1227. Das bartene Röcklein.

[124] Während einer Predigt sass in der vordersten Bank äs Mäitli im-mä nywäbärtägä Reckli. Solche waren früher in Urseren als Unterröcke in der Mode. Aus selbstgesponnener und selbstgewobener Barten gefertigt, waren sie im Einschlag von oben nach unten weiss und schwarz gestreift. Die Streifen hatten je vier oder fünf Fäden. Der Zettel war weiss. – Hinten in der Kirche hingegen befand sich eine vornehme Dame,[124] prächtig gekleidet, der zwei Diener die Schleppe trugen. Auf einmal fragte der Prediger seine Zuhörer, ob sie wissen, wer von allen in der Kirche die grösste Hoffart habe. Alle schauten nach der Dame. Der Geistliche jedoch erklärte: Nein, es sei das Mädchen im bartenen Röcklein.


Anna Maria Müller, 78 Jahre alt, Hospental.

Quelle:
Müller, Josef: Sagen aus Uri 1-3. Bd. 1-2 ed. Hanns Bächtold-Stäubli; Bd. 3 ed. Robert Wildhaber. Basel: G. Krebs, 1926, 1929, 1945, S. 124-125.
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