[113] Ein Fürst hatte einmal eine wunderschöne Fürstin geheiratet. Kaum war er aber verheiratet, so mußte er fortziehen, in die weite Ferne. – Was war da zu machen; es ist allbekannt, daß man nicht sein ganzes Leben lang dasitzen und einander umarmen kann.
Die Fürstin weinte sehr und er gebot ihr eindringlich, nie ihren hohen Turm zu verlassen, keine Unterhaltungen aufzusuchen, weder mit bösen Menschen herumzuziehen, noch schlechte Reden anzuhören. Die Fürstin versprach, alles so zu tun, wie er es gebot.
Der Fürst ritt fort. Sie sperrte sich in ihr Zimmer ein und ging nicht heraus. Über kurz oder lang kam aber eine Frau zu ihr, die schien so ehrlich und treuherzig, und die sprach:
»Nicht wahr, du langweilst dich? Wenn du im Garten spazieren gingest, um Gottes Welt zu betrachten, verginge deine Sehnsucht, würde klarer dein Kopf.«
Lange weigerte sich die Fürstin und wollte nicht, endlich aber dachte sie:
»In den Garten zu gehen ist kein Unrecht«, da ging sie. Im Garten floß kristallhelles Quellwasser, da sagte die fremde Frau:
[114] »Nicht wahr, der Tag ist heiß, die Sonne brennt, das Wasser ist kühl und plätschert. Wollen wir hier baden?«
»Nein, nein, ich will nicht.«
Aber dann dachte die Fürstin: »Baden ist keine Sünde«, legte ihre Kleider ab und sprang ins Wasser. Kaum war sie untergetaucht, so schlug die Frau sie auf den Rücken und sprach:
»Schwimm du hin als weiße Ente!«
Da schwamm die Fürstin hin als weißes Entchen. Die Hexe zog sofort die Kleider der Fürstin an, schmückte und schminkte sich und erwartete so den Fürsten. So wie die Glocken klangen und das Hündchen bellte, lief sie ihm entgegen, fiel ihm um den Hals, küßte und liebkoste ihn. Er freute sich, streckte ihr seine Arme entgegen und durchschaute sie nicht.
Die weiße Ente legte Eier und bekam Kinder, zwei große und ein kleines. Die Kinder wuchsen heran, gingen am Bächlein spazieren, fingen goldene Fischlein, sammelten Stofflappen und nähten sich Röckchen. Sie sprangen am Ufer hin und her, über die Pfützen kreuz und quer.
»Geht nicht fort, Kinder«, sagte die Mutter. Aber die Kinder gehorchten ihr nicht, spielten im Grase, sprangen über Stock und Stein und kamen immer weiter, bis an des Fürsten Hof.
Die Hexe erkannte sogleich der Fürstin Kinder und knirschte mit den Zähnen. Sie rief die Kleinen herbei, gab ihnen zu essen und zu trinken und legte [115] sie schlafen. Dann befahl sie, ein Feuer anzustecken, einen Kessel darüber zu hängen und die Messer zu wetzen.
Die Brüder hatten sich schlafen gelegt, aber der Kleine, den der Älteste vorne in seiner Bluse trug, damit er sich nicht erkälte, der schlief nicht, sondern hörte und sah alles ringsum.
Nachts kam die Hexe an die Türe und fragte:
»Schlaft ihr, Kinderlein, oder nicht?«
Der Kleinste antwortete:
»Wir schlafen nicht, wir schlafen nicht, wir denken daran, daß man uns abschlachten will. Das Feuer brennt, das Wasser siedet im Kesselein, gewetzt sind schon die Messerlein!«
»Sie schlafen nicht!« dachte die Hexe, ging fort und kam nach einer Weile wieder. »Schlaft ihr, Kinderlein?« fragte sie.
Der Kleinste antwortete wieder:
»Wir schlafen nicht, wir schlafen nicht, wir denken dran, daß man uns schlachten will. Das Feuer brennt, im Kessel kocht das Wässerlein, gewetzet sind die Messerlein.«
»Das ist ja immer nur dieselbe Stimme«, dachte die Hexe, machte leise die Türe auf und sah, daß beide Brüder fest schliefen, da berührte sie alle mit der Totenhand1 und da waren sie tot.
Am nächsten Morgen rief die Ente ihre Kinder, aber die kamen nicht. Die Ente ahnte Böses, ihr [116] Herz bebte, und sie flog an des Fürsten Hof. Im Schloßhofe, da lagen, weiß wie Tüchelein, kalt wie Eis, die drei Brüderlein still nebeneinander. Die Mutter senkte sich auf sie nieder, deckte sie mit ihren Flügelein und sang mit klagender Stimme:
»Kra, kra, meine Kinderlein,
Kra, kra, meine Lieblinge!
Ich zog euch auf in großer Not.
Mit Tränen sorgte ich für euch.
Ich schlief viel dunkle Nächte nicht,
Aß selbst die guten Bissen nicht.«
»Hast du schon jemals so etwas gehört? Die Ente spricht«, sagte der Fürst.
»Das kommt dir nur so vor. Laß sie fortjagen.«
Man vertrieb die Ente, aber sie kehrte wieder zu den Kindern zurück und klagte:
»Kra, kra, meine Kinderlein,
Kra, kra, meine Lieblinge,
Euch hat die alte Hexe verdorben,
Die alte Hexe, der grausame Drache,
Der grausame Drache, der zauberische,
Sie hat euch den leiblichen Vater genommen,
Den leiblichen Vater, meinen Gemahl,
Sie hat mich ins rasche Bächlein gestoßen,
Da wurd ich ein weißes Entelein,
Und selber lebt sie in Herrlichkeit.«
»Aha«, dachte der Fürst und rief: »Fangt mir diese weiße Ente!«
Alle machten sich an die Verfolgung, aber niemand konnte die weiße Ente fangen; als aber der [117] Fürst ihr nachlief, fiel sie ihm in die Hände. Er nahm sie am Flügel und sprach:
»Steh, weiße Birke, hinter mir, und schönes Mädchen, steh vor mir!«
Da streckte sich eine weiße Birke hinter ihm in die Höhe und ein schönes Mädchen stand vor ihm. In ihr erkannte der Fürst seine junge Frau.
Man fing sofort eine Elster, band ihr zwei Bläschen unter die Flügel und befahl ihr, in dem einen Bläschen Lebenswasser und in dem andern Sprechwasser herbei zu schaffen. Die Elster flog fort und brachte das Wasser. Man besprengte die Kinder mit belebendem Wasser, da sprangen sie auf, mit sprechendem Wasser, da sprachen sie. Jetzt hatte der Fürst eine ganze Familie. Sie lebten beisammen und es ging ihnen gut, das Böse wurde vergessen. Die Hexe band man an einen Pferdeschweif, so wurde sie über das Feld geschleift, hier brach ein Arm und dort ein Bein, dort war ein Graben und hier ein Stein. Der Kopf ward zerschmettert an Strauch und Baum. Die Vögel kamen und fraßen ihr Fleisch, der Wind erhob sich, verwehte die Knochen, es blieb von ihr keine Spur und kein Gedanke zurück.
1 | Es besteht der Aberglaube, daß Diebe sich mit einer Totenhand versehen. Wen sie damit berühren, der fällt in einen derart tiefen Schlaf, daß man ihn nicht mehr erwecken kann. |
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