Der Vogel Cäsarius.

[154] Es war einmal ein König, der war blind. Alle Aerzte und Weisen konnten ihm nicht sein Gesicht verschaffen. Da fand sich nach vielen Jahren ein weiser Mann ein, der sprach zum Könige: Es giebt in einem fernen Lande einen Vogel mit Namen »Cäsarius«; wenn du dessen Sang, o König, hören würdest, wärest du sogleich sehend. Dieser König hatte drei Söhne; zwei waren klug, und der dritte war dumm. Da rief der König die klugen Söhne und bat sie, ihm den Vogel »Cäsarius« zu bringen. Der älteste Sohn rüstete sich nun zu der großen Reise, bestieg ein schönes Roß und versicherte seinen Vater, er solle den Vogel haben.

Aufs Gerathewohl ritt er nun den ganzen Tag, bis er die folgende Nacht in einer vereinsamten Herberge im Walde übernachten mußte. Dort fand er eine Gesellschaft Kartenspieler, die ihn bald nöthigten, mit ihnen zu spielen. Im Spiele verlor er nicht nur all sein Geld, sondern auch sein Roß und seine Kleider und wurde fast nackend in einen Keller geworfen. Als nach Verlauf einer geraumen Zeit nichts von ihm zu hören war, ritt der andere Sohn aus,[154] um seinen Bruder und den Vogel zu suchen; er traf auf dieselbe Herberge und es erging ihm gerade so wie seinem Bruder. –

Als auch vom zweiten nichts zu hören war, schickte sich der dumme Prinz Ludwig zur Reise an; aber der König wollte ihn nicht ziehen lassen aus Furcht, den Letzten zu verlieren, und weil es unmöglich schien, daß er ausführe, wobei schon zwei Söhne untergegangen waren.

Aber Ludwig bat so lange, bis man ihn ließ. Auf seiner Reise traf auch er jene Gesellschaft Kartenspieler; aber als er von ihnen eingeladen wurde, sagte er: Jetzt habe ich wegen eines wichtigen Geschäftes keine Zeit um Kartenspiel; in kurzem aber komme ich zurück, und dann werde ich mit euch spielen,« und nachdem er sich gestärkt hatte, ritt er aufs Gerathewohl weiter. Die folgende Nacht brachte ihn in einen großen Wald; da traf er aber eine kleine Frau; ein sehr altes Weib ging aus ihrem Haus heraus und rief zu ihm: »Prinz Ludwig! Was suchst du hier? Spring herab von deinem Pferde, iß und trink, was ich habe, und dann lege dich nieder, daß du ausruhst; denn morgen hast du einen weiten Weg. Du brauchst mir nichts zu erzählen, ich weiß alles und werde dir Rath geben!«

Jenes Weib war eine weise Frau. Tags darauf sagte sie: »Setze dich auf mein Pferd und reite dahin, wohin es gehen wird, bis zu meiner andern Schwester, die wird dir das Weitere sagen.«

Nachdem er noch gefrühstückt hatte, bestieg er dies Pferd, das so schnell lief wie der Wind. Abends kam er in einen andern Wald und zu der andern weisen Frau, die hundert Meilen von der ersten entfernt war, und bei der er es ebenso wie bei der zweiten hatte. Nachdem er ein Nachtlager, Essen und Trinken und ein anderes Pferd erhalten hatte, eilte er den andern Tag hundert Meilen weit zu der dritten Schwester. Diese nahm ihn ebenso auf und gab ihm am folgenden Tage eine gewisse Lehre: »Prinz Ludwig, reite jetzt auf meinem Pferde; dies wird dich weiter als hundert Meilen zu der Stelle hinbringen, wo du den Vogel Cäsarius finden wirst. Wenn es stehen bleibt, dann steige von ihm herunter, gehe geradezu in den Eingang des Schlosses, das vor deinen Augen stehen wird. In der dritten Stube wird unter andern Vögeln der Cäsarius sein, den du so und so erkennen wirst. Ergreife ihn und gehe so schnell als möglich fort, damit du nicht umkommst, und sobald du nur den Fluß auf das Pferd legst, wirst du entkommen.«

Nachdem er wie der Wind an Ort und Stelle gekommen war, erblickte er ein schönes und wunderbar herrliches Königschloß, das verschlossen war.

Als er in das erste Zimmer trat, fand er soviel Schönheiten daß er vor Staunen erstarrte, und eine Fülle von Singvögeln, die in verschiedenen Tönen sangen; in dem zweiten Zimmer waren noch mehr Schönheiten und Vögel und[155] in dem dritten am allermeisten. Als er nach der einen Seite sah, erblickte er eine auf goldenem Lager schlafend liegende, sehr schöne aber schwarze Prinzessin.

Ohne sich bezwingen zu können, warf er sich auf sie und verrichtete mit ihr das Werk der Liebe, und nachdem er ein Stück Papier ergriffen hatte, schrieb er darauf, daß Prinz Ludwig von da und da hier nach einem Vogel aus gewesen wäre und dies gethan hätte. Dieses Blatt steckte er hinter einen Balken in eine Spalte. Kaum gerieth er, den Vogel zu ergreifen, da erhoben sich große Hunde und Löwen in dem Schlosse, die ihn verschlingen wollten; aber er gerieth durch Schnelligkeit, seinen Fuß auf das Pferd zu legen, und war wie der Wind bei der weisen Frau. Die sandte ihn fort zurück zu ihrer Schwester und gab ihm ein Stück Brod, indem sie sagte: Nimm das mit dir; so oft du auch von demselben abbrechen wirst, wird es doch unversehrt bleiben; die andere sandte ihn zu der ersten, nachdem sie ihm ein Stück Seife gegeben hatte, mit den Worten: Wenn du auch wie ein Wald verwachsen wärest, wasche dich nur damit, und wie ein Engel wirst du schön und glatt werden. Von der andern ritt er zur ersten; die gab ihm ihr Pferd und die Lehre auf den Weg: Deine Brüder sitzen im Keller der Herberge; du würdest aber am besten thun, wenn du dahin gar nicht hineingehen möchtest; du kannst das ein andermal verrichten. Nachdem er zu der genannten Herberge herangeritten war, hielt er es nicht für gut, vorbei zu reiten; sondern er bezahlte die Schulden seiner Brüder und löste sie aus und ihre Sachen, und sie alle ritten nach Hause. Auf der Reise kamen die beiden Brüder zu dem Beschluß, daß es ihnen unmöglich sei, nach so schlechtem Verlauf ihrer Aussendung unter die Augen des Vaters zu treten und dem Dummen den ganzen Ruhm zu überlassen; sie müßten den Bruder Ludwig tödten und ihn für verschollen angeben und sich selbst als die Helden vorstellen. Da sie aber ohne Mördermuth waren, und indem sie an einem Meere einen Haufen Fischer sahen, gaben sie ihnen Geld und ihren Bruder, damit sie ihn tödteten. Diese schwuren den Brüdern, daß jener niemals nach Hause zurückkehren würde, und so ritten jene mit dem Vogel nach Hause. Auch Ludwig gab den Fischern Geld und bat sie, ihn nicht zu tödten, auch nicht zu ertränken, und legte einen Eid ab, daß, wenn sie ihn auf die einsame Insel, die dort war, aussetzten, er sich von ihr nicht rühren würde nach der Heimath. Und so geschah es; er lebte sieben Jahre lang auf der Insel und lebte wild wie ein Thier, zusammen mit den Meerbewohnern und mit den Seethieren, die er mit dem immer vollständigen Brote nährte und große Zuneigung von diesen erfuhr. In der Heimath war zwar wegen der beiden Söhne große Freude, aber Trauer um den Verlornen und die Blindheit der Augen; denn der Vogel war immer traurig und gab keinen Ton von sich. Um diese Zeit geschahen große Dinge in dem verwünschten Schlosse, denn die Prinzessin hatte nach dem Besuch des Prinzen Ludwig empfangen, und sie, die selbst schön[156] war, bekam innerhalb eines Jahres einen unaussprechlich schönen Sohn. Doch wußte sie nicht sieben Jahre lang, von wem sie den Sohn hatte.

Als einmal der kleine Sohn, mit Verschiedenem spielend, eine lange Ruthe nahm und mit derselben in allen Winkeln und Spalten stichelte, kratzte er mit einem Male in dem Saale den Zettel des Prinzen Ludwig auf und lief mit demselben zu Mütterchen. Da erst erfuhr die Mutter, wie und wer sich ihr genaht hatte, versammelte ein großes Heer und zog zum Krieg wider das Land, aus dem Prinz Ludwig war. Nachdem sie die Grenzen der Hauptstadt umstellt hatte, sandte sie einen Herold zum Könige mit dem Befehle, der König solle ihr sofort den Sohn herausgeben, der den Vogel Cäsarius aus ihrem Schlosse gebracht hätte; sonst würde sie das Land und das königliche Haus verwüsten. Der Vater rief voll Furcht den ältesten Sohn zu sich und fragte ihn, ob er es wäre. Und als der Sohn antwortete, es verhielte sich so, bat ihn der Vater, er solle so schnell als möglich sich in das feindliche Lager begeben und vor den Augen der mächtigen Königin Gnade suchen.

Der Prinz schmückte sich so schön als möglich, bestieg ein Roß und ritt ab. Hinter der Stadt fand er die Heerstraße zur Königin wie mit Gold ausgeschlagen und wagte es nicht, auf demselben, sondern nur neben demselben, zu reiten. Die Königin erwartet ihn mit ihrem Sohne, der sie fragt, ob der sein Vater wäre, der da heranreite. Nein! mein Sohn, ruft sie; der hat nicht die Courage deines Vaters. Bald ward der Prinz auch abgefertigt und mit ihm wieder der Herold gesandt, er solle den herschicken, der den Vogel gebracht hätte; der jetzt gewesen wäre, sei es nicht. Der König ruft den zweiten Sohn, dem es eben so ergeht, wie dem ersten. Der besorgte Vater befahl seinen Söhnen, den Prinzen Ludwig aufzusuchen und zu befragen.

Als diese nun sahen, daß es bitterer Ernst werde, ritten sie so schnell als möglich zu dem Meere, um die Fischer zu fragen, und erfuhren, daß ihr Bruder lebe auf der Insel.

Sofort fuhren sie in Schiffen mit den Fischern dorthin und fanden ihn. Er wollte nicht gehen, auch wollten ihn nicht die Meerbewohner und die Seefische fahren lassen. Auf langes Bitten seiner Brüder und der Fischer fuhr er mit ihnen; aber er war verwachsen und schwarz wie ein Wald. Nachdem er aber seine Seife angewandt hatte, wurde er schöner als alle. Zu Hause war große Freude über ihn, und auch der Vogel, als er seine Stimme hörte, sang und der Vater wurde sogleich sehend.

Nachdem er sich ausgerüstet hatte ritt er zur Königin, und als er den goldenen Weg fand, rief er: Das ist ein Weg, gerade wie für mich und trabte gerade auf ihm zu. »Jetzt reitet unser Vater,« rief die Mutter zum Sohne. In Kurzem fand die Begrüßung, Erkennung, volles Freudenfest statt; gebeten, besuchte die Königin seinen Vater, und eine Hochzeit wurde ihnen ausgerichtet.[157] Der Vater wollte aus Dankbarkeit seinem Sohne Ludwig das ganze Königreich geben; aber die Königin rief: »Nicht so; ich habe und er ein ganz anderes, wo mein Mann herrschen wird.« Und nachdem sie sich ausgerüstet hatten, reisten sie fort zu ihrem Vaterlande, wo sie lange und glücklich lebten und regierten. Und jene beiden Söhne empfingen Verachtung als Belohnung für ihre Bosheit und Falschheit.46

(Aus dem Angerburger Kreise.)

46

Einige, wiewohl entfernte Verwandtschaft zeigt das Mährchen »Das Wasser des Lebens« in den Kinder- und Hausmährchen der Brüder Grimm, Bd. 2, S. 62 ff.

Quelle:
Toeppen, M.: Aberglauben aus Masuren, mit einem Anhange, enthaltend: Masurische Sagen und Mährchen. Danzig: Th. Bertling, 1867, S. 154-158.
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