486. Die treue Schlange.

[580] Caesar. heisterbac. dial. mirac. dist. XI, cap. 70.


Heinrich von Forst (bei Brüssel), ein wahrheitliebender Ritter, erzählte das Folgende.[580]

Einer von unsern Soldaten hatte eine Wunde bekommen, welche den Aerzten nur schlecht zu heilen gelungen war; es strömte fortwährend Eiter aus derselben und der Soldat hatte viel Schmerzen dadurch. Eines Tages hatte er sich mit entblößter Seite auf einen Baumstumpf gelegt und der Eiter lief gewohnterweise von ihm weg. So schlief der Soldat ein; während dessen kam eine Schlange und saugte an der Wunde. Er erwachte darüber und jug das Thier weg, und das ist nicht zu verwundern, denn er fürchtete sein Gift; jedoch fühlte er bald, daß es mit der Wunde besser war, und als er die Sache weiter erzählte, rieth man ihm, sich wieder hinzulegen und die Schlange ruhig saugen zu lassen. Er that das, und die Schlange faßte dadurch eine solche Zuneigung zu ihm, daß sie nur in seinem Bette schlafen wollte; auch wurde er ganz geheilt.

Der Soldat aber, dem das nicht gefiel, verließ den Ort und ging anderswohin wohnen, sah auch in einem halben Jahre die Schlange nicht mehr. Kaum aber war er zurückgekehrt, als sie ihm wieder folgte, und, da sie nicht in seine Schlafkammer kommen konnte, sich vor die Thüre legte.

Da riethen ihm seine Freunde, er solle das Thier tödten, aber er sprach: »Wie sollte ich meinem Retter ein Leides anthun können?« Endlich ließ er sich jedoch bewegen, und als sie noch einmal zu ihm kam, schlug er sie todt und wurde also von ihr befreit.

Quelle:
Wolf, Johann Wilhelm: Niederländische Sagen. Leipzig: Brockhaus, 1843, S. 580-581.
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