1134. Die weinenden Toten.

[69] Ein braver Bursche machte seiner Geliebten bisweilen Besuche. Dabei führte ihn sein Weg an der Ortskirche vorüber. Wenn er nun über den Friedhof dahinschritt, pfiff er laut. Die Leute ärgerten sich über sein, wie es schien, wenig zartfühlendes und unchristliches Gebaren. Der Bursche starb, und seitdem hörte man auf dem Gottesacker häufig weinen. Der Pfarrer des Ortes ging hin und wollte den Spuk bannen. Als er die Geister anredete und sie fragte, was ihnen fehle und wie ihnen zu helfen sei, sagten sie, sie seien arme Seelen, die mit dem Jüngling, der pfeifend den Friedhof begangen und nun gestorben sei, ihre beste Stütze und Hülfe verloren haben.[69] »Der Burscht het bi sym Pfyffä schynt's nu besser dänkt weder mängä-n-andärä bim Bättä,« meint mein Gewährsmann aus dem Maderanertal.


Albin Gnoss.

Quelle:
Müller, Josef: Sagen aus Uri 1-3. Bd. 1-2 ed. Hanns Bächtold-Stäubli; Bd. 3 ed. Robert Wildhaber. Basel: G. Krebs, 1926, 1929, 1945, S. 69-70.
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