40. Sonne, Mond und Wind

[269] Ein zerlumpter Zigeuner begegnete einst auf seinen Wanderungen der Sonne, dem Mond und dem Wind. Als er an ihnen vorübertrollte, sprach er: »Gott grüße von euch dreien eins!« Die Gegrüßten lachten über den lustigen, schwarzbraunen Gesellen, wußten sich aber seinen sonderbaren Gruß nicht zu deuten. »Es ist klar«, fing der sonst schweigsame Mond an, »daß der Zigeuner mich gemeint hat, mich, der ich sein steter Begleiter bin, wo immer er auch seine flatternde Behausung zur Nachtruhe aufschlägt.« – »Pah!« fiel hierauf die Sonne ein, »mich hat er gegrüßt, mich, die Königin des Tages: ich nehme seine nackten Kinder in meine warme Hut, unter meiner Sorge wachsen sie heiter und frisch heran.« – »St! St!« sauste der Wind, »wozu dieses unnütze Reden und Prahlen? Laßt uns schnell dem Gesellen nachgehen und ihn fragen, welchen von uns er mit seinem Gruß gemeint hat.«

So sprechend fuhr er schnell dem Zigeuner nach, hinter ihm her in stolzem Gang die Sonne, neben welcher der langsame, ernste Mond einherschritt. Der rüstige Wind, der zuerst bei dem Zigeuner ankam, rief diesem zu: »Halte, du Erdensohn!« Über diese rauhen Worte erschrak der Angerufene, denn beinahe hätte ihm jener den Rock vom Leibe geblasen, an dem freilich ein paar metallene Knöpfe und Haften mehr wert waren als alles übrige. »Was ist's? Was wollt Ihr von mir, Wind?« fragte der Zigeuner, als er sich von der Überraschung erholt hatte. »Du sollst uns sagen«, hub dieser wieder an, »wen von uns dreien du mit deinem zweideutigen Gruße gemeint hast.«

Der Gefragte blickte sich nun um und sah alle die drei himmlischen Mächte neben sich stehen. »Ei!« sagte er alsdann lachend, »ich grüße immer nur den, welchen ich fürchte!«[270] und nahm hierzu seine Schaffellmütze ab. »He, du undankbarer Taugenichts!« rief jetzt der erzürnte Mond, »weißt du nicht, daß ich dich samt deinem Weib und deinem schwarzbraunen Kindervolk vernichten kann, wenn ich will! Wie ist dir denn, du abgedörrter Heidenhund, in einer kalten Winternacht, wenn ich die Wolken am Himmel verteile und mit der Nachtluft die kleinste Spur von der Wärme, die der Sonnenschein zurückgelassen hat, aus dem Himmelsraum wische? Wirst du dann an mich denken, wenn dir das Mark in den Knochen gefriert und dein Weib samt ihren Kindern zu Tode erstarrt?« – »Oho, Herr Mond!« erwiderte hierauf der Zigeuner, »Ihr könnt mir in der Tat das bißchen Leben recht sauer machen, aber gegen das Erfrieren hab ich schon Mittel. Wie ist's denn, wenn ich rechts und links Feuer aufmache, mich mit Weib und Kind dazwischen setze und dann vorn und hinten ein paar Zeltstücke aufhänge? Dann hab ich Euch durchaus nicht zu fürchten. Ist mir aber der Wind nicht gut, so helfen mir auch meine Feuer und Zeltlappen nichts: er bläst mir das Feuer zur Seite, den Rauch ins Gesicht, und die Wärme durch die flatternden Zeltlappen hinaus.«

Ärgerlich mußte der Mond schweigen, da er nichts weiter vorzubringen hatte und im Vorgefühl ihres Sieges über die beiden andern, begann hierauf die Sonne: »Nicht wahr, mein guter Heidensohn, du weißt recht wohl, wen du zu fürchten und zu lieben hast? Du kennst meine belebenden Strahlen und ihre verzehrende Glut, ich dachte wohl, daß du mir den kalten bleichsüchtigen Mond nicht vorziehen würdest.« – »Mag sein, mag sein!« erwiderte hierauf der Zigeuner, »ich kenne, zwar Euer freundliches Antlitz recht gut, habe mich auch schon oft daran erfreut, fürchte aber seinen Zorn nicht besonders, drum galt auch Euch mein Gruß nicht.« Über diese Geringschätzung nicht weniger aufgebracht als kurz vorher der Mond, begann die Sonne den Zigeuner auszuschelten, indem sie sagte: »Mir das, Undankbarer! Weißt du nicht, daß ich[271] dich mit meiner Glut verderben könnte, wenn ich wollte? Daß, wenn ich es für der Mühe wert hielte, ich dich samt deinen armseligen Würmern rösten könnte, wie es die Hölle selbst nicht vermöchte! Schau auf dein verbranntes Fell, und du siehst, daß meine Glut schon Proben darauf abgelegt hat.« – »Ei! ei! Frau Sonne!« sagte spottend darauf der Zigeuner, »was macht Euch so hitzig? Ist es denn nicht klar, daß der Wind viel mächtiger ist und daß ich ihn deshalb mehr fürchten muß. Seht, Frau Sonne, wenn Ihr auch noch so heiß brennt, so darf ich ja nur den Wind bitten, daß er mir ein wenig helfe und er macht mir im Augenblick die Luft kühl, wie sehr Ihr auch Eure Kraft verschwendet. Es ist also wohl klar: Wenn mir der Wind helfen will, so könnt Ihr sowenig wie der Mond mir etwas anhaben. Darum hört auf zu streiten: Mächtig seid ihr alle; aber ich habe nur den Stärksten von euch gegrüßt, damit er mir beistehe und mich verschone, den Wind. Denn mit ihm ist keine Hitze furchtbar, und ohne ihn keine Kälte.«

Quelle:
Schott, Arthur und Albert: Rumänische Volkserzählungen aus dem Banat. Bukarest: Kriterion, 1975, S. 269-272.
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