61. Januar und Februar.

Aus Malta.


Der Januar wollte einmal recht lieb sein und den immer über ihn brummenden Menschen eine Freude machen. Deshalb ließ er es sich einst während seiner – damals dreißigtägigen – Regierungszeit angelegen sein, einen Tag immer schöner und wärmer zu gestalten als den anderen; er hoffte sich auf diese Weise die Dankbarkeit der Menschen zu erwerben und sich wieder bei ihnen einzuschmeicheln. Aber er rechnete nicht mit der Undankbarkeit der Menschen.

Am letzten Tage dieser Regierungszeit des Januar trieb ein Schäfer seine Herde in ihre Hürden und sah daselbst auch den Januar stehen. ›Nun, Herr Januar, du Einfaltspinsel! Willst du uns mit dem schönen Wetter eigentlich ärgern? Wie kannst du es wagen, die alten Gesetze und Regeln unbeachtet zu lassen? Laß es doch regnen und stürmen!‹

Da lief der Januar wutschnaubend zum Februar und sprach zu ihm: ›Lieber Bruder Februar, leih' mir doch zwei Tage! Ich muß sie haben! Wenn ich sie nicht beide verwenden kann, gebe ich dir einen zurück! Heuer werde ich aber wohl zwei brauchen!‹

Der gute Februar war gerade damit beschäftigt, sich dreißig Kutten umzuhängen, von denen er während seiner am nächsten Tage beginnenden Regierungszeit täglich allemal eine wieder ablegte. Bereitwillig übergab er zwei Kutten, und zwar die dicksten, dem Januar und sprach dazu: ›Da, nimm meine stärksten Mäntel! Du kannst mit diesen so viel donnern, blitzen und regnen lassen, als du nur willst!‹ ›Ja, ich will die Menschen schon züchtigen!‹ erwiderte der Januar und schlüpfte in die beiden Kutten hinein. Er schnürte sie mit Donnerseilen zu, die einen prächtigen Gürtel abgaben, und rief dem Bruder Februar zu: ›Bleib' hier! Du kommst ja auch gleich an die Reihe! Denn meine Regierungszeit ist bald abgelaufen!‹

Nun regierte der Januar noch zwei Tage länger. Und wie! Die Menschen und Tiere krochen in schützende Höhlen; aber viele von ihnen ertranken, da das unbändige, gurgelnde Wasser immer höher stieg. Der Schäfer, der vorher dem Januar solche Grobheiten gesagt, stand gerade am Ufer des Meeres, – als er den wildtrotzigen Monat heranstürmen[78] sah! ›Jetzt entrinnst du mir nicht!‹ schrie ihn der Januar an. Der Schäfer rief seine Schafe zusammen und wollte mit ihnen nach einer Höhle eilen; aber zu spät! Eine Flutwelle erhob sich aus dem grollenden Meere, das sich vor Ärger grün gefärbt hatte und eine Menge Algen und Seegras auf das abschüssige Land ausspie und Schäfer und Schafe in seine Brandung hineinzog. Dreimal spie die Brandung den Schäfer wieder aus, und dreimal leckte sie ihn wieder auf; dreimal warf sie ihn auf die scharfen Felsenklippen, dreimal leckte sie sein Blut auf! Erst dann gab sich der Januar zufrieden und ging fort, um noch andere Menschen zu züchtigen.

Seitdem hat der Januar den Schwur getan, nie mehr lieb und mild gegen die Menschheit zu sein, und er hat ihn auch gehalten. Dem Februar entleiht er manchmal zwei Tage, manchmal bloß einen Tag; aber nur selten tut er das letztere und läßt nur selten dem Februar neunundzwanzig Kutten, – gewöhnlich läßt er ihm nur achtundzwanzig.[79]

Quelle:
Dähnhardt, Oskar: Naturgeschichtliche Märchen. 7. Aufl. Leipzig/Berlin: 1925, S. 73-74,78-80.
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