578. Sankt Martins Sieg.

[663] Mündlich von C. van den Houte.


Vor Zeiten trug es sich zu, daß die Bewohner von Assche in Brabant sich einen Patron wählen wollten.[663] Dazu sollte nun ein recht tüchtiger Heiliger gewählt werden, und damit man um so sicherer gehe, rief man sämmtliche Bewohner von Assche zusammen. Da wollten nun die Einen Sankt Peter haben; die Anderen dagegen sprachen: »Nein, der ist zu alt, wir sind für Sankt Martin, der ein kräftiger junger Mann ist und gut zuhauen kann.« Der Zwist dauerte lange und wurde von beiden Parteien mit der größten Heftigkeit geführt; wäre gar am Ende in Schlägerei und Mörderei ausgelaufen, hätte nicht ein kluger Mann den Vorschlag gemacht, daß alle sich nach der Kirche begeben und dort seines weitern Rathes gewärtig sein sollten. Das thaten die Einwohner gern. In der Kirche angekommen, beteten sie die beiden Heiligen aus dem Himmel herunter und ließen sie sich auf den Altar setzen. Aber da begann der Zank von neuem, denn die Alten sprachen: »Sankt Peter hat die Schlüssel des Himmels«; wovon die Jüngern nichts wissen wollten, indem ihnen der Kriegsruhm Martini besser gefiel. Da sprach der kluge Mann wieder: »Kommt, laßt uns beide in einen Brunnen werfen, wer dann zu längst oben schwimmt, der soll unser Patron sein.« Deß waren alle zufrieden, und sie warfen die beiden Heiligen in einen Brunnen. Da schrieen die Jüngern Sankt Marten zu: »Marten, Muth, halt dich oben, halt dich oben!« Und so geschah es auch; Marten hielt sich zulängst oben und Sankt Peter sank unter, und somit wurde Sankt Marten Patron von Assche und blieb es bis zum heutigen Tage.

Quelle:
Wolf, Johann Wilhelm: Niederländische Sagen. Leipzig: Brockhaus, 1843, S. 663-664.
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