XIII. Tellerchen.

[153] Es war einmal, wie's keinmal war, wäre es nicht gewesen, würde es nicht erzählt.

Es war einmal ein Mann und eine Frau. Der Mann hatte einen Sohn von seiner ersten Frau und die Frau eine Tochter von ihrem ersten Mann. Dies Teufelsgeschöpf von einem Weibe konnte den Sohn des Mannes nicht mit Augen sehen. Eines Tages sagte sie ihm:

»Mann! wenn Du den Jungen nicht von hier fortschickst,[153] kann ich Brod und Salz nicht mehr von einem Teller mit Dir essen.«

»Wo soll ich ihn aber hinbringen, Frau? Laß ihn doch noch etwas älter werden, so gründet er sein eigenes Haus.«

»Ich weiß nur das, was ich Dir gesagt. Wähle!«

Als der Mann sah, daß er mit der Frau nicht fertig werden konnte, sagte er zu dem Jungen:

»Vaters lieber Junge, Du siehst, daß ich alt bin. Ich kann nicht mehr so viel arbeiten, daß ich keine Hülfe nöthig hätte. Deine Mutter will Dich nicht mehr hier sehen. So geh Du hin, wohin Dich der Herr führen wird, um Dir Dein täglich Brod zu erarbeiten, und wenn der da droben will, werde ich hin und wieder kommen, um Dich zu sehen, wenn ich irgend kann.«

»Das sehe ich auch, Väterchen, daß diese Stiefmutter mich nicht mit Augen sehen kann, und ich weiß nicht warum? Ich bin ihr nie ungehorsam gewesen, habe Alles gethan, was sie mir gesagt hat, aber vergebens, sie kann mich nicht ausstehen. So geh ich, Vater, wohin mir Gott räth, und werde arbeiten. Ich werde mir schon das tägliche Brod verdienen, denn wahrhaftig! nicht umsonst bin ich ein tüchtiger Junge. Und wenn Ihr könnt, besucht mich mal Vater, denn seht, ich fühle, daß ich mich vor Sehnsucht nach Euch verzehren werde.«

»Geh gesund, Vaters lieber Sohn, und der Herr helfe Dir!«

»Auf gesundes Wiedersehen, Väterlein.« Und der arme Junge ging aus dem väterlichen Hause mit Thränen auf[154] den Backen. Er ging, was er ging, traf einen reichen Mann und verdingte sich ihm als Knecht.

Sieben Jahre lang diente er. Der Herr war mit ihm zufrieden. Plötzlich überfällt ihn die Sehnsucht nach seinem Vater so, daß er sich nicht aufrecht halten konnte. Da sagte er seinem Herrn, daß er fortginge, um seine Eltern zu sehen. Sein Herr sagte ihm darauf:

»Junge, sieben Jahre hast Du auf meinem Hofe gedient, mir hast Du's recht gemacht. Gefällt Dir nun mein Brod nicht mehr, oder giebt man Dir anderswo mehr, daß Du von mir fort willst?«

»Bewahre, Herr. Aber siehst Du, ich habe Sehnsucht nach Hause bekommen und mir ist, als möcht' ich meinen Vater noch einmal sehen. Wenn Du glaubst, daß ich noch etwas von Dir zu bekommen habe, bitte, mache mir meine Berechnung.«

»Gut, Junge, man kann einen Knecht nicht mit Gewalt halten, Du hast den Lohn nicht abgemacht, als Du bei mir eingetreten bist. Als Entgelt für die Dienste, die Du mir geleistet, darfst Du Dir aus meinen Heerden zwei Stück Hornvieh und 10 Stück kleines Vieh aussuchen.«

Als der Junge das hörte, wußte er vor Freude nicht mehr, was er thun solle, besonders wenn er bedachte, daß er durch seine Arbeit so viel Vieh verdient hatte!

So ging er zwischen die Heerden, schaute herauf und schaute herunter und wunderte sich, was für Vieh er sich auswählen solle.

Er wollte nicht von den Besten nehmen, weil er meinte, daß seine Dienstzeit nicht so viel Werth gehabt habe. Von dem Schlechtesten wollte er auch nicht nehmen, weil das[155] Herz das nicht zuließ. So nahm er's von der Mittelsorte. Gerade so machte er es beim Hornvieh. Hier aber, ich weiß nicht wie und warum, fielen seine Augen auf einen Ochsen, der auch etwas gierig auf den Jungen blickte. So nahm er diesen Ochsen und eine Kuh.

Jetzt hatte er nichts Anderes im Sinn, als zu den Eltern zu gehen, in dem Glauben, daß seine Mutter ihn jetzt nicht mehr schief ansehen würde.

So sagte er Lebewohl und machte sich davon. Nun denk mal an, der Ochse war verhext, aber der Junge mußte es nicht! Er gab ihm den Namen: Tellerchen.

Er kam zu Hause an.

Sein Vater starb vor Freude und wurde wieder lebendig, als er seinen Jungen erblickte, der groß gewachsen und hübsch anzusehen war, und außerdem noch so vernünftig.

Aber die Alte, solch Teufelsgerümpel, bewährte sich wie die echte böse Sieben, wie die alte Hexe, die sie war.

Der Junge ließ sich bei seinem Vater nieder, half ihm bei allen Feldangelegenheiten und ging auch mit dem Vieh auf die Weide. Er war dem Hause von großen Nutzen.

Jedesmal wenn er mit dem Vieh zur Weide ging, gab ihm die Mutter ein Gebäck mit; das war aber aus Asche vom Heerde gemacht, und er konnte es nicht essen. Was sollte er nun anfangen? Zur Mittagszeit, anstatt daß er wie alle Welt auch etwas essen konnte, setzte er sich in den Schatten eines Baumes und meinte über sein Geschick; er brachte es aber nicht über das Herz, es seinem Vater zu sagen, um sie nicht zu entzweien.

Zu Hause hatte er keinen guten Tag, auf dem Felde keinen Gefährten, und so wurde er traurig und gedankenvoll.[156]

Eines Tages, als er vor Hunger weinte und als sogar die Hirten aßen, die ihre Ochsen verloren hatten, fing Tellerchen plötzlich zu sprechen an und sagte:

»Herr, sei nicht mehr traurig, wirf das Aschengebäck weg, greif mir an's rechte Horn und iß und trink, was Du dort finden wirst.«

»Hör', Tellerchen«, entgegnete ihm der Junge, »sei Du nun nicht auch noch irgend so eine Teufelsausgeburt. Wo hat man denn schon so was gehört, wie das, was Du sagst, und seit wann giebt's sprechende Ochsen!«

»Paß auf, was ich Dir sage. Ich sehe, daß Du ein ordentlicher Junge bist, und mir thut's leid, daß Du Deine Jugend verweinen sollst. Versuch nur das, was ich Dir anrathe, und Du sollst sehen, daß es für Dich gut sein wird!«

Und so war es auch.

Der Junge faßte an Tellerchens rechtes Horn. Und siehe da, was geschah! Er holte ein Brot so weiß wie Schnee daraus hervor und ein Glas Wein, nach dem man sich die Lippen lecken mußte.

Er aß und trank.

Das alte Weib bemerkte, daß des Jungen Gesicht seit einiger Zeit voller wurde, daß er guter Dinge war und Alles freudig that. Anstatt ihn, wie sie geglaubt hatte, von Tag zu Tag hinfälliger zu sehen, sah sie jetzt, wie er täglich zunahm. Sie verstand allsogleich, daß Tellerchen dahinter stecken müsse, denn sie merkte, daß der Junge ihn sehr viel besser als das andere Vieh besorgte.

Wie sollte sie es anstellen, um herauszubekommen, was er da draußen im Walde aß und that? Sie schickte ihre[157] Tochter ihm heimlich nach und befahl ihr aufzupassen, was er thäte, wenn er das Vieh zur Weide führte.

Die Tochter ging also dem Jungen nach, ohne daß er es wußte, belauschte ihn, kehrte zur Mutter zurück und sagte: »Mutter, was ich heut' gesehen habe, das ist gar nicht zu erzählen!«

»Du bist doch nicht etwa auf die Waldhexe gestoßen?«

»Falsch gerathen«, entgegnete ihr die Tochter.

»Hast Du etwa irgend einen Bethörer, einen Drachen oder einen Lindwurm gesehen?«

»Warum nicht gar! Behüte der Himmel!«

»Oder ist Dir etwa irgend ein schöner, reicher und vernünftiger Junge nachgegangen?«

»Wo denkst Du hin! Aber es ist umsonst, wenn Du Dich auch auf den Kopf stellst, kannst Du es doch nicht errathen.«

»So sage mir, was Du gesehen hast, und schwatze nicht mehr länger.«

»Mutter, meines Stiefbruders Ochse ist verhext!«

»Habe ich's Dir nicht immer gesagt, daß mit dem verfluchten Ochsen etwas los ist.«

»Und hättest Du gesehen, Mutter, wie er ihn umhalste und ihn bald rechts, bald links küßte, mir war wahrhaftig, als sollte mir das Herz still stehen. Und gleich darauf faßte er ihn an's rechte Horn und holte einige, weiße ausgebackene Brödchen und Wein aus ihm hervor, dann aß er, aber so, als ob sich die Wölfe in seinem Munde zausten. Ich sag' Dir, mir lief das Wasser im Munde zusammen, als ich ihn mit solcher Lust essen sah. Was mich aber noch[158] mehr verwundert hat, war, als ich den Ochsen sprechen hörte. Ich blieb mit offenem Munde stehen und starrte ihn an.«

»Laß nur, ich werde ihm schon beikommen!«

Die Alte wollte dem Ochsen nicht wohl und drang in den Alten, daß er den Ochsen schlachten sollte, nichts mehr und nichts weniger. Die ganze Nacht setzte sie ihm zu. Der arme Alte sagte ihr, daß der Ochse nicht ihnen, sondern seinem Sohn gehöre, daß er ein schönes Thier wäre und ihnen vielleicht noch einmal von Nutzen sein könnte.

Aber wer hörte denn auf ihn! Sie ließ nicht nach, als bis er ihr nicht versprochen, ihn zu schlachten.

Der Junge war glücklicherweise wach und hörte Alles.

Sowie es Morgen wurde, ging er zu Tellerchen, um ihn zu striegeln und zu säubern, wie er immer that, fing zu weinen an und sagte ihm, was ihm bevorstünde.

Der Ochse sagte ihm, er solle draußen auf der Hausbank stehen, wenn man ihn jage, um ihn zu fangen und zum Schlachten zu führen, und wenn er dort vorbeikäme, schnell auf ihn springen. So geschah es auch. Nachdem der Ochse dem Tode entgangen, brachte er seinen Herrn in einen Wald, der so schön war, wie ihn der Junge noch nie gesehen. Dort bauten sie Hütten und lebten wie an der Mutter Brust; denn die Wiesen um sie herum waren so hoch, daß ein Mensch sich darin verlieren konnte, und gut zur Weide, immer grün und blühend.

Eines Tages, als der Junge wohlgemuth vor seiner Hütte saß und auf der Flöte blies, der Ochse aber weidete, kam ein Stier auf ihn zu, so groß wie keiner und so fett, daß die Haut auf ihm platzte.

»Warum bist Du hierher gekommen, Du, Junge Du,[159] mit Deinem Tellerchen, um mir mein Wasser zu trinken und von meinem Gras zu weiden!« fragte er.

»Ich habe nicht gewußt, daß dies hier Dein Besitzthum ist«, entgegnete der Junge. »Tellerchen hat mich hierher gebracht.«

»So sage ihm, daß er morgen zu der Goldbrücke komme und mit mir kämpfe.«

Nachdem er das gesagt, ging er fort.

Als der Ochse Abends nach Hause kam, fand er den Jungen traurig wie noch nie.

»Aber was hast Du, Herr, daß Du wie begossen dastehst?« fragte ihn der Ochse.

»Was soll ich haben?« entgegnete der Knabe, »schau, ich bin in einer schönen Klemme!« Und er wiederholte ihm Alles, was ihm der Stier gesagt.

»Laß nur, Herr, sorg' Dich darum nicht, laß das meine Sorge sein.«

Am nächsten Tage in der Früh ließ der Ochse den Knaben in der Hütte zurück, er aber machte sich zur Goldbrücke auf, um mit dem Stier zu kämpfen; er kämpfte, bis er ihn unter die Brücke gestoßen hatte, und kehrte heil und unverletzt nach Hause zurück.

Nach zwei Tagen kam ein anderer Stier, der war aber nicht so groß wie der erste, sagte dem Knaben dasselbe, was ihm der andere gesagt hatte, und rief Tellerchen zum Kampf an die Silberbrücke.

Wie beim ersten Mal fand der Ochse auch diesmal den Knaben traurig und in Thränen, als er nach Hause kam, beruhigte ihn wie damals und ging, um auch diesen Stier zu bekämpfen und unter die Brücke zu stoßen.[160]

Nach einigen Tagen kam ein anderer Stier, der war aber schwach, unansehnlich, häßlich, von Raben beschmutzt, und der sagte dem Knaben:

»Wer hat Dir, Knabe, erlaubt, mit Deinem Tellerchen herzukommen, um mein Wasser zu trinken und mir das Gras der Wiese zu verderben?«

»Was geht Dich das an?« entgegnete der Knabe, so oben hin.

»Wenn es mich nicht angeht, wen soll es denn angehen?« erwiderte der Stier. »Wer von Euch Beiden es wagen will, mit mir zu kämpfen, mag morgen zur Kupferbrücke kommen.«

»Sei nur ruhig«, entgegnete ihm der Junge gleichmüthig, »wir werden schon kommen.«

Als Tellerchen am Abend von der Weide heimkehrte, erzählte er ihm Alles, was sich zugetragen hatte, mit unsäglicher Heiterkeit.

»Deine Heiterkeit ist nicht angebracht, Herr«, entgegnete der Ochse, »jetzt ist auch meine Zeit gekommen. Der Stier, krank und vermagert, wie er war, wird mich überwältigen. Wohne Du morgen unserm Kampfe bei, denn Dich lasse ich nicht mit ihm kämpfen; Du bist jung und zart und wirst noch viel auf dieser Welt sehen. Wenn Du siehst, daß er mich überwältigen und unter die Brücke stoßen will, stürze zu und ergreife mein linkes Horn öffne es aber nicht eher, als bis Du nach Hause gelangt bist.«

Als der Knabe das hörte, fing er ein Geweine an, das nicht zu stillen war Und so viel Kummer hatte er die ganze Nacht, daß er gar nicht schlafen konnte.[161]

Am nächsten Tage ging er früh Morgens mit Tellerchen zur Kupferbrücke. Dort erwartete sie der unansehnliche Stier. Sie begannen den Kampf. Und sie kämpften und kämpften bis gegen Nachmittag. Bald zerrte der Ochse den Stier, bald der Stier den Ochsen, dann kämpften sie mit den Hörnern, und der Sieg konnte sich nicht entscheiden, weder für den Einen noch für den Andern. Als es aber fast Nachmittag war, erlahmte des Ochsen Kraft, und als plötzlich der Stier ihn mit davon trug und im Begriff war, ihn unter die Brücke zu werfen, stürzte der Knabe herzu und ergriff sein linkes Horn.

Er weinte, Gott, was weinte der Knabe dort an der Brücke. Als er aber sah, daß sein Tellerchen nicht mehr unter der Brücke hervorkam und es dunkel wurde, machte er sich auch davon mit seinem Horn und mit vor Trauer blutendem Herzen.

Er übernachtete auf einem Hügel. Am nächsten Tage reizte ihn der Hunger. Er dachte, in dem Horn, das Tellerchen ihm hinterlassen, etwas zu essen zu finden, und öffnete es.

Was, nun bitte ich Sie schön, was geschah da! Woher kam die unzählbare Menge von Heerden aller Art Vieh? Wie sollte er sie nach Hause treiben? Hierzu gehörte eine Unzahl von Knechten, um sie zu hüten. Er sah über's Feld, und so weit sein Auge reichte, sah er nichts als Vieh vor sich. Was sollte er jetzt thun? Nach Hause konnte er sie nicht treiben. Sie wieder in's Horn herein zu bringen, daran war nicht zu denken. Das sagte er sich auch und fing heftig und bitterlich zu weinen an.

Während er sich so bejammerte, schau an, da kam zu ihm ein Drache und sagte ihm:[162]

»Was giebst Du mir, Junge, wenn ich Dir all dies Vieh wieder zurück in's Horn stecke?«

»Die Hälfte sei Dein«, entgegnete der Knabe.

»Die Lust laß Dir vergehen«, sagte ihm der Drache, »ich will etwas Anderes.«

»So sag's, dann werd ich sehen!«

»Wenn Dir das Leben am liebsten ist, darf ich kommen und Dir das Theuerste nehmen, um es zu verspeisen?«

Der Knabe, ohne recht zu wissen, was er that, willigte ein.

Der Drache schlug dreimal mit dem Schwanz um sich und steckte all die Heerden wieder in das Horn. Dann nahm der Knabe das Horn und ging zu seinem Vater den er allein fand, denn was aus der Alten und ihrer Tochter geworden war, wußte Keiner, sie waren aus dem Hause verschwunden.

Als er seinen Sohn zum Jüngling herangewachsen sah, war der Alte nahe daran, vor Freude seine Sinne zu verlieren, aber er hielt sich noch. Sein Sohn öffnete das Horn, und mit einem Mal war das ganze Feld und die umliegenden Gegenden mit Vieh angefüllt, so daß Alle sich verblüfften.

»Das Vieh gehört Alles Dir?« fragte ihn der Alte.

»Alles, Vater. Was sollen wir nun mit dieser Unmenge Vieh anfangen?«

»Den Kummer der Wittwen und Armen lindern!« entgegnete der Alte.

Der Knabe folgte seines Vaters Rath. Es gab keinen[163] Tag, den der Herr werden ließ, an dem er nicht denen, die Hülfe nöthig hatten, irgend eine Wohlthat erwies.

Es kam dahin, daß in der Gegend auch nicht ein einziger Armer blieb.

Die Kunde von dem Reichthum und der Mildherzigkeit des Sohnes jenes Alten drang bis zum Kaiserhof. Und da der Kaiser eine sehr kluge und schöne Tochter hatte, schickte er Bewerber zum Sohn des Alten.

Wie der Junge hörte, daß der Kaiser ihn zum Schwiegersohn wünschte, wunderte er sich. Als er dann an den kaiserlichen Hof gerufen wurde, ging er hin und benahm sich mit viel Anstand und Würde, so daß es dem Kaiser durchaus nicht leid that, ein Auge auf ihn geworfen zu haben.

Die Kaisertochter gewann ihn lieb, weil er hübsch, stolz und ein aufgeweckter Rumänen-Junge war.

Dann, nachdem sie unter sich einig geworden waren, hielten sie eine Hochzeit, von der die Kunde durch's ganze Land ging.

Auch der Vater des Jungen war dort.

Nachdem die Tänze und Belustigungen der Hochzeit beendet waren und ein Jeder nach Hause gegangen, setzte der Alte nach der von den Vätern überkommenen Sitte in das Zimmer, in dem der Schwiegersohn und die Braut schlafen sollten, ein Brot, so weiß wie das Antlitz Christi. Darauf ging auch er fort, um sich niederzulegen.

In der Nacht geschieht was? Der Schwiegersohn des Kaisers sieht plötzlich den Drachen vor sich, der einen Kiefer am oberen Thürsims, den anderen an der Schwelle unten hat und dem jungen Burschen sagt, daß er wegen ihrer Abmachung gekommen sei, und daß er ihm jetzt Die zum Verspeisen[164] geben möge, die sich neben ihm befände, und die er wie sein Augenlicht liebe.

Der Sohn des Alten, der längst die Abmachung vergessen hatte, wußte nicht, was er thun sollte. Er durfte sich nicht auf den Drachen stürzen und ihn morden, weil er wußte, daß ihre Abmachung so lautete; sein Vater hatte ihm oft gesagt, daß wenn man sein Wort gegeben, man auch seine Seele verpfändet habe. Aber das Herz ließ ihn auch wieder nicht seine Geliebte hingeben, damit der Drache sie verspeise!

Als er sich so mit Gedanken quälte, was er wohl machen solle, um weder sein Wort zu brechen, noch seine Braut hinzugeben, fing das Brot auf dem Tische an zu springen und sagte:

»He, Drache, ich bin gesäet worden, bin gewachsen, mit der Sichel gemäht, in Bündel gebunden worden und hab's ertragen, ertrag Du's jetzt auch und geh in die Pfützen der Meere.«

Der Drache stand und wartete. Das Brot sprach wiederum:

»Darauf hat man mich in die Scheuer gebracht, Pferde haben mich getreten, man hat mich gesiebt und zur Mühle gebracht, ertrag Du's auch, wie ich's ertragen, und geh, daß wir Deinen Namen nicht mehr hören.«

Der Drache wartete noch immer und seine Zungen spielten in seinem Munde herum wie Blitze. Der Schwiegersohn und die Braut schwiegen ganz still. Das Brot sprach wiederum:

»Dann hat man mich gemahlen, und nachdem hat man[165] mich nach Hause gebracht, gesiebt, mit Wasser geknetet, in den Backofen gesteckt und gebacken, daß mir die Augen fast aus dem Kopf gesprungen wären, und ich hab's ertragen! Ertrage Du's auch, Du verfluchter Drache, der platzen mög'!«

Der Knall, der ertönte, als der Drache platzte, war so groß, daß Alle im kaiserlichen Palast davon erwachten. Als sie hinkamen, was sahen sie? Ein Unthier von Drachen, geplatzt und aufgeschlitzt. Und so groß war es, daß Alle sich davor erschraken.

Sie nahmen daher das Aas und trugen es aus der Burg heraus und überlieferten es den Raben. Darauf erzählte der Schwiegersohn dem Kaiser die ganze Bewandtniß. Als die Leute im Palaste das hörten, dankten sie Alle Gott, daß er solch ein Wunder bewirkt und die Kaiserkinder mit heiler Haut und Knochen hatte davon kommen lassen.

Darauf lebten sie in Frieden und Freude und thaten überall Gutes, und wenn sie nicht gestorben sind, so mögen sie am Ende heute noch leben.


Ich schwang mich auf den Sattel dann,

Damit ich's Euch erzählen kann.

Quelle:
Kremnitz, Mite: Rumänische Märchen. Übersetzt von -, Leipzig: Wilhelm Friedrich, 1882, S. 153-166.
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