Hans.

[25] Hans war ein junger Knecht. Einmal fuhr er mit seinem Ochsengespann durch den Wald. Da sprach eine unsichtbare Stimme zu ihm:

»Hans, höre, wie Du glücklich und reich werden kannst! Suche die Weide auf der Wiese, die grüne Weide, die noch niemals das Krähen des Hahnes und das Gemurmel der Quelle gehört hat. Schneide einen Zweig von der Weide ab und mach Dir eine Pfeife daraus. Wenn Du auf der Pfeife spielst, müssen alle Leute, die es hören, die Beine rühren und tanzen, und die Toten kommen neubelebt aus dem Grabe heraus. Du mußt aber die richtige Weide finden, denn das Krähen des Hahnes vertreibt alle Geister und Gespenster, und wenn die Weide schon das Murmeln der Quelle gehört hat, zwingt sie die Füße nicht mehr zum Tanzen.

Und willst Du, daß Dich jedes Mädchen liebe, so nimm in der Mitternacht das Gerippe einer Fledermaus; Du findest drin eine Gabel und ein Häkchen. Mit dem Häkchen zieh das Mädchen an Dich, und sie wird Deine Geliebte. Zieh einen Burschen mit dem Häkchen an Dich, und er wird Dein Freund. Bist Du dann des Mädchens überdrüssig, so stoße sie mit der Gabel ab, und sie wird Dich nicht mehr ansehen. Und ist der Bursche Deiner Freundschaft nicht wert, so stoß ihn mit der Gabel ab, und sicherlich kehrt er nie mehr zu Dir zurück.

Die Pfeife also umgibt Dich mit Lust und Tanz, das Gerippe der Fledermaus umgibt Dich mit Freundschaft und mit Liebe.

Willst Du gern die Zukunft wissen? Möchtest Du reich werden? So höre meinen letzten Rat:[26]

Am Johannis-Abend, grad um Mitternacht, blüht das Farnkraut im Walde auf. Aber es ist schwer, die Blume zu bekommen: Du wirst von Angst und Schrecken befallen, eisige Schauer gehen Dir durch die Glieder, furchtbare Donner erschüttern die Erde. Die Haare werden Dir zu Berge stehen, und selbst der grause Wind kann sie nicht niederlegen. Wenn Du aber fest bleibst und die Blume holst, so zeigt sie Dir die Zukunft wie in einem Spiegel und macht Dich steinreich.«

So sprach die unsichtbare Stimme im Walde zu Hans. Hans ließ seinen Wagen mit den Ochsen stehen. Voll Hoffnung auf nahes Glück lief er durch Busch und Wald, und auf einer trockenen Wiese fand er die richtige Weide. Er hieb einen schönen Zweig ab, zog die Rinde herunter, und die Pfeife war fertig.

Er fing an zu blasen. Es war zwar keiner da, der es hören konnte. Er selbst aber wurde von Lustigkeit ergriffen, tanzte und sprang auf der Wiese umher, bis die Dämmerung hereinbrach. Doch da fiel ihm mit Schrecken ein, daß der Ton der Pfeife auch Tote lebendig machen könne. Angstschweiß trat auf seine Stirn; schnell versteckte er die Pfeife und machte sich auf den Weg zum Wagen.

Er kam auf einen schönen Hügel. Rund umher waren uralte Gräber, aber ein Stückchen weiter, an dem Kreuzwege, war ein neueres Grab mit einem Holzkreuze.

»Ha,« sprach Hans bei sich selber, »das wollen wir lieber gleich versuchen; es ist noch ein gutes Stück Weg nach dem Kirchhof; will doch wenigstens einen sehen, der auf den Ton der Pfeife seine Bretter heben kann.«[27]

Er fing an, auf der Pfeife zu blasen, – da stürzte das Kreuz um, das Grab machte sich auf, und ein alter Bettler kam hervor, der vor dreißig Jahren hier totgeschlagen worden war.

Furchtsam wandte sich der Bursche ab, weil er das elende Gesicht des Gespenstes nicht ansehen konnte. Aber noch immer spielte er weiter, und da öffneten sich nach und nach auch die andern Gräber, und er hörte Waffengeklirr und Pferdegetrappel.

Wie er hinsieht, – o Schrecken! Bewaffnete Ritter zu Fuß und zu Pferde eilen durcheinander. Hatte er schon vor dem Alten Furcht gehabt, so war's nun noch ärger, als die gerüsteten Riesen vor seinen Augen umherzogen. Er, der doch der größte Mann des Dorfes war, reichte ihnen kaum an die Knie. Er hörte auf zu pfeifen, denn vor Angst konnte er den Mund nicht mehr zumachen. Alsbald kehrten die Geister in ihre Gräber zurück, und nur noch der kalte Wind bewegte die Grashalme auf dem Hügel. –

Um Mitternacht suchte Hans die Gabel und das Häkchen aus dem Fledermausgerippe heraus, denn ihn gelüstete nach Liebe und Freundschaft.

Schon lange hatte er der schwarzäugigen Marie, der Tochter des Nachbarn, sein Herz zugewandt, aber die Kleine achtete nicht auf sein Liebesfeuer. Vergeblich sang er Tag und Nacht:


Mein Mariechen hat

Äuglein wie zwei Blitze,

Mündchen frisch wie Sahne,

Hallari heida!


Mariechen lachte bloß über Hans und seinen Gesang.[28]

Sie breitete gerade Flachs aus im Garten, da kam Hans hinzu und zog sie mit dem kleinen Knochenhäkchen an sich. Gleich blickte ihn die Schöne freundlicher an, und Hans war glücklich.

Es fehlte ihm jetzt noch ein Freund, und da ihm der junge Ziemba immer schon gefallen hatte, war er bald mit ihm vertraut. Mariechen kannte ihn auch recht gut, und wenn die beiden Freunde gemeinsam zu ihr kamen, grüßte sie immer mit freundlichem Lächeln.

Hans überlegte schon, wann er Hochzeit machen könnte, und setzte sich einmal nachdenklich neben einen Heuschober. Da hörte er auf der andern Seite ein Geräusch. Voll Neugier horcht er, – und was hört er? Daß Ziemba und Mariechen von ihrer Verlobung reden. Ganz ärgerlich zerbrach er sein Häkchen, und er wollte nichts mehr von Freundschaft und Liebe wissen.

»Was nützt mir die Pfeife, was nützt mir das Häkchen,« rief er weinend aus. »Die Pfeife hat mich ermüdet, denn ich mußte wider Willen tanzen, und dann hat sie mir große Furcht eingejagt. Mit dem Häkchen hab ich Mariechen umsonst herangezogen, denn alles ist zum Teufel gegangen. Besser wird es sein, nach Geld zu gehen und dann zu hören, was aus mir werden wird.«

Nicht lange darauf war der Johannis-Abend. Hans ging fort und kam die ganze Nacht nicht nach Hause, und seine Mutter war schon außer sich vor Angst. Es war nicht mehr weit von Mittag, als Hans zitternd, bleich und mit Schweiß bedeckt nach Hause zurückkehrte. Seine Mutter setzte ihm sorgsam eine Schüssel mit Klößen und Speck vor, aber Hans wollte nicht essen. Die Mutter betete, und Hans seufzte. Manchmal nur kam[29] ein Lächeln auf seinen Mund, denn er klimperte mit dem Golde in der Tasche.

Als Mariechen Hochzeit hatte, war Hans der erste Brautführer. Er hatte den schönsten Anzug und gab den Musikanten das meiste Geld. Nun hatte er im Gasthause immer den Vorrang, weil er das ganze Dorf freihielt. An Sonn- und Feiertagen zahlte er den Musikanten wie ein vornehmer Herr. Manchmal blies er auch selbst auf seiner Zauberpfeife, und dann mußte alles, was da lebte, fröhlich tanzen vom Abend bis zum Morgen.

Aber unser Hans war damit noch nicht zufrieden; er wollte auch seine Zukunft wissen. Zog also die Farnkraut-Blüte hervor und fragte: »Was wird denn aus mir werden?«

Und eine unterirdische Stimme antwortete: »Du wirst hängen, und der Wind wird Deine Beine hin und her bewegen!«

»Pfui Teufel,« rief Hans zornig aus, »wofür sollt' ich wohl hängen?« Dann fing er an zu lachen, aber er konnte abends doch nicht einschlafen, obwohl er absichtlich paar Gläschen über den Durst getrunken hatte.

Im Grunde hatte er schon zu lange wie ein großer Herr gelebt, ehe es ihm eingefallen war, an seine Zukunft zu denken. Seine Taschen waren leer, und eine Farnkrautblüte zu finden gelingt, wie jeder weiß, nur ein einziges Mal.

Das machte ihn denn sehr unruhig. Die Osterfeiertage kamen heran. Das ganze Dorf bat Hans, er möchte wieder die Musikanten kommen lassen. Aber Hans hatte keinen Groschen. Das machte ihm Kummer, und er wälzte sich schlaflos auf seinem Lager. Da fällt[30] ihm ein: die Farnkraut-Blüte könnte mir wohl einen Platz zeigen, wo Geld vergraben ist. Sofort befragt er die Blüte, und richtig, – im Garten des Edelmanns, unter einem Apfelbaum, erblickt er einen großen Geldkasten, mit Messing beschlagen.

Hans springt eiligst vom Lager auf, läuft in den Garten und fängt an zu graben. Schon liegt der schwere Kasten oben auf der Erde, und gerade will Hans ihn über den Zaun werfen, – da erwacht der Edelmann, der ein Klappern gehört hat, eilt hinaus und hält den Räuber fest. Doch dieser, nach dem schönen Golde begierig, nimmt die Schaufel und schlägt den Edelmann tot.

Auf all den Lärm kommen Leute herbei, fangen den Mörder und bringen ihn zum Richter.

Ein halbes Jahr darauf hing der arme Hans auf dem Marktplatze des nahen Städtchens. Das war die Strafe für seine Habsucht und für seine Neugier, die Zukunft kennen zu lernen.

Heftig wehte der Wind, und nun waren es nicht mehr die Töne der Zauberpfeife, die die kalten und starren Beine des Hans zu lustigem Tanze bewegten.

Quelle:
Volkssagen und Märchen aus Polen von K. W. Woycicki. Breslau: Verlag von Priebatschs Buchhandlung, 1920, S. 25-31.
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