Die Zauberflöte

Als Christus in Begleitung des Heiligen Petrus durch die Welt zog, kamen sie an einem Orangenhain vorüber, der von einem kleinen Jungen bewacht wurde. Es war ein heißer Tag und der Heilige Petrus hatte großen Durst. »Jetzt würde mir wohl eine Apfelsine schmecken! He, Junge, erlaubst du, daß ich eine Apfelsine esse?« »Pflückt sie nur, tut Euch keinen Zwang an.« Da er nichts hatte, womit er den Kleinen bezahlen konnte, legte er dem göttlichen Meister nahe, auch eine Orange zu probieren. Auf seine Bitte hin entgegnete das Kind lächelnd: »Pflückt nur, Herr, soviel Ihr wollt.« Diesen aufrichtig guten Willen wollte der göttliche Meister sogleich belohnen und er fragte den Knaben: »Schau, wünschst du dir dein Seelenheil?« »Oh ja, gewiß. Aber ich möchte auch eine kleine Flöte, bei der, wenn ich auf ihr spiele, alles tanzt.« Der göttliche Meister gab dem Jungen die Flöte und sie setzten beide ihren Weg fort. Um sich die Zeit zu vertreiben, fing der Junge an zu spielen. Zwischen Brombeersträuchern verborgen hatte der Besitzer des Orangenhains ihn beobachtet; statt jedoch mit ihm zu zanken, fing er in dem Brombeergestrüpp an zu tanzen, so daß er ganz zerschunden und zerkratzt wurde. Als der Junge zu seinem Herrn heim ging, kam auf der Straße ein Händler mit einem Esel vorbei, der mit tönernem Geschirr für den Markt beladen war, und wie ihm der Ton der Flöte zu Ohren kam, da begannen Esel, Händler, Geschirr ein phantastisches Gehopse. Verzweifelt betrachtete der Händler das Geschirr, und wie er es so ganz zerschlagen da liegen sah und des Esels nicht habhaft werden konnte, da packte er den Jungen und schleppte ihn vor den Richter, damit er die für einen solchen Übermut wohlverdiente Strafe erhielte.

Als er über den Hergang unterrichtet war, wandte der Richter sich mürrisch zu dem Jungen: »Hast du die Flöte bei dir? Ich möchte doch nachprüfen, wie die Dinge sich ereignen.« Und als er das einfache Instrument sah, befahl er dem Knaben mit drohender Miene:[248] »Spiel!« Der Junge nahm die Flöte, die er dem Richter gezeigt hatte, und sogleich ging die närrische Tanzerei los. Richter, Schreiber, Tisch, Bücher, Verkäufer und Büttel, alles begann sich in einem tanzenden Wirbel zu drehen. Mitten in der Sarabande trat die Mutter des Richters, welche in einem benachbarten Zimmer gelähmt darniederlag, in den Gerichtssaal, klatschte in die Hände, tanzte und sang:


Tanze, tanze

wie ein Wirbelwind!

Denn seit sieben Jahren

habe ich mich nicht mehr gerührt.


Erstaunt über das, was da vor sich ging, bat der Richter den Knaben, nicht länger zu spielen. Seiner Bitte wurde sofort Folge geleistet, und er wischte sich die Schweißtropfen ab und sagte dem Jungen: »Geh' in Frieden, denn wenn du mit deiner Flöte auch Schaden verursacht hast, so hast du mit der Heilung meiner Mutter, die seit sieben Jahren gelähmt war, doch auch eine große Wohltat bewirkt.«

Quelle:
Braga, T.: Contos tradicionaes do povo portuguez. [I:] Contos de fadas - Cassos e facecia - Notas comparativas. 2. Auflage, Lisboa 1914, S. 246-249.
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