[9] Warum sollte denn der freundliche Engel der Sage, der, dem schönen Worte der Gebrüder Grimm zufolge, jedem Menschen von Heimathswegen beigegeben ist, ihn in die Fremde zu geleiten, gerade seine Segnungen so reich über uns Hochdeutsche ausgeschüttet, warum unsere niederdeutschen Brüder so gänzlich vergessen haben? Warum sollten bei uns sich so viele Reliquien erhalten haben von dem Cultus der alten Götter unserer Väter, und warum so wenige in Niederdeutschland übrig geblieben sein? – Diese Fragen drängten sich uns beim Lesen der unübertrefflichen Sammlungen deutscher Sagen und Märchen der Gebrüder Grimm, wie der deutschen Mythologie Jacob Grimms wiederholt auf; sie regten in uns den Wunsch an, einmal selbst zu den einst so sangreichen und jetzt so schweigsamen Niederlanden zu pilgern, um uns zu überzeugen, ob denn mit dem Sange und der Sage jedes Urwaldandenken so ganz dort untergegangen sei. Die ersten Ergebnisse unserer Wanderschaft waren nicht gar lohnend, aus dem[9] Volke konnten wir nichts für uns gewinnen; darum setzten wir uns in Brüssel fest, um dort einstweilen die reiche Hulthemiana zu durchsuchen1.
Sagensammlungen waren nicht aufzuspüren, denn einige Werke unter Aehnliches versprechendem Titel, auf welche wir später zurückkommen werden, verdienten den Namen nicht. Wir gingen also zu den Chroniken; ein glücklicher Zufall führte uns aus der langen Reihe derselben zuerst die alte Divisie-Chronyk von Holland, Seeland, Friesland etc. in die Hand. Wir öffneten das Buch auf gut Glück, und die schöne Sage von Hengist und Horsa, von Grimms nur in spärlichen Resten gegeben, lag in bester Vollständigkeit vor uns; vor und hinter ihr blühte ein Aehrenreichthum, der schwerlich noch anderswo anzutreffen wäre. Funde dieser Art mußten uns wohl zu weiterm, thätigem Suchen ermuntern; rein auf uns selbst hingewiesen, die Grimmsche[10] Sammlung nur als Führerin zur Seite, sammelten wir während drei Jahren und unsere Collectaneen wuchsen mit jeglichem Tage. Unter andern Sammelreisen machten wir in dieser Zeit auch einen Ausflug nach Gent, um dort die edeln Häupter des flämischen Bundes zur Teilnahme an unserm Unternehmen aufzubieten; dieser Ausflug gab dem Ganzen eine neue Wendung. Junker Blommaert und Stadtarchivist van Duyse, mit denen wir schon früher in brieflicher Verbindung standen, begrüßten die Sache aufs freundlichste und nahmen sich, besonders der Letztere, ihrer mit der wärmsten Liebe an. Vater Willems, der noch stets rüstige Vorkämpfer für die Emancipation der Fläminge, wie nicht minder Herr Professor Serrüre, unterstützten uns mit reichen Notizen. Die beiden Componisten van Maldeghem, und vor allem Herr Jaek van de Velde in Dendermonde, an welche van Duyse uns empfahl, bewiesen die innigste Theilnahme und bemühten sich aufs freundlichste für uns. Herr Bibliothekar Mertens in Antwerpen, dessen Bekanntschaft wir Prof. Serrüre verdankten, erfreute uns mit gewissenhaft reinen Beiträgen, welche er in seiner Umgebung für uns sammelte.
Wie reiche Hülfe wir also von flämischer Seite fanden, so wenig wurde uns von französischer – eine Bemerkung, die, obgleich viel Bitteres mit sich führend, uns jedenfalls doch wieder gar wohlthuend war, indem sie uns einen frohen Beweis von der[11] Reinheit gab, in welcher der deutsche Geist sich in den flämischen Provinzen erhalten hat. Wie naturwidrig der französische Einfluß dem Volke in jenen Gegenden ist, davon gaben uns unsere Sammelausflüge die beste Kunde. Einem keuschen Nolimetangere gleich, zog sich der noch mit alter Treue an seinen Sagen hängende Landmann meist scheu zurück, wenn wir ihm etwas von seinen Schätzen entlocken wollten. »Gy wilt met ons lachen« (Ihr wollt uns zum Narren halten), war meist die wiewohl mit lächelndem Munde, doch mit einem unendlich wehmüthigen Ausdrucke uns kommende Antwort, und mehr wie einmal mußten wir mit leerer Mappe ein Dorf verlassen, ohne trotz aller Ehrlichkeitsversicherungen auch nur eine Sage aus ihm mitnehmen zu können. In den Städten, welche die Livree von Paris tagtäglich mehr tragen, verschwinden die Sagen ganz. Brüssel, das große Brüssel lieferte uns nur drei. Betises, enfantillages, das sind die Namen, mit denen dünkelschwangere Franzosenäffler dort das heiligste Eigenthum des Volkes taufen.
Wir müssen gestehen, dieses Wiederfinden so ächt deutschen Geistes in den flämischen Provinzen setzte uns in nicht geringes Erstaunen, denn nach dem, was wir in der Einleitung zum sechsten Theile der Horae belgicae des um die ältere niederdeutsche Literatur so verdienten Hoffmann von Fallersleben gelesen, konnten wir nur das Gegentheil erwarten,[12] während das Gegentheil des meisten von ihm Erzählten uns überall überraschte. Höchst selten nur wurden wir französisch angeredet; in Brüssel selbst, dem Sitze der »Fransquillonnerie«, hörten wir meistens Flämisch; um wie viel mehr in Gent und Mecheln und Löwen. Daß es noch »Archivare und Bibliothekare im Dienste des Staates gibt, denen das Vlaemsche eine beinahe (wir würden sagen durchaus) fremde Sprache ist«, das ist leider zu wahr. Auch haben die Fläminge ihren Kampf noch lange nicht ausgekämpft. Daß sie ihn aber glücklich beenden werden, daran ist kein Zweifel; denn Deutschland, auf welchem ihr Blick vertrauungsvoll ruht, wird sie nicht ohne Hülfe lassen. »Das Gefühl einer innigen Verbindung mit unsern östlichen Stammverwandten«, schrieb mir unlängst van de Velde, »ist für uns Niederdeutsche zu selig, als daß wir es nicht mit Liebe pflegen sollten. Es entkeimt mit unserer Nationalität, die sich langsam von dem herben Stoße wieder erholt, den ihr die französische Herrschaft versetzte. Nun, wo wir unsere Selbstständigkeit wieder errungen haben, heften wir auch unser Auge mit Ruhe und Vertrauen wieder auf unsere Brüder, von denen wir so lange getrennt dastanden; wir finden nach langem Kampfe in der neu aufblühenden Muttersprache einen Heilesstern, der uns zu neuem Bündnisse mit Deutschland führen soll.«
Thaten aber je solche Gefühle Noth, war ein festes Zusammenhalten je zu wünschen, dann ist es eben[13] in diesem Augenblicke, wo ein kräftiges Wort von flämischer Seite gesprochen vielleicht zu großen Resultaten führen könnte. Doch warum wird man in Deutschland von all diesem nichts gewahr? dürfte man fragen. Die einfache Antwort wäre: Weil entweder die Correspondenten deutscher Blätter von der französischen Partei bezahlt sind, oder – elend genug – nichts von dem Flämischen wissen, und weil Deutschland den einzigen kühnen Besprecher der gegenseitigen Interessen, die »Freie Presse« des Dr. Coremans hat untergehen lassen. Wie wenig die jetzige deutsche Revue, die »Grenzboten« Kuranda's diesem Zwecke nachkommen, das liegt vor. Die Vorrede ausgenommen, war dort höchstens viermal, vom October vorverflossenen Jahres an bis heute, die Rede von den Flämingen. Wir können dieß inzwischen dem Redacteur nicht gar sehr verdenken, indem er mit dem Flämischen so wenig vertraut ist, daß er es unlängst noch als Mutter des Hochdeutschen erklärte.
Man könnte es uns zum Vorwurfe machen, daß wir uns nicht auf die deutschen Provinzen in Belgien beschränkten, daß wir auch die Sagen der Wallonen in unsere Sammlung aufnahmen. – Was uns betrifft, so glauben wir nicht, daß man je wird beweisen können, daß diese Provinzen nicht einst deutsch waren. Den durchaus deutschen Charakter der Sagen aus diesen Gegenden selbst zur Seite gesetzt, sprechen schon die vielen Ortsnamen, welche[14] das Andenken deutscher Gottheiten bewahren, laut genug für unsere Annahme. – Eben so wenig durften wir das französische Flandern unberücksichtigt lassen, denn daß Frankreich diese Strecken für den Augenblick besitzt, gibt uns natürlicherweise kein Recht, sie von unserm Gebiete auszuschließen. Was thun aber die vier burgundischen Sagen in der Sammlung? möchte man mit Recht fragen. Wir hörten und empfingen dieselben aus dem Theile von Flandern, in dem das sogenannte »Burgundische« zu Hause ist2. Hat der burgundische Hof sie herübergebracht? Anders wüßten wir uns zum mindesten das Wiederfinden der Gangulphslegenden, deren ich eine nicht wohl mittheilen konnte, hier nicht zu erklären; so schien es uns am besten, sie nach ältern Quellen zu geben, die auch für 270 und 355 reiner waren. 162 könnte Granvella aus Belgien mitgebracht und Vair nur nach Burgund verlegt haben.
Unter den Quellen, welche wir für unsere Sammlung benutzten, nennen wir zuerst die schon Eingangs erwähnte Divisie – Chronyk von Holland, Seeland, Frießland etc., welche uns besonders für die historische Sage die wichtigsten Beiträge bot. Sie konnte dieß mit allem Rechte, denn in ihrem Verfasser lebte bei seltenen geschichtlichen Kenntnissen ein durchaus[15] aus reger Sinn für die vielen seiner Zeitgenossen schon nicht ernst genug mehr tönenden Klänge der Sage, und so häufte er uns für sie, wie für die Geschichte, die kostbarsten Schätze auf. – Ihr zur Seite stellen wir die »Cronycke ende waerachtige Beschryvinghe van Vrieslant« des Occa Scharlensis, welche von Johann Vlitarp vermehrt und verbessert durch Andreas Cornelius zuerst (Leeuwarden 1597, Fol.) herausgegeben wurde. Bisher hat man gegen die Aechtheit dieser Chronik sehr angekämpft, jedoch möchten die Gründe, auf welche man sich dabei stützte, nicht gar haltbar sein, denn sie laufen am Ende stets nur darauf hinaus, daß man das Original, welches dem Andreas Cornelius vorgelegen, nicht mehr besitzt. Occa erzählt nicht das Mindeste, was sich nicht als rein historisch oder ächt sagenhaft herausstellte, aber eben dieß ächt Sagenhafte ist es, woran seine Gegner Anstoß nehmen, gegen welches sie wüthen, nicht bedenkend, daß Occa hierin mit so vielen andern Chronicisten und Historikern Frießlands, die alle geschrieben, ehe er aus der Presse kam, genau übereinstimmt.
Von den flandrischen und brabantischen Chroniken sind es besonders die beiden »alderexcellentesten« und die des Marcus van Vaernewyck, welche ziemlich reich für uns flossen. Hätten sie uns aber auch nur die romantischen Abentheuer Lyderiks, des ersten Försters von Flandern, und die Sage von der Frau Schwana geliefert, wir wären mehr als zufrieden[16] gewesen. Das nach ihnen und andern bearbeitete Volksbuch »Julius Cäsar« glaubten wir reicher, als wir es fanden; es ist trocken und nüchtern über alle Begriffe – ein Vorwurf, den wir zugleich der ganzen Volksbibliothek, welche die Gesellschaft zur Verbreitung guter Bücher herausgibt, machen müssen. Der Zweck, den die Gesellschaft im Auge hat, Verbannung des Wustes schlüpfriger und schlechter französischer Romane, mit denen der schändliche Klubb der belgischen Nachdrucker das Land überschwemmt, ist sonder Zweifel sehr edel und löblich; so lange sie aber fortfährt, die Helden und Heldinnen der Sage ihres poetischen Schmuckes zu entkleiden und ihre Legenden »restituées dans les probabilités historiques« zu bieten, wird sie diesen Zweck schwerlich erreichen, und stellt sie ihre Preise auch noch so billig. Und warum gibt sie die alten Volksbücher nicht in besserer Form? Sind dieß etwa keine guten Bücher? Immerhin werden sie eine frischere Kost für das Volk bleiben; immerhin wird ein Eulenspiegel, ein Reinhard Fuchs ihm hundert Heiligenleben aufwiegen.
Die reichste (wiewohl für Sagenforschung bisher noch unbenutzte) Quelle fanden wir in Delrio's »Disquisitiones magicae«; minder ergiebige in Cäsarius von Heisterbach und dem »Bonum universale de apibus« des Thomas Cantipratensis, dessen ungemein naiven Erzählungen man nur das mönchische Gewand abzustreifen hat, um die reinsten[17] Perlen in ihnen zu schauen. Gleich Delrio hätte Sprengers Malleus maleficarum uns mit manch herrlichem Beitrage erfreut, jedoch hinderte uns das mitunter gar eigenthümliche Reglement der königl. Bibliothek, wie ihn, so auch manch andere kostbare Quelle nach Lust und Liebe zu benutzen.
Unter den Neuern, welche unserm Zwecke dienten, nennen wir hauptsächlich die Archives historiques des hochverdienten Baron de Reiffenberg, welcher – der erste in den Niederlanden – in dieser Zeitschrift der Sage ein eigenes Capitel widmete. Nächst ihm boten uns des wackern Archäologen Schayes »Essais historiques« mehre gute Zwergsagen, Dr. Bovy's »Promenades historiques« historische und andere Volkssagen. Die »Chronique et traditions surnaturelles de la Flandre« von Berthoud verdienen kaum den Namen, denn sie sind dermaßen mit romantischem Flitterputze überladen, daß der Kern mitunter schwer zu finden ist; viele selbst schienen uns unächt und wir nahmen Bedenken, sie unserer Sammlung einzuverleiben. »Les chroniques des rues de Bruxelles« sind ein geistloses Gewebe von Erdichtungen und um so mehr zu tadeln, als der Verfasser stets bemüht ist, sie uns als ächt aufzudringen. Wie der Name des Verfassers der »Légendes namuroises« (Pimpurniaux) eine Mystification ist, so ist es doppelt der Titel. Man sollte sonst doch wohl voraussetzen dürfen, daß der Akademiker, Herr[18] Borgnet, wisse, was eigentlich eine Legende sei, denn die hier mitgetheilten Legenden sind nichts mehr und nichts weniger, als Novellchen, Anekdötchen und Aehnliches. Delepierre's »Chroniques, traditions er légendes de l'ancienne histoire des Flandres«, für deren freundliche Mittheilung wir dem Verfasser herzlichst danken, enthalten, Lyderiks Abentheuer ausgenommen, nur Geschichte; seinen »Lac d'amour« hielten wir anfangs für wirkliche Sage, kamen jedoch durch eingezogene Erkundigungen bald zur Gewißheit, daß es nur Erdichtung sei.
Das Beste inzwischen bot uns neuerdings Dr. Snellaert in dem von ihm herausgegebenen »Kunst- en Letter-Blad«. Wie er, so waren seine vielen Mitarbeiter stets bemüht, in dieser Zeitschrift ihren Lesern mit richtigem Geschmacke gewählte und von allem Umhängsel freie Sagen vorzuführen. Warmer Dank ihnen dafür. Weniger Lob verdient eine Reihe von Sagen, welche die »Emancipation« im Jahre 1834 gab; die Leser des Blattes sind aber auch nur Franzosen, und kräftige, kurze deutsche Kost konnte diesen natürlich nicht verdaulich sein.
Von holländischer Seite kamen uns van den Berghs »Nederlandsche Volksoverleveringen en Godenleer« erst da zu Gute, als wir schon sämmtliche von ihm mitgetheilte historische Sagen ihren Quellen selbst entnommen hatten. Dem Titel des Werkes zufolge durften wir mehr erwarten, als[19] wir fanden; denn eigentliche Volkssagen, mit denen uns zu bereichern der Verfasser so wohl im Stande gewesen wäre, sind so spärlich darin gesäet, daß sie nicht drei bis vier übersteigen. Mit van Westendorps Mythologie ging es uns, wie mit Sprengers Malleus, und so blieb die einzige übrige Druckquelle das durchaus verdienstliche »Geschiedkundig Mengelwerk« des Directors Dr. Hermanns in Herzogenbusch. Van Lenneps niederländische Legenden standen uns nicht zur Hand, doch wir verloren nichts dabei; derselbe Fall war es mit den Chroniken der Straßen von Antwerpen von Sleecks – einem würdigen Gegenstücke zu dem angeführten Werke über Brüssel – die uns zu spät zukamen.
Unstreitig das Meiste schöpften wir aus mündlicher Ueberlieferung, und sollte unser Werk in etwa verdienstlich genannt werden können, so wäre es von dieser Seite. Besonders erfreute uns in dieser Hinsicht ein hoher Gönner in Holland fortwährend mit höchst schätzbaren Mittheilungen, welche er theils während seines einstigen Aufenthaltes in Belgien, theils nun in seiner Umgebung gesammelt hatte. Herr Schuldirector Dr. Hermanns, dessen wir oben schon erwähnten, schloß sich ihm freundlichst an. Außer dem, was wir auf unsern Ausflügen selbst dem Munde des Volkes entnahmen, verdanken wir gar Manches dem verdienstvollen Ordner des deutschen Staatsarchives, Herrn Dr. Coremanns, dessen liebenswürdige Gefälligkeit uns viele der wichtigsten[20] Beiträge verschaffte. Nicht weniger standen unsere Freunde, die Herren DD. Schayes, Piot und Snellaert, Baron J. de Saint-Genois, die Dichter Rens, van Kerkhoven, Vleeschouwer, A. van de Velde, van Swygenhoven, Lehrer Courtmans, van de Voorde, und nicht minder die als brave Musenpriesterinnen bekannten und geehrten Frauen van Ackere und Courtmans und Fräulein A. van Swygenhoven uns stets mit hülfreicher Hand nahe; sie trugen uns wahre Schätze zu. Möge ihr Eifer nicht erkalten und recht viele sich ihnen für die Folge anschließen. Jede Mittheilung werden wir dankbarlich entgegennehmen und wäre es auch nur die kleinste Notiz.
Was die Anordnung der Sammlung betrifft, so folgen sich die historischen Sagen, welche meistens das erste Buch füllen, chronologisch; mit 103 beginnt jedoch eine neue Folge. Frießland schickten wir voraus, weil von dort aus die Einwanderer in den Niederlanden sich verbreiten; Holland folgt und das südlichst gelegene Belgien schließt die Reihe. Wie viel sich auch gegen diese Eintheilung unseres Gebietes einwenden ließe, wir glauben nicht, daß eine zweckdienlichere zu machen wäre. Durch das zweite Buch läuft ein loser, häufig abgebrochener, aber eben so oft wieder angeknüpfter Faden. Daß in den Anmerkungen kein vollständiger Commentar zu den einzelnen Sagen geliefert werden konnte, begreift sich wohl; viel ausführlicher würden sie[21] sein, wären unsere literarischen Hülfsmittel nicht so sehr beschränkt gewesen; wer die belgischen Bibliotheken kennt, der weiß, daß da deutsche Bücher, und vor allem solche, wie wir sie haben mußten, bei hellem Sonnenschein mit der Laterne in der Hand zu suchen sind. Das Wenige inzwischen, was uns zu Gebote stand, haben wir treulich benutzt.
In Bezug auf den Styl erkennen wir gerne, daß derselbe nicht die mindeste Ebenmäßigkeit hat. Inzwischen glaubten wir uns aufs genaueste an die Worte unserer Quellen halten zu müssen, und darin sündigten wir hoffentlich nicht. Wir halten es im Gegentheile für Pflicht des Sagensammlers, die Treue und Wahrheit, welche überhaupt sein Augenmerk stets sein muß, auch bis auf diesen Punkt auszudehnen. Darin sehe man auch den Grund dafür, daß wir hier und da bekanntere Sagen noch einmal nach unsern Quellen bieten, so unter andern die von dem Hausgeiste (228). Es bleibt immerhin von Wichtigkeit für die Forschung im vaterländischen Alterthume, zu wissen, ob diese oder jene Sage sich an einem Orte findet oder nicht.
Daß wir mehre Sagen der Grimmschen Sammlung herübernahmen, ist uns wohl nicht zu verdenken. Zuerst gebot es uns schon die Vollständigkeit, welche wir unserer Sammlung wünschten; dann lagen uns auch für viele Sagen reichere Quellen vor, als den verehrten Genannten. Wo dieß nicht[22] war, wo wir aus denselben Quellen schöpfen konnten, da gebot uns die hohe Verehrung, welche wir für das um unser Alterthum so sehr verdiente Brüderpaar hegen, das bei ihnen gleichfalls Gefundene getreu wiederzugeben, wie sie es gaben.
Sollte die gegenwärtige Sammlung eine freundliche Aufnahme finden, so werden wir ihr bald eine andere von »Deutschen Sagen« anschließen.
Gent, am 15. October 1842.
1 | Ferne, sehr ferne sei es von uns, den Mangel an Materialien aus den Niederlanden den Gebrüdern Grimm zu Last zu legen. Daß sie redlich strebten, durch Correspondenzen das zu erhalten, was ihnen die weite Entfernung von ihrem Wohnorte selbst zu nehmen verbot, das leuchtet aus beiden genannten Werken hervor. Aber Correspondenzen bleiben doch nur Correspondenzen und »Selbst ist ein köstlich Kraut«, sagt das alte Sprichwort. Daß wir glücklicher waren wie sie, das macht, weil wir den Quellen näher standen; sie in unserer Lage hätten jedenfalls Besseres geboten, als wir bieten können. |
2 | S. darüber Willems Belg. Museum I, 447–453. II, 427. |
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