der junge Mensch eine Suppenschüssel auf; dabei wollte diese ihm aus den Händen fallen. »Ach!« rief er aus; »was ist das für eine Geschichte! Ich hätte sie fast zerbrochen!« Der Koch hörte ihn reden und sprach: »Aber der kann ja sprechen! Er ist ja gar nicht stumm! Da werde ich mich der Sache[37] annehmen und ihm zur Sprache verhelfen!« Hiermit begab sich der Koch zum Könige und sagte diesem, dass er dem Jünglinge zur Sprache verhelfen wolle. Der König versetzte: »Nein, Koch! Warum willst du dein Leben beenden? Du hast ja doch Familie!« »Hab' keine Angst, Herr!« erwiderte der Koch. »Gut! Dann gebe ich dir drei Tage Zeit; wenn du ihm (in dieser Zeit) nicht zur Sprache verhelfen kannst, lasse ich dir den Kopf abschneiden!«

Der Koch schloss sich nun mit dem jungen Menschen drei Tage lang in einem Zimmer ein; jener aber ging auf kein Gespräch ein. Zuletzt geriet der Koch in Wut und gab jenem eine starke Tracht Prügel; er liess sein Blut spritzen und zerriss ihm seine Kleider, und nahm ihm das Taschentuch weg, das er mit dem Ringe um die Leibesmitte trug. Dann brach er auf (und kam zufällig) in das Land, wo die junge Frau des Jünglings wohnte; alle seine Kleider und sein Geld liess er im Stiche; er ging ohne alle Hilfsmittel fort, denn er hatte Angst, der König würde ihm den Kopf abschneiden lassen. Er begab sich zu einem Manne, der einen Laden hatte, und sagte ihm, dass er hungrig sei. Er erklärte hierbei: »Ich besitze einen Ring; den möchte ich in Geld umsetzen, um etwas zu essen zu bekommen.« Der Mann versetzte: »Diamanten werden nur beim König angenommen.« Da schaffte ihm der Mann den Ring zum Könige; die junge Frau (des Fischersohnes) kam auch hinzu.

Als sie den Ring sah, erkannte sie, dass es der ihrige war, den sie einst ihrem Bräutigam gegeben hatte. Sie fragte den Mann: »Wo hast du ihn hergebracht?« Jener erwiderte: »Herrin, er gehört mir nicht; er gehört einem armen Menschen.« Sie versetzte hierauf: »Den will ich sehen!« Man holte nun den Koch herbei; der erzählte ganz in Schrecken: »Herrin, ich will dir die Wahrheit sagen! Ich lebte im Lande eines anderen Königs und arbeitete bei ihm als Koch. Und es kam ein junger Mensch als Diener zu uns, und dieser junge Mensch stellte sich stumm; ich glaubte ihm das auch zuerst; dann sass er aber einmal da und wusch mir eine Suppenschüssel auf; sie fiel ihm aus den Händen, und dabei hörte ich, dass er etwas sagte. Inbezug auf diesen jungen Menschen hätte ich ein Geldgeschenk erhalten können, wenn ich ihm zur Sprache verholfen hätte, aber ich konnte nichts mit ihm ausrichten, weil er nicht mit mir reden wollte. Da wurde ich wütend und nahm ihn her, prügelte ihn durch und entwendete[38] ihm diesen Ring. Jetzt bin ich hierher gekommen und wollte ihn verkaufen, denn ich hatte immer Hunger.« »Hab' keine Angst!« sprach die Königstochter zum Koche; »ich werde dir die gesamte Summe, die er wert ist, geben; lass ihn mir hier!«

Am nächsten Tage zog sie Männerkleidung an und begab sich zu jenem König (bei dem ihr Mann als Küchenjunge diente) und sagte ihm, dass sie gekommen sei, um jenem jungen Menschen zur Sprache zu verhelfen. Der König erwiderte ihr: »Nein! Das kann nicht sein, dass ich noch mehr Menschen täte; ich habe genug töten lassen!« »Es hat nichts auf sich!« sprach sie zum Könige; »ich will der letzte sein!« Der König versetzte: »Gut denn!« Er liess sie in das Zimmer des jungen Menschen führen.

Als sie zu ihm hineintrat, wandelte sie eine Ohnmacht an. Dann sagte sie ihm, dass er ihr doch wegen des Wortes verzeihen möge, das sie zu ihm gesagt habe, nämlich wegen des Wortes ›Fischersohn‹. Er sagte nichts; er wollte ihr eben nicht antworten. Schliesslich kam der Zeitpunkt heran, wo man sie (weil sie dem Jünglinge nicht zur Sprache verhelfen konnte) töten musste. Wie sie nun den Galgentod, als letztes Opfer, erleiden sollte, stand er (ihr junger Gemahl) auch mit am Galgen. Sie bat am die Vergünstigung, drei Worte sagen zu dürfen. Dann sprach sie: »Wer will mein Leben für drei Centimes kaufen?« Niemand antwortete ihr. »Wer will mein Leben für zwei Centimes kaufen?« Niemand antwortete ihr. »Wer will mein Leben für einen Centime kaufen?« Da rief ihr Gemahl: »Ich kaufe es!«

Alle Leute gerieten in höchstes Erstaunen: wie viele Leute waren um des jungen Menschen willen aus dem Leben gerissen worden! Dann erklärte ihr ihr Gemahl, dass sie ihn dadurch beleidigt hätte, dass sie zu ihm gesagt hätte, er sei ein Fischersohn. Und er habe es eben so einrichten müssen, dass er sie an den Galgen brächte. Und nun verzieh er ihr, und sie lebten von da an im Palaste des Vaters der jungen Frau, bis ihr Leben zu Ende ging. Und damit ist die Geschichte aus.

Quelle:
Stumme, Hans: Maltesische Märchen. Gedichte und Rätsel in deutscher Übersetzung, Leipziger Semitistische Studien, Band 1, Heft 5, Leipzig: J.C. Hinrichsche Buchhandlung, 1904, S. 36-39.
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