53. Der Papagei.

Aus Malta.


Als der liebe Gott den Vögeln Farbe gab und ihnen Namen verlieh, kamen sie nach und nach alle herbei. Der Papagei aber saß auf einem Baume und sah zu. Da bemerkte er, daß der Herr viel dunkle Farben austeilte und nur manchmal mit dem Pinsel in die bunten und glänzenden fuhr, um dem einen Vogel ein Häubchen, dem anderen ein Hemdchen, dem dritten ein Halstüchlein zu geben. Da sagte sich der Vogel: ›Ich bleibe hier, bis die gemeinen Farben verausgabt sind, so daß mein Gefieder nur eine der schönsten Farben erhält!‹ Und so tat er. Nachdem alle Vögel gefärbt waren, flog er hin zum Schöpfer und bat um Farbe. Aber da gab es nur noch einige Schälchen mit Resten, die übrigen waren leer. Da wurde der stolze Vogel betrübt; der liebe Gott aber sprach: ›Nimm es dir nicht zu Herzen, ich schenke dir ein besonders schönes Federkleid!‹ Also strich er ihm von jedem der Schälchen, in welchen bunte Farbe gewesen war, den Rest auf die Federn; von roter und grüner Farbe konnte er noch am meisten bekommen. Der Papagei freute sich darüber und zeigte sich, kaum trocken, den übrigen Vögeln. Diese aber machten sich über sein buntscheckiges Kleid unendlich lustig und hänselten ihn, weil er sich nur mit Resten hatte begnügen müssen. Da flog er zurück zum lieben Gott und sagte: ›Ich möchte irgendeinen Vorzug vor den anderen haben und etwas Besonderes sein! Gib mir doch ein anderes Aussehen!‹ Da versuchte es Gott und gab ihm einen stark gekrümmten Schnabel, der war sehr stark[71] und kräftig. Aber die Vögel machten sich noch mehr über sein verändertes Aussehen lustig und hießen ihn ›Zerhackmichschnell‹, so daß er wieder nicht froh werden konnte. Also bat er um eine weitere Gunst, und Gott gewährte ihm, ›daß er sich von allem Eßbaren das Beste wählen dürfe!‹ Da wurde der Papagei froh und flog fort. Er hatte sich nämlich eine arge List ersonnen. Eines Tages erschienen die Vögel vor dem Schöpfer und klagten darüber, daß viele der Tiere am Morgen tot aufgefunden wären mit zerhackten Augen und zerfleischtem Körper, und das Herz hätte gefehlt. Zugleich berichteten sie, daß es ihnen bald an Nahrung gebrechen müsse. ›Denn ein boshaftes Geschöpf hacke alles Genießbare auf, um das Beste, das Herz, herauszuholen.‹ Der liebe Gott wurde sehr zornig über diesen Frevel und rief: ›Verflucht sei das schuldige Geschöpf, verflucht sein Name!‹ Er hatte sofort an den Papagei gedacht und dessen grobe List durchschaut. Seitdem wird der Papagei von den anderen Vögeln gemieden. Doch hat er sich bis auf den heutigen Tag nicht geändert: er ist launisch, bös, eigennützig und undankbar. Und noch immer holt er sich von allem Genießbaren das Beste, das Herz.[72]

Quelle:
Dähnhardt, Oskar: Naturgeschichtliche Märchen. 7. Aufl. Leipzig/Berlin: 1925, S. 50-51,71-73.
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