XII. Mutters Hänschen.

[137] Es war einmal, was einmal war, wäre es nicht gewesen, würde es auch nicht erzählt.

Es war einmal ein Mann, der hatte ein Kind. Von sieben, die ihm der liebe Gott geschenkt hatte, war dies das Siebente, also von Geburt an dazu bestimmt, ein Glückskind zu sein. Man hatte ihn Johann getauft, weil alle Tölpel und Glückspilze Johann heißen.

Unser Mann liebte nun das Hänschen, wie man sein Augenlicht liebt. Es hätte auch gar nicht anders sein können, war er doch der Siebente von sieben und der kleinste, der pausbackigste und kugeligste von Allen. Aber der Vater zählt nicht voll. Er kommt und geht, er verweilt und verschwindet wieder, für ihn ist das Haus nur die Schlafstätte. Die Mutter ist der Geist des Hauses; sie badet Einen und nährt Einen, sie fegt Einem das Haus. Mutters Kind war Hänschen, Muttersöhnchen, Mutters Herzblatt, Mutters Schönstes und Gescheitestes![137]

Und dann sagt man, daß es nicht gerade gut ist, wenn Einer Alles ist, das Unterste zu Oberst kommt und das Kind das Haus regiert. Hänschen wuchs von einem Tag zum andern, je größer er wurde, desto rauflustiger, trotzköpfiger, folglich um so eigenwilliger.

So war wirklich manchmal, nein, um ganz wahr zu sein, es war sogar sehr oft Aerger im Hause, des Kindes wegen. Hänschen kriegte jeden Tag irgend ein hartes Wort zu hören; da es sich aber herausgestellt, daß Worte keinen Eindruck machten, setzte es auch manchmal eine Strafe. Ja, aber Hänschen war doch immer der Siebente. Wer strafte, litt darunter, aber nicht wer bestraft wurde. Wenn der Vater das Hänschen schlug, trocknete die Mutter ihm die Thränen ab; wenn die Mutter ihn aber schlug, trug sie Sorge, daß der Vater es nicht erfuhr. Schlechtes Beispiel für die Jugend, wenn das Kind den Topf zerschlägt, die Mutter aber sich daran macht, die Scherben aufzusammeln, dann steht's schlimm, dann thut man gut, kein Wort mehr darüber zu verlieren.

Und so kam es auch! Hänschen wurde das ungehorsamste Kind; Ungehorsam rächt sich aber an dem Ungehorsamen. Wenn unser Mann das Hänschen was lehren wollte und ihm sagte: »Liebes Hänschen, schau, so mach' es, so ist es gut, so spannt man die Ochsen vor den Karren, so schlägt man den Nagel in's Rad, so trägt man den Sack« und Anderes, lauter nützliche Lehren, stand Hänschen der Sinn nach was Anderem, und er sagte: »Ach, laß mich.« Und so von »Ach, laß mich« zu »Ach, laß mich« wurde Hänschen ein großer Hans, ohne auch nur so viel gelernt zu haben, daß der Pflug[138] Sterzen hat, die Mühle kein Mörser ist und die Kuh kein Ochs. Und damit wird er's nicht weit bringen!

Eines Tages machte sich unser Mann bereit, um auf den Jahrmarkt zu fahren. Alles war fertig, nur ein Stift war noch nicht durch's Joch gesteckt.

»Vater«, sagte Hänschen, »ich komme mit Dir!«

»Du wirst schön zu Haus bleiben, damit Du Dich nicht auf dem Markte verlierst«, antwortete ihm sein Vater.

»Ich will mit«, – »ich nehm' Dich nicht«, – »ich will«, – »ich nehm' Dich nicht!«

Jeder weiß, wie die dreisten Kinder sind. Gerade wenn man ihnen sagt, daß es eine Hirschkuh ist, wollen sie sie mit Macht bei den Hörnern greifen.

Hänschen brauchte man nur zu sagen, er solle zu Hause bleiben, um in ihm die Sehnsucht zum Fortgehen zu wecken.

Unser Mann konnte nicht anders; er setzte also Hänschen auf den Leiterwagen und fuhr mit ihm zu Markt.

»Hörst Du«, sagte er ihm, »nun bleib' aber hübsch dicht bei mir!«

»Ja, Vater«, entgegnete Hänschen, zum ersten Mal, so lange man denken konnte, folgsam.

Und bis zum Rande des Dorfes saß Hänschen wie festgenagelt hinten im Karren.

Am Ende des Dorfes streckte er einen Fuß aus ... so zwei Schuh weit weiter den anderen. Darauf hob er den Kopf in die Höhe und begann um sich zu schauen. Zu guter Letzt stand er auf, stützte sich auf das Seitenbrett des Karrens und betrachtete die Räder. Er konnte gar nicht verstehen, wie sich so ein Rad von selbst bewegte, wie eine Speiche so der andern nacheilte, immer vorwärts lief,[139] ohne sich vom Fleck zu bewegen, ja, ohne nur unter seiner Nase fort zu kommen.

Sie kamen in den Wald. Muttersöhnchen Hans streckte die Nase in die Höhe und blieb so mit offenem Munde. Die Bäume rechts und links machten sich auf und davon und liefen, aus aller Macht, immer einer nach dem andern. Das konnte nicht mit rechten Dingen zugehen. Mutters Hänschen sprang eins, zwei, drei aus dem Wagen und fühlte wieder den Boden unter seinen Füßen.

Doch wieder blieb er mit offenem Munde stehen. Jetzt hielten die Bäume still, aber der Leiterwagen bewegte sich, ging davon, immer weiter und weiter.

»Hör' Vater, halt an, damit ich sehen kann, wie sich die Räder drehen«, rief er nach einer Weile.

Jetzt standen ihm aber die Haare zu Berge. Aus zehn Richtungen hörte er sich selbst rufen, aber sein Vater fuhr weiter, ohne auf sein Rufen zu achten. »Vater«, rief er noch einmal, und noch einmal hörte er es zehnmal wieder. Hänschen erschrak sehr und sah ein, daß es nirgends so gut sei wie zu Hause, drum fing er an heim zu laufen.

Man sah nur eine Staubwolke hinter ihm. Er rannte und rannte heimwärts, bis er einen falschen Weg einschlug.

Da sieh nun Einer an, wie schlimm es ist, wenn die Unerfahrenen nicht auf den Rath der Gescheiteren hören! Hänschen hatte schlecht gethan, nach Hause laufen zu wollen, wenn er doch den Weg durch den Wald nicht wußte.

Er lief lange so fort, dann allmälig langsamer, schließlich ging er, aber immer durch Wald und Wald, über die Wiese und wieder durch den Wald, wieder über die Wiese,[140] bis er dessen überdrüssig war, ihm graulig wurde und ihm das ganze Leben verbittert war.

»Herr, erbarme Dich meiner, denn von jetzt ab werde ich immer folgsam sein«, rief er endlich, und sehr schwer mußte es ihm um's Herz sein, daß er solche Worte sprach.

Nachher ist er nicht mehr viel gegangen. So einen guten Dauerlauf weit von dort, gerade am Rande des Waldes, stand ein Dorf. Mutters Hänschen sprang vor Freude, als er das Dorf sah, und hielt nicht eher an, als bis er mitten drin war. Dann ging er von Haus zu Haus, und je weiter er ging, je mehr verwunderte er sich darüber, daß er im Dorf alle Häuser fand, aber das ihrige nicht. Ihm stand der Verstand still, und er begann zu weinen.

»Warum weinst Du, mein Sohn«, fragte ihn ein Mann, der vom Acker kam und vor seinem mit vier Ochsen bespannten Karren einherging.

Mutters Hänschen sagte ihm wie und was, der Mann aber hatte Mitleid mit ihm.

»Wie heißt Du?« fragte ihn der gute Mann.

»Hänschen«, antwortete der Knabe.

»Aber Dein Vater, wie heißt der?«

»Vater heißt er«, entgegnete Hänschen.

»Aber das Dorf, aus dem Du bist, wie heißt das?«

»Dorf!« sagte er ihm.

So wußte Hänschen also nichts zu antworten, und der gute Mann konnte nichts für ihn thun. Drum nahm er ihn als Ochsenjungen zu sich in Dienst, weil er gerade einen brauchte, um ihm die Ochsen anzutreiben, wenn er die Sterzen des Pfluges führte.

So wurde Hänschen Knecht bei einem guten Mann[141] im Dorf am Waldrande. Aber er war nicht viel nütze, weil er nicht aufgepaßt, als man ihm gute Lehren gegeben hatte. Und der muß viel Schelte hinnehmen, der nichts ordentlich zu thun weiß.

Eines Tages machte sich Hänschens Herr zur Marktfahrt bereit.

»Hör', Hans«, sagte er, »schmier' den Karren, aber schmiere ihn ordentlich, denn wir fahren morgen zu Markte.«

Hänschen sagte »Ja«, nahm Theer und begann sich den Kopf zu krauen. Er wußte nicht, wie man einen Wagen schmiert. Er hatte nie hingehört, wenn man es ihm gesagt hatte, und nie zugeguckt, wenn er es hätte sehen können. Jetzt wußte er nicht, was er anfangen sollte. Schließlich soviel hatte er aus dem, was er bisher gelernt, verstanden, daß der Anfang des Karrens am Joch ist, nämlich an der Deichsel. Er glaubte also, er müsse da anfangen, wenn er die Sache gut und ordentlich machen wolle.

Das war nun falsch, aber schließlich handelt Jeder nach seinen Ideen. Er schmierte die Gabel, die Deichsel, auch die Leiter des Wagens. Hier hörte er auf, denn es war kein Theer mehr übrig. So ging er, um welchen zu fordern.

»Herr«, sagte er, nachdem er in die Stube getreten, »gieb mir noch mehr Theer!«

»Wozu in aller Welt brauchst Du denn noch mehr Theer?« sagte sein Herr ärgerlich, »ich habe Dir genug gegeben, um den Karren drei Mal zu schmieren.«

Hänschen sagte, der hätte nur für das Joch, die Deichsel und die Leiter ausgereicht.

Als der Herr solche Worte hörte, nahm er[142] Hänschen bei den Ohren, trug ihn hinaus und klopfte ihn ordentlich durch, damit er es, solange er lebe, nicht wieder vergesse, daß man am Karren nur die Achse und das Wagengestell schmiert.

Mutters Hänschen .... na, was sollte er machen, er mußte es aushalten und dann aufmerken, damit er einen Wagen schmieren lernte.

Nachdem der Karren geschmiert war, wurden die Ochsen eingespannt, der Herr setzte sich vorn hin, Hänschen aber wie ein Häufchen Unglück hinten in den Leiterwagen und schluchzte noch hin und wieder auf vom vielen Weinen; der Arme! »Jetzt schweig«, sprach sein Herr hart, »daß ich keinen Mucks mehr von Dir höre!« Das war das letzte Wort, darauf fuhren sie ab. Hänschen saß hinten im Wagen mäuschenstill, er hatte sogar Angst, Athem zu holen. Schließlich wurde ihm das doch langweilig. So fing er wieder an, auf das Rad zu schauen. Jetzt war er aber gewitzigter. Er wunderte sich weder über das Rad noch über die Bäume. Aber er sah wieder etwas, was er nicht begreifen konnte. So oft er auch ein Rad sich drehen gesehen hatte, war ihm doch nie aufgefallen, daß der Nagel vom Rad herunter spränge. Jetzt ging der Leiterwagen einmal über einen großen Stein und klirr! sprang der Nagel aus der Achse und fiel zu Boden. Es war hübsch anzusehen, aber begreifen that er es nicht. Er hätte seinen Herrn schon fragen mögen, aber der hatte ihm ja Schweigen befohlen!

Nach einiger Zeit löste sich auch die Leichse los. Hänschen glaubte jetzt zu verstehen, warum. Gleich, bumbs fiel auch die Leichse herunter und blieb hinter dem Karren zurück. Hänschen fuhr zusammen und wollte etwas sagen, er sah[143] aber seinen Herrn an und erinnerte sich von Neuem, daß ihm Stillschweigen befohlen war. Eins verstand er aber: wenn die Leichse dem Nagel zu Liebe gefallen war, würde auch das Rad der Leichse zu Liebe abgehen. Und das hatte er kaum ganz verstanden, als auch knirsch! das Rad in den Staub fiel und hinter dem Wagen zurückblieb.

Ein Weilchen ging der Karren noch auf drei Rädern weiter, dann, pardautz, schlug er um, so daß die Deichsel mitten entzwei brach. Jetzt stand die Sache schlecht!

»Da haben wir's«, rief Hänschen erschreckt, »habe ich's nicht gesagt, daß es uns so ergehen würde?«

Wir wollen weiter keine Worte verlieren! Der Aerger! Mitten im Wege mit zerbrochener Deichsel, nicht da und nicht dort! Das ist kein Spaß. Unser Mann nahm Hänschen vor und klopfte ihn noch einmal ordentlich durch, dann ließ er ihn in Gottes Namen laufen, damit er ihm nicht noch mehr Aerger mache. Er hatte eigentlich nicht Recht, denn er hatte ihm ja selbst den Mund verboten. Aber auch Mutters Hänschen war nicht ohne Schuld, hätte er sich immer den Befehlen gefügt, würde er bislang schon gelernt haben, auf was sich so ein Befehl erstreckte. Er war zu gehorsam, eigensinnig gehorsam. Und das ist auch nicht gut.

Der Mann that, was er konnte, um sich fortzuhelfen, Hänschen aber blieb wieder zu Fuß, so auf dem Wege, nicht rechts noch links.

Ach und weh über ihn, ich weiß wirklich nicht, was er thun soll! Er schlug einen Weg ein, den er nicht kannte, und hoffte nach Hause zu gelangen. Und wieder ging er über Wiesen und durch Wälder, ging lange Zeit, bis ihn die Füße kaum noch trugen. Diesmal fand er ein Dorf auf einer[144] schönen Wiese, vor dem Dorfe aber einen Mann, der eine Heerde Schafe weidete.

»Guten Tag, Gevatter!«

»Dank schön, mögest Du groß wachsen, mein Sohn.«

Ein Wort gab das andere und kurz und gut erzählte Hänschen den Manne Alles, von Anfang bis zu Ende, wie es gewesen, wie's ihm ergangen, der Mann aber freute sich seiner, weil er gerade einen Schäferjungen brauchte, der ihm die kleine Schafheerde auf die Wiese treiben, zum Wasser führen und sie hüten sollte, damit sie sich nicht mit anderen Heerden vermengte. Denn es war eine besondere Sorte von Schafen, und er hätte um nichts in der Welt gewollt, daß sich ihre Art verdürbe. Solche Schafe, hieß es, gäbe es nur bei einem berühmten Kaiser, von dem unser Mann ein Zuchtlämmchen bekommen hatte. Es waren also Schafe, wie – wir können uns vorstellen, wie schön, da sie von kaiserlicher Herkunft waren!

Kurzum auch Hänschen freute sich, weil er sich wieder im Glücke sah. Sie verständigten sich also, und Mutters Hänschen wurde Schäferjunge; »Du hütest also die Schafe den ganzen, lieben, langen Tag, führst sie in's Thal zur Tränke, wenn es aber dunkel wird, treibst Du sie in die Hürde. Wenn es Dir kalt scheint, machst Du Feuer am Eingang der Hürde und wärmst Dich, und damit die Schafe nicht frieren, treibst Du sie dann auch in die Hürde.«

So sprach der Mann, und Hänschen sagte, daß er es genau so machen würde.

Solang es Tag war, ging Hänschen den Schafen nach, wenn er Durst hatte, führte er sie zur Tränke, wie es aber dunkel wurde, führte er sie in die Hürde.[145]

Eine wunderbare Einrichtung war diese Hürde. Hänschen hatte noch nie eine gesehen. Rund herum mit Weidengeflecht eingezäunt, der Zaun überdacht mit Rohr, damit der Regen ihn nicht verdürbe, an einer Stelle war aber eine Oeffnung geblieben, über der auf Pfählen ein Rohrdach lag. »Das wird der Eingang der Hürde sein«, sagte sich Hänschen, erfreut über seine Einsicht.

Da er fror, machte er also da in der Oeffnung, gerade unter dem Rohrdach Feuer an. Feuer ist eine schöne Sache, und Hänschen wärmte sich an ihm. Darauf fiel ihm ein, daß sein Herr gesagt habe, er solle die Schafe, damit sie auch nicht frören, in die Hürde treiben. Er verstand zwar nicht, warum ihnen in der Hürde wärmer sein sollte als draußen, er that aber, wie ihm geheißen. So ergriff er den schönsten Widder, der die große Glocke um den Hals trug, und schob ihn durch die Oeffnung in die Hürde. Aber eigen! In der Oeffnung brannte das Feuer: der Widder sengte sich ab, so daß kein Faden Wolle auf ihm blieb.

»Ach, jetzt verstehe ich«, rief Hänschen noch vergnügter als gewöhnlich. »Die Schafe ziehen also durch's Feuer, damit sie nicht frieren.«

Und da er fühlte, daß er recht that, stopfte er alle Schafe eins nach dem andern in die Hürde.

Plötzlich sah er, daß der Zaun, die Umdachung, das Dach der Oeffnung sich entzündet hatten und brannten, daß es eine wahre Freude war. Mutters Hänschen blieb starr stehen. So etwas hatte er noch nie gesehen, und er freute sich sehr darüber, daß er seine Befehle so gut ausgeführt hatte, denn das sah er ein, daß den Schafen mitten im Feuer nicht kalt sein könnte. Drum schaute er vergnügt auf[146] die Sache, die er angerichtet hatte. Eins hätte er noch gemocht, daß sein Herr dazu gekommen wäre, damit er ihm hätte sagen können: »Schau, wie ich mich auf's Schafhüten verstehe.«

Und so kam es auch. Sein Herr saß gerade bei Tisch und aß etwas Brod mit Zwiebeln, weil Fasttag war. Er schaute zum Fenster hinaus, da sah er ein großes Feuer oben auf dem Berge. Er schaut aufmerksamer hin und sieht, daß es in der Richtung seiner Hürde ist. Das scheint ihm anrüchig. Er geht heraus mit vollem Munde, geht weiter, schneller, fängt zu laufen an, die Anhöhe hinauf, immer höher, schließlich langt er athemlos an seiner Hürde an.

Heh, heh! schau mal an! Die Hürde abgebrannt, die Schafe, aus kaiserlicher Zucht, gebraten und gar, eins wie das andere, daß man sollte meinen, es wären lauter überreife Melonen. Das ist viel, wirklich zu viel! Hänschen hat etwas Böses angerichtet und kann Gott danken, daß er mit einer Tracht Prügel davon kommt.

Und so erging es ihm hier. Unser Mann, ärgerlich, aufgebracht, wüthend wie er war, nimmt den schlauen Schäfer vor und prügelt ihn, prügelt ihn, daß er ihn fast todt geprügelt hätte, wenn Hänschen nicht glücklicherweise aus seinen Händen entkommen wäre.

Nachdem aber Hänschen ihm entkommen, nimmt er die Beine in die Hand und läuft aus Leibeskräften, so daß er sich nicht einmal umsieht, ehe er nicht im Walde ist.

Ja, was ist dabei zu thun! So geht's Dem, der keinen Verstand hat! Hätte er sich gut aufgeführt, säße er jetzt zu Hause und äße Strietzel mit Milch.

Hänschen ging und ging durch den Wald, nach rechts und[147] links, und vorwärts und rückwärts, verkreuz und verquer ... er ging und ging, der arme Junge, um auf irgend einen Pfad zu kommen, der nach Hause führte. Hungrig war er und Durst hatte er, so daß er den Thau von den Blättern sog und Eichäpfel und Eicheln aß, die er auf der Erde fand; dann war er müde und verbittert und bange, und weh Dem, der seinen Weg im Walde verloren hat! Es kommt Einem zu weinen, wenn man an ihn denkt, aber darum hat er den Weg doch nicht gefunden.

So wurde es Nacht, und die Nacht überraschte ihn im schaurigen Walde. Ihm standen die Haare zu Berge, und er ängstigte sich, daß ihm ein Schauer durch alle Adern ging, als er Wölfe und Bären und alle möglichen wilden Thiere in seiner Nähe heulen und schnüffeln hörte. Jetzt war kein Entkommen mehr.

Da sah er einen dicken Baum und in ihm ein Loch das groß genug war, um ihn zu beherbergen. Er ging auf den Baum zu und sah, daß er ausgehöhlt war. Jetzt war Alles gut. Hier hinein versteckte er sich, damit die wilden Thiere ihn nicht auffräßen. Und so sehr freute es ihn, als er sich so gut aufgehoben sah, daß er gar nicht mehr traurig war, nur noch hungrig. Wenn man aber einer großen Gefahr entgangen ist, denkt man nicht mehr an die kleinen Nöthe.

Hänschen schlief vor Müdigkeit ein und träumte, daß er zu Hause war und gerade Hirse mit süßer Milch aß, als er plötzlich, piff, paff, puff, einen Schuß hörte und erschreckt auffuhr.

Was war geschehen? Einige Schritte von ihm entfernt hatten sich so an zwölf große, schreckliche Räuber, nämlich[148] Strauchräuber mit ihrem Hauptmann versammelt, sich Feuer gemacht, brieten einen Ochsen und stachen gerade ein Faß guten Weines an; sie wollten also schmausen.

Als Mutters Hänschen den Ochsen am Spieß sah, fing er an, Essenslust zu bekommen. Gott, er war so hungrig, daß er gern Holzwurm geworden wäre und an den Bäumen genagt hätte. Der arme Bengel, unerfahren wie er war, wußte nicht, was Räuber für eine schreckliche Art Menschen sind, so kam er aus der Aushöhlung hervor und trat auf sie zu.

Das war nicht gut gethan! Mit Räubern ist nicht zu scherzen!

Hänschen sagte, daß er auch etwas essen möchte.

Die Räuber starrten ihn Alle an, dann holten sie ihre Messer und Säbel heraus und begannen, sie zu wetzen, um ihn, ehe man eins, zwei, drei gesagt, in Stücke zu schneiden und umzubringen. So sind die Räuber. Die machen nicht viel Umstände.

»Haltet ein«, sagte Einer von ihnen. »Ob uns dieser Junge nicht zu was Nutze sein könnte.«

»Wozu?« fragte der Andere.

»Vielleicht ist er das siebente Kind, und dann kann er uns das Eisenkraut finden«, sagte wieder der Erste.

»Das ist wahr!« riefen Alle.

So fragten sie das Hänschen, und er sagte ihnen ja, sie freuten sich aber über die Maßen, als sie hörten, daß Hänschen wirklich das Siebente von sieben Kindern sei.

Es handelte sich nämlich um Folgendes: Die Räuber hatten erfahren, daß der Kaiser eine Unmenge Geld, alles in Gold, von einem Kaufmann, der sie ihm schon lange[149] schuldig war, bekommen hatte; die bösen Menschen hätten diesen Schatz nun gar zu gern gestohlen. Der Kaiser hatte ihn aber in eine Schatzkammer mit sieben eisenbeschlagenen Thüren geschlossen, an jeder Thür waren sieben kaiserliche Schlösser, die mit großer Kunst so gearbeitet waren, daß Niemand sie aufschließen konnte. Es war also eine echt kaiserliche Sache, die mit vieler Ueberlegung und wohlbedacht hergerichtet war. Die Räuber waren daher zu einer Hexe gegangen, damit sie ihnen Belehrung und irgend einen mächtigen Zauber gäbe, mit dem sie durch die kaiserlichen Schlösser und durch die eisenbeschlagenen Thüren dringen könnten. Die Hexe hatte ihnen gesagt, daß man diese Schlösser nur mit dem Eisenkraut öffnen könne, und daß dieses Kraut nur der Siebente von sieben Kindern, solange er noch ein unschuldiges Kind sei, finden könnte, und zwar Morgens im Frühgrauen, wenn es auf der Wiese zwischen den anderen Kräutern leuchte. Wer dies Kraut hat, schneidet sich in den Finger, legt es in die Schnittwunde, läßt es da bis sie zugeheilt, damit es im Finger bleibt. Darauf gehorcht ihm jedes Eisen, sei es Schloß, Riegel oder Kette von jeder Stärke und öffnet sich.

Für die Räuber ist solch ein Kraut nicht nur so bloß zum Vergnügen. Es ist eine wichtige Sache und von großem Werth. So bewirtheten sie Hänschen und machten ihm ein weiches Bett, damit er ordentlich schlafen könne. Sie sagten ihm aber, daß sie ihn umbringen würden, wenn er ihnen nicht das Eisenkraut fände. Das arme Hänschen träumte die ganze Nacht, wie er den Halm des Krautes suchte.

Beim Morgengrauen weckten die Räuber Hänschen und schickten ihn aus, um das Kraut zu suchen.[150]

Hänschen kroch auf allen Vieren, und wie er so die Wiese entlang schaute über die Halme hin, sah er augenblicklich einen, der leuchtete. Der war's, auf den es ankam! Das war gerade das Eisenkraut!

Unter den Räubern gab es Einen, der auf einem Auge blind war. Der war in den kaiserlichen Gefängnissen eingesperrt gewesen und war mit den Ketten und Allem entflohen. Die Ketten waren ihm nachher abgefeilt worden, aber die Handeisen waren von einem ganz besonderen, einem kaiserlichen Eisen, welches das Feuer nicht schmilzt und die Feile nicht schrammt. Hänschen hielt das Kraut an das Handeisen und klirr! fiel dasselbe zu Boden.

»Ei, ei, mögst Du Glück haben, mein Sohn, denn Du hast mich von einer Schwierigkeit befreit«, sprach der Räuber hocherfreut.

Als der Hauptmann aber das Kraut aus Hänschens Hand nahm, um das zweite Eisen zu lösen, mühte er sich vergeblich, es gehorchte ihm nicht.

Die Hexe hatte ihnen nicht gesagt, daß das Kraut nur Dem gehorcht, den das Schicksal bestimmt hatte, es zu finden.

So sahen die Räuber, daß ihnen das Eisenkraut nichts nutze, und als sie das eingesehen, waren sie sehr erbost, und da sie sich bosten, haben sie die Messer und Säbel geschliffen, um Hänschen zu morden.

»Halt«, rief der Einäugige. »Ihr habt gesagt, daß wir ihn nicht morden würden, wenn er uns das Kraut fände. Er hat es gefunden. Als Männer von Wort dürfen wir ihn nicht umbringen!«

Und sie haben ihn auch nicht umgebracht, denn Räuber sind Männer von Wort; schlecht oder gut, – was sie aber gesagt[151] haben, thun sie. Da sie sich aber fürchteten, daß Hänschen sie angeben könnte, haben sie einen andern Weg gefunden, um ihn los zu werden.

Was und wie haben sie es gemacht? Sie haben Hänschen genommen und ihn in das offene Faß gesteckt, dann haben sie das Faß zugemacht, Eisenringe um dasselbe geschlagen und sind fortgegangen. Schlecht, sehr schlecht war das, was sie da gethan haben!

So kam Hänschen vom Guten zum Schlimmen und vom Schlimmen zu noch Schlimmerem, bis wir ihn in einem Weinfaß stecken sehen. Was soll aus ihm nun werden! Schaut an, in einem Faß drin, ... da hört doch Alles auf! Hänschen fing an zu weinen, zu wehklagen und zu schreien, bis ihn die hungrigen Wölfe hörten und angelaufen kamen, weil sie glaubten, sie würden ihn essen können. Schau, aber sie konnten sich den Mund wischen. Hänschen war im Faß versteckt. Sowie er fühlte, daß die Wölfe in der Nähe seien, sah er durch das Spundloch und blieb darauf ganz still.

Die Wölfe fielen dann über die Ueberbleibsel des Ochsen her und rissen sich gierig um die Knochen. Einer von ihnen, der größte und wüthendste ergriff einen Knochen und setzte sich mit ihm gerade neben das Faß, in dem Hänschen war .... Hänschen wagte nicht einmal Athem zu holen.

Plötzlich sah er, daß der flockige Schwanz des Wolfes durch das Spundloch in das Faß kam. Hänschen erschrak sehr. Der Schwanz hing immer mehr hinein, Hänschen erschrak furchtbar. Schließlich schüttelte sich der Wolf einmal, lehnte sich zurück, der Schwanz hing ganz hinein, so daß er Hänschens Nase berührte. Jetzt stand es schlimm!

Hänschen zitterte vor Angst, in seiner Angst ergreift er[152] mit beiden Händen den Schwanz des Wolfes und hält ihn aus Leibeskräften fest. Der Wolf erschrickt jetzt auch, ergreift die Flucht, und zieht das Faß nach sich. Und nun solltest Du solch ein Wunder sehen: immer holter die Polter, er schlägt an die Bäume, den Berg hinauf, das Thal hinunter. Der Wolf läuft, das Faß ihm nach, Hänschen hält den Schwanz fest und ihm nach, daß es eine Freude ist! Plötzlich, Holter die Polter, stößt sich das Faß an eine Wand und platzt auseinander. Der Wolf rennt weiter, Hänschen aber sieht sich auf einmal zu Hause, und hält mit beiden Händen den Schwanz des Wolfes fest, der an der Wurzel abgerissen war.

So erging es Mutters Hänschen.

Wer es weiter weiß, der möge es weiter erzählen!

Quelle:
Kremnitz, Mite: Rumänische Märchen. Übersetzt von -, Leipzig: Wilhelm Friedrich, 1882, S. 137-153.
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