485. Der Geist auf dem Schlosse Egmont.

[579] Segraisiana p. 213, 19 u. 20.

Langlet-Dufresnoy, Recueil de dissertat. anciennes et nouvelles sur les apparitions, les visions et les songes. T. I, part. II, p. 178.


Herr Patris war mit Herrn Gaston nach Flandern gezogen und wohnte dort einige Zeit auf dem Schlosse Egmont. Eines Tages wollte er sich zur Stunde des Mittagmahles nach dem Speisesaale begeben; an der[579] Thüre eines seiner Freunde hielt er inzwischen an, um diesen mit sich zu nehmen. Er klopfte und klopfte wiederholt, aber man öffnete nicht. Da der Schlüssel auf der Thüre war, so glaubte Patris mit Sicherheit, sein Freund sei in dem Zimmer, und öffnete selbst und fand zu seinem großen Erstaunen den Mann ganz außer sich am Tische sitzen. Patris trat auf ihn zu und fragte ihn, was ihm fehle, und sein Freund antwortete: »Sie würden sicherlich nicht weniger erstaunt sein als ich, wäre Ihnen das passirt, was mir eben passirt. Ich sitze ruhig hier und lese, als plötzlich das Buch von selbst wegschwebt, die Blätter darin sich wenden und es dort hinten liegen bleibt.« – »Das ist ein Scherz, mein Freund«, sprach Patris, »ihr habt das selbst gethan, sonder es zu wissen«; aber der andere bestand darauf und fügte noch hinzu, daß erst vor wenigen Augenblicken die Thüre sich geöffnet und wieder geschlossen habe. Patris trat zur Thüre und schloß sie auf und sah den langen Gang, auf welchen sie führte, hinab, ob er nichts von dem Geiste erblicken könne. Da bemerkte er plötzlich mit Schrecken, daß ein alter großer Sessel, der so schwer war, daß zwei Mann ihn kaum tragen konnten, langsam auf ihn zu schwebte. »Ich danke euch, Herr Teufel«, sprach Patris, »ich habe genug Angst, laßt den Sessel nur um Gotteswillen da.« Und kaum hatte er die Worte aus dem Munde, als der Sessel wieder an seine alte Stelle rückte.

Quelle:
Wolf, Johann Wilhelm: Niederländische Sagen. Leipzig: Brockhaus, 1843, S. 579-580.
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